Den kämpft auch Joe Biden, indem er erklärt, die Ausgaben im Wahlkampf zu erhöhen. Eine 50 Millionen Dollar teure Medienoffensive soll dem am Freitag stattfindenden Interview bei ABC mit Bill Clintons altgedientem Wahlkampfmanager George Stephanopoulos den richtigen Spin verleihen. 20 Uhr Ostküstenzeit. Außerhalb von Bidens Sweet Spot. Ein Risiko. Aber was hat er zu verlieren? Die Debatte mit Trump: eine einzige Katastrophe. Der Versuch, am Tag darauf wieder im Wahlkampf zu glänzen, von Telepromptern nur mühsam gerettet. Besorgten Gouverneuren der Dems, mit denen sich Biden am 5.7.2024 traf, versicherte Biden, etwas mehr Schlaf würde ihm wohl helfen, sich zu erholen. Er werde keine Veranstaltungen mehr nach 20 Uhr ansetzen. Josh Green, der Gouverneur von Hawaii, erfuhr dann noch „Beruhigendes“ vom Präsidenten, als er ihn nach dessen Gesundheitszustand fragte. „Es ist nur mein Gehirn“ - und alle dachten schon, es sei etwas Ernstes!
Spaß beiseite, auch wenn die New York Times den Satz als Scherz verstanden haben will. Was wir hier gerade erleben, ist der Kollaps eines Machtsystems, das wir vielleicht erst jetzt zu verstehen beginnen. Erst im Zusammenbruch, wenn die Beteiligten die Phasen der Trauer durchlaufen, biegen die Protagonisten auf uns vertrautes Terrain ab und durchlaufen wie im Lehrbuch Leugnung, Ärger, Feilschen, Depression und Akzeptanz. Der Machtzirkel rund um Biden ist schon beim Feilschen, was man an den Erklärungen gut erkennen kann. Erst war eine Erkältung schuld an der Misere, dann hieß es, Biden sei über-vorbereitet gewesen, und mittlerweile lagen seine Aussetzer am Jetlag, den er sich bei seiner Reise nach Europa zugezogen habe, obwohl er sich nach seiner Reise (in der Airforce One, nicht der Holzklasse der Bahn) mehr als eine Woche lang in Camp David davon erholen konnte.
Biden selbst ist noch in Phase eins und leugnet. Stephanopoulos sagt er im Interview, die Umfragen sähen ihn Kopf an Kopf mit Trump - was nicht stimmt. Die Leader seiner Partei drängten ihn angeblich, im Rennen zu bleiben - das muss er gründlich missverstanden haben. Selbst Pelosi sagte gegenüber MSNBC, es sei eine legitime Frage, ob Bidens Performance nur Episode oder schon Zustand sei. Und wir dürfen annehmen, dass sie die Antwort kennt.
Akklamation und Albtraum
Das Problem ist nämlich, dass niemand mehr an eine Episode glaubt. Leaks aus dem inneren Kreis der Demokraten zeigen die mittlerweile herrschende Panik. Nicht nur in den Swing States schafft Bidens Zustand klare Mehrheitsverhältnisse zugunsten von Trump in den Umfragen, selbst Staaten wie New Hampshire, New Jersey und Virginia sind nicht mehr sicher. Und was noch verheerender ist: Biden schadet als Frontrunner der Demokraten dem gesamten Wahlzettel unterhalb der Präsidentschaft. Parallel wird ja auch für Kongress und Senat gewählt. Starke Präsidentschaftskandidaten steigern die Chancen der Kandidaten „weiter unten“ auf der Liste. Schwache Kandidaten ziehen dort alles mit sich in den Abgrund. Ein Präsident Trump 2.0 mit deutlichen Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments ist möglich. Für die Demokraten ein Albtraum!
Das ist der eigentliche Grund, warum man versuchen wird, Biden die Kandidatur noch auszureden. Doch es ist wichtig, dass Biden selbst die Hand erhebt, die ihn aus der Kandidatur kegelt. Die Vorwahlen sind längst gelaufen, und die Demokraten haben es als Zeichen der Stärke verkauft, dass des bei ihnen keine gegeben hat. Biden war gesetzt und basta! Nun erweist sich diese Art der Akklamation als Schwäche: Es gibt keine „Nummer zwei“, keinen in Debatten geformten Prinzen und auch keine Prinzessin.
