Ex Oriente Lux - Bessere Zeiten? Nur Beschränkt!

Ex Oriente Lux - Bessere Zeiten? Nur Beschränkt!


Anblick. Nein, die Demokratie hat in Istanbul nicht gesiegt. Gesiegt haben mit einer komfortablen aber immer noch knappen Mehrheit die Stimmen der Stimmung gegen einen quasifaschistischen Potentaten.

Ex Oriente Lux - Bessere Zeiten? Nur Beschränkt!

Von Torsten Kurschus, FogEP - Forschungsgemeinschaft Ethik und Politik e.V.

Normal und demokratisch wäre es gewesen, wenn viel mehr Kandidaten zu einer echten Wahl gestanden hätten. Das war nicht der Fall. Diese Dualisierung zwischen einem islamistischen Unterdrücker und einem nationaltürkischen zeigt das ganze Dilemma dieser Wahl, die wirklich keine war.

Letztlich war es die Wahl zwischen zwei Krankheiten mit der Hoffnung, an der „gewählten“ nicht zugrunde zu gehen. Denn die CHP ist keineswegs eine demokratische Partei im westlichen Verständnis. Die CHP, die gern in Deutschland fälschlicher Weise mit Sozialdemokraten assoziiert wird, ist weit davon entfernt, so etwas wie die alte Tante zu sein, sowenig wie die Bürgerlichen hier auf Ihrer Wolke glauben wollten, die AKP wäre eine Art islamische CDU. Der Traum ist geplatzt, die Schrecksekunde ist geblieben und die Phantomschmerzen brennen immer noch, sowie der Traum von einem Traum.
Sie, die CDSUSPD werden es auch nicht begreifen, dass sie es waren, die die Natter Erdogan an ihrer Brust genährt haben. Es  ist eine Schlange die erst das Volk mit dem Islamismus vergiftet und dann die Demokratie erdrosselt und mit ihrer gespaltenen Zunge die türkischen Vielvölker gespalten hat.
Schon um 1900 hatten die Deutschen kräftig mitgewirkt, die längst untergehenden Osmanen mit Rat und Tat bei Vertreibungen von Kurden, Griechen, Aramäern und anderen Volksgruppen, im Krieg in Gallipoli gegen die ANZAC-Alliierten von 1915 und vor allem dem Völkermord an den Armeniern und zu unterstützen.
Die Kurden, damals noch gern von den Deutschen auch Bergtürken genannt, hatten jedenfalls nie eine Chance. In einer postimperialen Weltsicht taten die Türken immer noch so – und Deutschland tat kräftig mit – mit falschen Vorstellungen, kranken Ideologien und unglaublicher Inkompetenz.
So konnte das islamofaschistische System Erdogan entstehen. Schlimm, aber viel besser waren die anderen auch nicht. Es zeigt sich, am Umgang mit den Kurden. Das hat System. Systeme aber ändern sich nicht ohne große Disruptionen. Danach ist aller Anfang schwer und das alles steht noch aus – mal wieder.

Der Aufruf Apos, Abdullah Öcalans, die CHP mit Imamoglu nicht zu wählen, ist wieder mal eine typische türkische Farce. Ja, er das tatsächlich getan, aber unter absoluter Desinformation und Druck.
Plötzlich konnte der alte Mann, der von der heutigen Welt kaum etwas versteht eine Nachricht aus den Hochsicherheitsmauern von Imrali ausgeben. Da kriegen selbst meine drei Pfauen Elefantenstiefel.
Richtig ist, dass die Nationaltürken sich nun in der CHP sammeln. Richtig ist auch, dass damit kein einziges Problem gelöst ist. Und ich höre im Geiste schon das Aufatmen der deutschen Politik und die Vertagung der wirklichen Probleme auf dem Rücken der kurdischen Volksgruppen.
 

