Raw Ciner zu Parschat Re´eh: Trauer: ja - Verzweiflung: nein!

Raw Ciner zu Parschat Re´eh:

Trauer: ja - Verzweiflung: nein!


An diesem Shabbat lasen wir die Paraschat Re´eh aus der Torah. Raw Frand erläutert Aspekte dieser Parascha und ihrer Bedeutung. Heute lesen Sie den zweiten Kommentar zur Paraschat.

Trauer: ja - Verzweiflung: nein!

Unsere Parscha bespricht auch die jüdische Einstellung zum Tod. "Banim atem LaSchem Elokejchem, lo titgodedu! [14: 1]“ Als Nichtjuden vom Tod eines geliebten Menschen vernahmen, fügten sie sich vor lauter Leid Schnitte und Wunden zu. Uns wurde befohlen: "Ihr seid Kinder von Haschem; misshandelt euch nicht!" Der Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass wir Kinder G´ttes sind und dieser "schneidenden" Zurschaustellung der Trauer kann auf mehrere Arten erklärt werden.

Die Ba´alej Tossafot erklären, dass ein Mensch, wenn er einen nahen Verwandten verliert, durch das Wissen, dass er noch weitere nahe Verwandte besitzt, getröstet wird. "Banim atem LaSchem Elokejchem!" Ihr seid nicht verwaist! Ihr seid Kinder von Haschem! Euer ewiger Vater lebt weiter! Trauer ist angebracht, Verzweiflung nicht. Man erzählt von einer Mutter, die zuschauen musste, als die Nazis ihr einziges Kind umbrachten. Sie blickte himmelwärts und schrie: "Herr der Welt! Bis jetzt teilte ich meine Liebe zwischen Dir und meinem Kind. Jetzt ist meine Liebe zu Dir ungeteilt!" Obwohl diese Stufe weit über der unsrigen steht, können wir viel daraus lernen.

Der Or Hachajim hat eine andere Auslegung. Er bringt ein Gleichnis, das ich ein wenig ausschmücken werde. Ein Vater schickte seinen Sohn in ein entferntes Land, um für ihn Dinge zu erwerben, die er zuhause nicht erhalten konnte. Der Sohn verbrachte dort eine längere Zeit und knüpfte in diesem Zeitraum viele gute Freundschaften. Schliesslich kam der lange erwartete Brief vom Vater, in dem er den Sohn nach Hause zurückrief. Am Tag der Abreise kamen alle Freunde zum Hafen, um Abschied zu nehmen. Alle waren traurig und viele Tränen flossen, aber niemand war verzweifelt. Niemand kam auf den Gedanken, sich aus Trauer zu verstümmeln. Wieso? Weil der Sohn wieder zu seinem Vater zurückkehrte. Die Zeit war reif, dass er wieder in seine wahre Heimat zurückreiste. Die Freunde weinten viel, weil sie ihn nicht mehr sehen würden, aber sie wussten, dass er ja weiterlebte. Tränen wegen dem persönlichen Verlust, weil man eine persönliche Beziehung nicht weiterführen oder nicht weiter aufbauen kann, sind richtig und angebracht, Verzweiflung nicht. "Banim atem LaSchem!"

Mögen wir uns immer daran erinnern, wenn wir mit den unausweichlichen Tragödien des Lebens und überhaupt es mit anderen Menschen zu tun haben: "Banim atem LaSchem!"

 

Quellen und Persönlichkeiten:

Or HaChajim: Rav Chaim ben Attar (1696-1743); Livorno, Italien und später Jerusalem; Kabbalist und Toragelehrter.
Ba’alej Tossafot („Tossafisten“): Talmuderklärer des 12. und 13. Jahrhunderts.

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Autor: Raw Frand
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Samstag, 31 August 2019