Kamala Harris war nie als Nachfolge für Biden eingeplant, sie war vielmehr dessen Lebensversicherung, die man nach dem Ende von Bidens Amtszeiten durch Vorwahlen wieder loswerden könne. Wenn ich raten müsste, dann kam sie - erfolglos und unbeliebt, wie sie ist - durch eine Einflüsterung von Jill Biden ins Team. Als Schild mit der Aufschrift: Greift Biden an, dann bekommt ihr mich! Der Schild funktioniert perfekt und sorgt gerade dafür, dass der innere Kreis um den Präsidenten die Attacken aus Partei und Medien einfach ignorieren kann. Denn es geht nicht nur um Joe Bidens Befähigung, als Kandidat der Dems im Wahlkampf zu ziehen. Denn wer dazu körperlich und noch entscheidender geistig nicht in der Lage ist, sollte erst recht keinen Zugriff auf die Nuklearcodes haben.
Der Keil unter der Tür
Überredet man Biden also zum Verzicht auf die Kandidatur, steht auch sofort seine Eignung zur Amtsführung und damit der 25. Verfassungszusatz zur Disposition. Das Verfahren selbst müsste durch Harris ausgelöst werden, die sich mit der Mehrheit des Kabinetts in einer schriftlichen Erklärung an den Kongress wenden müsste, um Bidens Amtsgeschäfte zu übernehmen. „Unburdened by what has been“, wie Harris es wohl ausdrücken würde. Sie ist so nahe, so kurz davor, nur noch so wenig muss passieren, um sie durchs Ziel zu tragen. Bidens Versicherungspolice wird zum Mühlstein, der ihn und seinen ganzen inneren Kreis mit sich in die Tiefe ziehen könnte. Und sie wird nicht verzichten. Sie wird keine Rochade über sich ergehen lassen und einen Interims-Gavin-Newsom oder eine Interims-Michelle-Obama an ihre Stelle treten lassen, damit Biden sich auf die Veranda zurückziehen kann.
Sie wird sich nicht austauschen lassen, dafür hat Biden selbst gesorgt, als er sie auf dem Diversity-Ticket ins Weiße Haus eingeladen hat. Schwarze Aktivisten haben schon deutlich zu verstehen gegeben, was sie davon hielten, sollte man Kamala noch kurz vor Toresschluss gegen einen oder eine fähigere Vizepräsidentin austauschen. Roosevelt konnte sich von Henry A. Wallace trennen, weil ihm seine pro-sowjetischen Ansichten nicht passten, und ihn durch Truman ersetzen. Im Zeitalter von Diversity und hysterischem Aktivismus geht sowas nicht mehr ohne empfindlichen Verlust von Moralpünktchen. Harris steckt wie ein Keil unter der Tür zum Oval Office, die nun weder auf noch zu geht.
Dabei reißen selbst jetzt die Beschwichtigungen nicht ab. Nicht alle haben den Schuss gehört oder glauben, Umfragen und Lage würden sich noch verbessern. Die Regierung sei doch handlungsfähig… irgendwie. Eine Präsidentschaft, das sei doch Teamwork, es gäbe so viele Menschen rund um Joe Biden, die ihn unterstützten und in seinem Sinne handelten. Was nach Fürsorge klingen soll, jagt Verfassungsrechtlern Angstschauer über den Rücken. Denn die US-Präsidentschaft ist eben nicht „Teamarbeit“, sondern so zugeschnitten, dass alle Entscheidungen der Exekutive am Ende in einer Hand zusammenlaufen. In der Hand eben jenes Mannes, den die Amerikaner im November 2020 gewählt haben. Da stand kein Team auf dem Stimmzettel. Von vielen Namen in diesem Team haben die Amerikaner noch nie gehört, und nun gibt man mehr oder weniger offen zu, dass eigentlich sie es sind, die das Land führen?
Viele Entscheidungen müssen neu bewertet werden
Der Kater schläft und die Mäuse tanzen auf dem Tisch. Viele Entscheidungen der letzten Jahre aus dem Weißen Haus müssen in diesem Licht neu bewertet werden. Der völlig misslungene Truppenabzug aus Afghanistan, das konfuse Hin und Her bei der Bekämpfung der Hamas, die dreiste Hinwegsetzung über ein Urteil des Supreme Court zur Streichung von Studienkrediten, der merkwürdige Wechsel des Matthew Colangelo von einem hohen Posten im Justizministerium an die Seite von Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg, um diesem im Prozess gegen Trump zu helfen… die Liste der Merkwürdigkeiten ist lang und lässt sich auf folgenden Nenner bringen: Der Boss entscheidet nicht alles, der Boss weiß auch nicht alles. Und weil er vergisst, was er weiß, hat man im Notfall immer ein glaubwürdiges Dementi auf dem Teleprompter parat.