Einblick
„Alle Diktatoren sind sich selbstähnlich“ sagte einmal der große Psychologe Alexander Mitscherlich. Nein Erdogan war kein Hitler – noch nicht, obwohl er schon Einiges bei dem gelernt hatte. Aber er möchte gern wie Putin sein, der nicht nur auch ein Diktator, sondern mit geschätzten 230 Milliarden US$ gestohlen von seinem Land, auch der schattenreichste Mann der Welt ist.

Für Erdogan ist der Verlust Istanbuls ein Desaster, es ist der schlimmste anzunehmende Unfall und das in mehrfacher Hinsicht. Zum einen ist der Gesichtsverlust für den Pseudotürken Erdogan fast das Ärgste. Pseudotürke nenne ich ihn deshalb, weil er als Lase Angehöriger eines südkaukasischen nun wirklich übersichtlichen Bergvolkes ist, das mit den alten türkischen und osmanischen Traditionen nun wirklich gar nichts gemein hat. Das ist ein Völkchen, das eben seit dem 19. Jahrhundert selbst Opfer der oben genannten Vertreibungen war, vielleicht nicht so stark, weil eben zu unwichtig. Mancher mag nun sagen: da kann man doch sehen, was man in der Nationaltürkei alles werden kann. Sicher – wenn man alles verleugnet wie der Präsident auf Abruf, wie sich selbst. Dann aber ist der Einheitsstaat, gleich ob islamistischch oder nationalistisch nichts anderes als ein Feigenblatt des Geldverdienens der jeweiligen Macht nach iranischem Vorbild. Chrustshov, Breshnev, Andropov und Gorbatschow hatten ein Politbüro, Erdogan hat nur seine Lakaien und seinen Sohn, darin gleicht er auch wieder Trump, den er hasst und zugleich verehrt.

Ach könnte man sich doch nur in meinem Bett lieb haben…  Schlimmer aber als der Gesichtsverlust für einen Kaukasier, der gern auch mal überlebenslange Blutfehden wegen so etwas  anzettelt, ist sein in der eigentlichen Hauptstadt vielleicht verlorenes Geld. Mit 16 Mio. Einwohnern generiert die Hauptstadt, die einmal Erdogans war ca. 40% des Bruttosozialproduktes der Türkei. Das sind 850 Milliarden US$ davon bleiben 6 Mrd. im Budget der Hauptstadt. Das ist viel weniger als Berlin mit z.B. 26 Mrd. Aber Istanbul ist nicht die deutsche Hauptstadt und die Türkeimetropole ist die eines Entwicklungslandes – dessen BIP mehr als 4 mal geringer als das Deutschlands bei fast gleicher Bevölkerungszahl (D=82 Mio/T=80 Mio) ist. Aber es ist eben immer noch eine immense Kasse, an der man sich richtig bedienen kann, wenn man an den richtigen Posten sitzt. Das ist erst einmal so vorbei.
Dass es besser wird, bleibt Hoffnung und Frage zugleich.
Geschätzter Weise gehen der Megastadt jährlich hunderte von Millionen im Jahr verloren, weil sie direkt in die Taschen, von Erdogans Clique und der ihr folgenden Mafia fließen. Ein Wahlwerkzeug, um sich Stimmen, Einfluß und damit Macht zu kaufen. Das wird jetzt deutlich schwieriger, es ist aber die Machtbasis Erdogans, von der er nicht tolerieren kann, dass sie ihm verloren geht.
Nachdem Erdogan nun seit 25 Jahren sein Land beklaut hat, wie Putin, wenn auch nicht in dessen Umfange, hat er aber seine Gefälligkeiten schon als Istanbuler Bürgermeister daraus bedient. Das war die Quelle seiner Macht, gewählt vom Plebs, der in Istanbul bei der Sozialstruktur bei geschätzten guten 60% liegt. Insofern war die Wahl Imamoglus bei 54% schon wirklich knapp, aber ein riesiger Erfolg der Bürger, der Intellektuellen, der Unternehmer, Handwerker und der Nicht-Türken.
Warum hat er so hoch gepokert? a) weil man von seiner Macht und seinem Geld schwer lassen kann. b) weil man es kaum glauben kann, dass man nicht allmächtig ist und nicht begreifen kann, wann finito ist. Das Letztere geht gerade auch Lady Merkele so, wie so vielen anderen in anderen Lagen.   

