Candace Owens und der Vorwurf aus dem Nichts: Wie eine Influencerin einen ganzen Staat unter Beschuss stelltCandace Owens und der Vorwurf aus dem Nichts: Wie eine Influencerin einen ganzen Staat unter Beschuss stellt
Die amerikanische Kommentatorin behauptet, Frankreichs Präsident und angeblich ein israelischer Agent hätten ihre Ermordung geplant – ohne jedes belegbare Detail. Der Fall zeigt, wie gefährlich Verschwörungserzählungen geworden sind.
Es ist ein schwerer Vorwurf, der binnen Stunden um die Welt ging: Die US-Kommentatorin Candace Owens erklärte öffentlich, Emmanuel und Brigitte Macron hätten die Tötung eines amerikanischen Staatsbürgers in Auftrag gegeben – nämlich ihre eigene. Dazu komme, so Owens, die angebliche Beteiligung eines israelischen Spezialisten. Es sind Anschuldigungen, die den Kern internationaler Beziehungen berühren und zugleich ein Lehrstück dafür sind, was geschieht, wenn ein einzelner Social-Media-Post ausreicht, um das Vertrauen in staatliche Institutionen zu erschüttern. Doch bei allen dramatischen Behauptungen fehlt ein entscheidendes Element: Beweise.
Owens veröffentlichte ihre Aussagen in einer dringlichen Botschaft, die sie als »URGENT« markierte. Sie schilderte einen anonymen Anruf, der sie gewarnt habe, die Macrons hätten einen Einsatz der französischen Spezialeinheit GIGN genehmigt. Ein israelischer Operateur sei beteiligt gewesen, der Einsatz bereits »formalisiert«. Konkretes Material blieb sie schuldig. Weder Dokumente noch nachvollziehbare Quellen wurden veröffentlicht. Auch die Beschreibung des angeblichen Informanten wirkt wie aus einem Thriller entnommen: ein »hochrangiger Mitarbeiter« der Regierung, der aus Sorge um ihr Leben die Grenze zur Illoyalität überschritten habe. In der Realität würden solche Hinweise – wären sie auch nur annähernd authentisch – sofort ein internationales Krisenregime auslösen. Doch genau das geschah nicht.
Frankreich, die USA und Israel schweigen bislang. Nicht aus Nervosität, sondern weil die Vorwürfe jeder Grundlage entbehren. Keine Behörde bestätigte Hinweise auf eine Bedrohung. Keine Ermittlungsstelle leitete Untersuchungen ein. Es gibt keinen einzigen unabhängigen Hinweis, der Owens’ Darstellung trägt. Die erste Reaktion kam nicht aus diplomatischen Kreisen, sondern aus dem Netz: Eine Mischung aus Alarmismus ihrer Anhänger und offener Kritik, verbunden mit dem Hinweis, dass Owens in der Vergangenheit wiederholt Verschwörungen verbreitete, die nachweislich widerlegt wurden.
Besonders brisant ist, dass Owens ihre Geschichte mit dem Mord an Charlie Kirk verknüpft. Der Gründer von Turning Point USA war im September erschossen worden. Noch bevor Polizei und FBI ihre Ermittlungen abgeschlossen hatten, nutzte Owens den Mordfall, um ein Netz aus angeblichen internationalen Verwicklungen zu spinnen – ein Muster, das sich nun fortsetzt. Die Behauptung, Kirks Mörder hätte in Einheiten gedient, die dem französischen Militär nahestehen, passt zu dieser Dramaturgie. Auch hier gibt es keine Belege. Doch in der Logik einer Verschwörungserzählung genügt der Anschein, um Misstrauen zu säen.
Hinzu kommt der Kontext: Owens befindet sich in einem eskalierenden Konflikt mit dem französischen Präsidentenpaar. Beide haben im Sommer 2025 eine umfassende Klage in Delaware eingereicht, weil Owens die bizarre Behauptung verbreitet hatte, Brigitte Macron sei heimlich transident und habe ihre Identität täuschend verschleiert. Die Klage wirft ihr bewusst falsche Tatsachenbehauptungen vor, die sie trotz gegenteiliger Dokumente weiterverbreitet habe. Dass Owens nun ausgerechnet gegen jene Personen, die ihr juristisch gegenüberstehen, mörderische Absichten konstruiert, lässt den Vorgang in einem anderen Licht erscheinen: Es ist keine Warnung – es ist eine Eskalation.
Eine der gefährlichsten Folgen solcher Erzählungen ist, dass sie den Raum des Möglichen verschieben. Wenn staatliche Akteure als Feinde dargestellt werden, wenn demokratisch gewählte Präsidenten zu Auftragsgebern von Mordkommandos erklärt werden, dann entsteht ein Weltbild, das sich von überprüfbaren Realitäten löst. Für jene, die Owens folgen, ist die Geschichte nicht nur ein Post, sondern ein vermeintlicher Beweis dafür, dass die Welt von Intrigen und geheimen Eliminierungsplänen beherrscht wird. Dass Israel dabei miterwähnt wird, ist kein Zufall. Die Kommentatorin hat seit Jahren ein wechselhaftes Verhältnis zu Israel, oft geprägt von Übertreibungen, und ihre Abwendung von jüdischen Kollegen im politischen Spektrum ging mit einer Zunahme antiisraelischer Narrative einher.
Es ist deshalb wichtig, diesen Fall klar zu benennen. Nicht, weil eine prominente Influencerin eine persönliche Krise erlebt. Sondern weil ihre Reichweite groß genug ist, um Misstrauen gegenüber Staaten zu befeuern, die sich plötzlich gegen Anschuldigungen verteidigen müssen, die nie stattgefunden haben. Die Gefahr solcher Erzählungen liegt nicht darin, dass sie wahr wären. Sondern darin, dass sie Wirkung entfalten. Wer diese Mechanismen kennt, erkennt sofort die Muster: diffuse Andeutungen, Berufung auf geheime Quellen, das Fehlen jeder Prüfung, die Abkoppelung von institutionellen Abläufen und die Erzählung, man könne niemandem mehr vertrauen.
Solche Mechanismen sind längst zu einem politischen Werkzeug geworden. Sie erzeugen nicht Fakten, sondern Klima. Ein Klima, in dem Anschuldigungen gegen Regierungen ihre Glaubwürdigkeit verlieren und die Grenze zwischen Kritik und Rufschädigung verwischt. Der Fall Owen zeigt, was auf dem Spiel steht: die Fähigkeit demokratischer Gesellschaften, Ereignisse einzuordnen, ohne im Sog digitaler Dramatisierung zu versinken.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Gage Skidmore from Peoria, AZ, United States of America - Candace Owens, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=66836269
Montag, 24 November 2025