Und die Medien? Die versuchen sich in Schadensbegrenzung, indem sie sich als Opfer von Täuschung und Intrige darstellen. Hätte man nur gewusst, wie es wirklich um Joe Biden steht, hätte man nur Videos gesehen oder Symptome erkannt! Doch auch hier ist mit dem Narrativ auch die Glaubwürdigkeit beschädigt. Schließlich gab es diese Videos, und selbst CNN & Co. buddeln nun die „Verwirrter Biden“ Momente im Dutzend aus den Archiven, wo sie bis letzte Woche noch unter „Billige Fälschung“ (Pressesprecherin Karine Jean-Pierre) rubriziert waren. Die Medien haben Biden aufgegeben. Sie hatten sich darauf verlassen, dass die Dems und „Das Team“ den Laden im Griff haben, dass das, was seit Jahren alle sehen konnten, nicht wirklich schlimm und die Lage beherrschbar sei. Sie hatten sich auf „Team Biden“ verlassen, dabei war es „Team Biden“, das sich auf sie verlassen hat. Jemand hat nun das Fenster geöffnet, und eine kühle Brise Realität lässt das Soufflé in sich zusammenfallen.
In Bidens Partei kann man gerade leicht erkennen, wer noch Ambitionen hat und wer nicht. Je vehementer die Treueschwüre auf Biden ausfallen, umso näher sieht man sich selbst am Zugriff auf das höchste Amt. Newsom, Whitmer oder Schumer können das Messer nicht gegen Caesar erheben, denn sie wollen ihn beerben. Der Dolch liegt auf dem Tisch, und jeder Tag, den Biden verstreichen lässt, reißt die Umfragen um ein paar Zehntelprozente herunter. Die Namenlosen im inneren Zirkel um den Präsidenten ziehen die Mauern derweil noch ein wenig höher und spielen Biden eine Realität vor, die es längst nicht mehr gibt.
Er würde immer noch große Menschenmengen mit seinen Reden anziehen, sagte Biden im Interview mit Stephanopoulos, was selbst für den zu viel Selbstlob war: „Ich glaube nicht, dass Sie das Massenspiel spielen wollen. Donald Trump kann große Menschenmengen anziehen. Daran besteht kein Zweifel.“ Auch Behauptungen wie, er habe China schachmatt gesetzt und es gäbe einen Friedensplan für den Nahen Osten, spiegeln nur die Scheinwelt, in der Binden mittlerweile lebt. Eine Welt, in der er kraftvoll Politik macht, mitreißende Reden hält und Trump nichts außer Lügen verbreitet. Die dreisteste Lüge von allen verbreitet Biden allerdings Tag für Tag selbst. Nämlich die, dass er in der Lage sei, das Amt des Präsidenten auszufüllen, in welches er gewählt wurde, und zwar so gut, dass er es noch weitere vier Jahre ausüben könne.
…und nachts klingelt das Telefon
Als 2008 die Vorwahlen der Demokraten auf das Duell Hillary Clinton gegen Barak Obama zusteuerten, brachte Clintons Kampagne einen aus heutiger Sicht bemerkenswerten TV-Spot. Der Plot geht etwa so. Es ist nachts und Amerika schläft den Schlaf der Gerechten. Um drei Uhr nachts klingelt plötzlich das Telefon. Die Krise ruft an. Irgendeine Krise irgendwo auf der Welt. Es gilt, schnelle Entscheidungen zu treffen, die richtigen Leute zu informieren, Befehle zu geben und Raketen zu starten. Natürlich ging im Clip Hillary ans Telefon, die Erfahrung in Person, die mit allen Wassern gewaschene Außenpolitikerin. Was könnte da ein Grünschnabel wie Obama…
Trump könnte diesen Spot heute in Dauerschleife senden, ergänzt mit folgendem Text: Es ist drei Uhr nachts, das Telefon klingelt, aber niemand nimmt den Hörer ab. Denn Joe Biden schläft bis 10 Uhr morgens.
Roger Letsch, Jahrgang1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de.