Ausblick
Ein guter Freund dieses Hauses, der Publizist Tomas Spahn aus Hamburg definierte einmal einen wesentlichen Aspekt der Demokratie so: „es ist die einzige Möglichkeit mit heiler Haut von seinen Pfründen lassen zu können“. Putin hat z.B. diese Chance längst nicht mehr, wie einst Hussein, Assad gar nicht mehr und Erdogan kaum noch.

Die Gratulation an Imamoglu ist auch nur eine Farce wie alles von ihm. Der am schlechtesten angezogenste Staatschef um den 35. Längengrad mal 2000 km nach Ost oder West gesehen, muss sich umsehen. Er muss sich umsehen, wo er bleibt, wenn Istanbul aus dem Ruder läuft und das ist kurz davor.
Nur folgende Optionen gibt es für ihn.
a) er kauft die Opposition, mit allem was dazugehört.
b) er schwenkt um, auf den Kurs einer „gelenkten Demokratie“,
c) er versucht mit seinen neuen präsidialen Vollmachten den Kontrahenten Terrorismus anzuhängen und
d) er geht mit seiner Sippe und seinem Vermögen außer Landes
e) er lenkt dermaßen alles mit einem Kleinkrieg ab

Zu a) Das wird kritisch, weil er nun sehr gezielt mit seinen schwindenden Ressourcen umgehen muss und von seinem „Besitz“ wird er nichts abgeben, das können Diktatoren nämlich nicht. Auch hier müsste er wirkliche Klimmzüge machen, wie ad hoc allen Kurden Rechte zuzubilligen, was er zu Beginn seiner Präsidentschaft auch mehrfach angedeutet hatte. Das wird er auf jeden Fall versuchen, zu groß sind aber die Verletzungen und Wunden der Eliten in Militär und Verwaltung seit 2015.

Zu b) Auch das wird schwierig, weil es einen sehr langen Atem und Punkt a) brauchen würde, um das zu bewerkstelligen. Die Wut der Opposition ist viel zu groß, um hier die Korruption im Geld- und Personalgeflecht noch unter den Tisch fallen lassen zu können. Außerdem reden Leute, die dann unter den Tisch fallen würden und sich ungerecht und benachteiligt behandelt führen, gleich ob verdient oder nicht. Auch hier gilt der letzte Satz von a) mit dem Hass der Ausgeschalteten. Das läßt sich nicht mehr fügen, aber das würde Sanktionen lockern, ihn damit entlasten und ihm wesentliche Zeit kaufen.

Zu c) Das gibt den Bürgerkrieg. Schon ein Polizeistaat würde dies nun verschärfen. Die ohnehin schon harten Sanktionen haben mit den Investitionsrückzügen der freien Wirtschaft die Türkei schon an den Rand des Ruins  gebracht. Eine weitere Verschärfung wäre noch mit einer Externalisierung nach außen zu verhindern (Näheres im letzten Punkt) Ein solcher Bürgerkrieg wäre das Ende der Türkei und des alten Kolonialsystems im Nahen Osten. Der selbstgeschaffene Dorn im Auge des Westens, an dessen Zündschnur der Kunstkonstruktion von Seykes-Picot von vor genau 100 Jahren ohnehin schon immer die Lunte brennt. Deshalb wird ausnahmsweise der Westen handeln, um das diplomatisch mit enormen Kosten zu verhindern.

