Tausende orthodoxe Juden demonstrierten in New York gegen die Wehrpflicht – doch im Internet wurde daraus angeblich ein Aufstand gegen IsraelTausende orthodoxe Juden demonstrierten in New York gegen die Wehrpflicht – doch im Internet wurde daraus angeblich ein Aufstand gegen Israel
Eine New Yorker Demonstration ultraorthodoxer Juden wird im Netz zur „Massenkundgebung gegen Israel“ umgedeutet – ein Beispiel dafür, wie Desinformation heute funktioniert.
Es war ein gewöhnlicher Sonntagnachmittag in Manhattan, doch in den sozialen Netzwerken wurde daraus binnen Stunden ein politischer Sturm. Tausende ultraorthodoxe Juden, die in New York gegen die geplante Abschaffung der Wehrdienstbefreiung für Tora-Studenten demonstrierten, wurden auf X (vormals Twitter) plötzlich zu „Juden im Aufstand gegen Israel“.
Eine Nutzerin namens Khalissee, gefolgt von Hunderttausenden, postete ein Video mit der Zeile: „THOUSANDS of Orthodox Jews take to the streets of New York City to protest against the state of Israel. Judaism is not Zionism.“ – und aus einer religionsinternen Protestkundgebung wurde über Nacht ein globales Symbol gegen den jüdischen Staat.
Was tatsächlich geschah
Nach Recherchen israelischer Medien wie N12 fand die Kundgebung am Sonntag, dem 19. Oktober, direkt vor der israelischen Konsulatsvertretung in Manhattan statt. Anlass war die Entscheidung des israelischen Obersten Gerichtshofs, dass die Wehrdienstbefreiung für ultraorthodoxe Männer aus religiösen Seminaren nicht länger verfassungsrechtlich haltbar sei.
Dagegen richtete sich die Empörung – nicht gegen Israel selbst, nicht gegen den Staat, nicht gegen seine Existenz.
Organisiert wurde der Protest von beiden rivalisierenden Zweigen der chassidischen Bewegung Satmar, die sich ausnahmsweise gemeinsam an die Öffentlichkeit wandten. Unterstützt wurde der Aufruf vom „Central Rabbinical Congress of the USA and Canada“, einer Dachorganisation strengreligiöser Gemeinden.
Einer der Organisatoren, Rabbi Moshe Indig, erklärte offen: „Wir danken der Regierung der Vereinigten Staaten, dass wir hier frei unseren Glauben leben dürfen.“ Keine einzige Zeile seiner Rede richtete sich gegen Israel, sondern gegen den Gedanken, junge Männer zu zwingen, Militärdienst zu leisten, statt in den Jeschiwot Tora zu studieren.
Wie Lügen viral gehen
Doch in den sozialen Netzwerken gelten andere Regeln. Dort, wo Fakten zu lang und Kontexte zu mühsam sind, verwandeln sich Bilder in Schlagwaffen.
Khalissees Video wurde millionenfach angesehen, geteilt und kommentiert – häufig begleitet von antisemitischen Untertönen: von „even Jews reject Israel“ bis „Zionism is collapsing“.
Die Formel „Judaism is not Zionism“ dient seit Jahren als rhetorische Tarnung: Sie wird von Aktivisten benutzt, um den Eindruck zu erwecken, Judentum und Israel stünden in Gegnerschaft zueinander. Tatsächlich aber lehnt die übergroße Mehrheit der religiösen Juden weltweit diesen Gegensatz ab.
Was Khalissees Post verschweigt: Auch viele orthodoxe Juden, die gegen den Wehrdienst protestieren, sehen Israel als ihre geistige und historische Heimat. Ihr Streit ist ein innerjüdischer, kein antiisraelischer.
Wer diesen Unterschied verwischt, betreibt keine Aufklärung, sondern Propaganda.
Von der religiösen Debatte zur politischen Waffe
Solche Manipulationen sind kein Zufall. Sie folgen einem klaren Muster: Jede religiöse Kontroverse im jüdischen Leben – ob es um Schabbat, Kippa oder Wehrpflicht geht – wird in den sozialen Medien zu einem Argument gegen Israel selbst umgedeutet.
Die Strategie ist alt, die Plattformen sind neu. Sie funktioniert, weil viele Nutzer längst verlernt haben, Quellen zu prüfen oder hebräische Texte zu verstehen. Die Videoausschnitte zeigen Menschen mit Schläfenlocken und Transparenten, hebräische Schriftzüge und israelische Flaggen – und damit genug visuelle Symbole, um jede Behauptung glaubwürdig erscheinen zu lassen.
Doch Wahrheit bleibt messbar: Es war keine Demonstration gegen Israel.
Es war eine Demonstration von Juden, die an Gott glauben und über die Wehrpflicht streiten. Nur im Internet wurde daraus ein Aufmarsch gegen den jüdischen Staat – weil sich Lüge und Bild besser verkaufen als Wahrheit und Kontext.
Die Folgen
Solche Verzerrungen sind nicht harmlos. Sie nähren die Vorstellung, Juden seien gespalten, Israel stehe selbst unter moralischer Anklage, und Antisemitismus sei damit irgendwie „legitim“.
In Wahrheit wird hier nicht über Religion gestritten, sondern mit Religion Stimmung gegen Israel gemacht.
Die Kampagne um Khalissees Video zeigt, wie leicht sich ein Ereignis missbrauchen lässt, wenn die Welt schon bereit ist, das Falsche zu glauben.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot X
Montag, 20 Oktober 2025