Zu d) Wo soll er denn hin? Da kommt wieder der Putin-Vergleich gut, denn schon jetzt können sich dessen beide Töchter kaum noch im Ausland sehen lassen. In einigen Ländern gelten diese als Persona non grata, mal von den Austern abgesehen. Sicher, die Summen Erdogans, der am liebsten eine Erbdemokratie seiner Sippe nach kaukasischem Vorbild aufbauen würde sind übersichtlich. Aber so etwas braucht sehr viel Zeit. Die haben Diktatoren eigentlich nicht. Ja wohin? Es müsste nun schon ein sehr islamisches oder sehr abgefahrenes Land sein. Da kommt man auch mit Geld noch weiter und nur dort könnten seine Enkelkinder noch was von dem Vermögen haben, das sein Sohn bei seinem Lebenswandel nicht schon verabendbrotet hat. Russland, Iran, Saudi Arabilen fallen aus. Negerländer wie Sudan oder so sind dirty und zu heiß, Marokko zu billig, Jordanien zu feindlich, dann bliebe nur sowas wie Indonesien oder Phillipinen – schön, wer’s mag. Ich mag Taiwan, aber da käme das bestimmt nicht gut.
Zu e) Ja, das passt zu ihm und ist in der Geschichte bewährt, er hat ja auch schon mal in Syrien geübt. Letztlich würde er das aber weder finanziell und noch weniger waffentechnisch durchhalten. Wenn die ersten nicht mehr zu verheimlichenden Toten nachhause kämen, würde ihn auch kein Heldengetue mehr retten können. Und letztlich würden die Sanktionen noch härter greifen. Dann wären nicht mehr Stunden, sondern Minuten für ihn gezählt.

Für viel mehr wird in seinem Boot kein Platz sein, denn was kann er mitnehmen? Wir wissen auch, dass sich die Türkei kaum ändern kann. Erdogan hat viel dazu beigetragen, sie in’s Mittelalter zurückzu“führen“. Da mögen die deutschen Nationaltürken mit Ruprecht Polenz und Co. schreien und versuchen in Deutschland eine Nebentürkei aufzumachen. Im Gegensatz zu denen gibt es hier eine Zivilgesellschaft die lebt und von der auch diese Verräter leben.

Wir denken, er wird eine Mischung aus b) und c) versuchen und d) vorbereiten.
Eigentlich kann er nur versuchen sich dem Westen anzunähern, das hätte Aussichten, weil der opportunistisch seeligduselige Westen eben so ist und damit auch noch dem Druck der USA folgte – oder er müsste sich in die Arme Putins begeben, denn auch wenn Pack sich schlägt und mal verträgt gilt, Gleich und Gleich gesellt sich gern.
Das kann man auch rational begründen. Allerdings sind die Folgen unabsehbar, denn die Türkei wird auf Dauer kein demokratischer Staat werden (können). Zu groß ist die Ferne zur Aufklärung und zu den gelebten wenn auch zu oft vorgetäuschten Werten des Westens, zu winzig das Band, das eine Zivilgesellschaft zusammenhält.
Wir im Westen waren der Coca-Cola-Illusion erlegen. Wir haben geglaubt, dass unser Way-of-Live mit den Nylonstrümpfen und der Whyskispur der 50er ein Nationbuilding (andere schreiben -forming) möglich macht, wie bei uns oder in Japan. Das klappt in rationalen Gesellschaften und dort, wo man sich treffen will. Es scheitert an religiösen Ideologien immer.

Um mehr zu erfahren, sollten wir jetzt den kleinen Pascha, Erdogans Sohn nicht aus den Augen verlieren. Sprich verfolgen, wohin und zu wem er fährt, denn das ist ein Frühindikator, für das was passieren wird. Das wird noch spannend.

Eines bringt diese Wahl aber auch für den Sultan. Er wird versuchen, alles was für alle möglichen Türken schief läuft, seiner Unterschichtenklientel verständlich machen wollen, dass die anderen und am besten noch die europäisierten und intellektualisierten 5. Kolonnen aus Istanbul an allem Schuld sind. Damit hätte er landesweit auch wirklich wieder Chancen für die nächsten Parlamentswahlen. Damit steht Imamoglu unter erheblichem Druck, denn er muss zeigen, dass er einen inhomogene 16 Mio-Moloch regieren und Erdogan entzaubern kann.

Wir müssen also im Umgang mit der Türkei klüger sein als zuvor und gewonnen ist bis dahin gar nichts.
 


Autor: Torsten Kurschus
Bild Quelle: VOA [Public domain]


Montag, 24 Juni 2019