Raw Frand zu Parschat Schoftim: Anstiftung zum Götzendienst ist schlimmer als die Handlung selbst

Raw Frand zu Parschat Schoftim:

Anstiftung zum Götzendienst ist schlimmer als die Handlung selbst


An diesem Shabbat lasen wir die Paraschat Schoftim aus der Torah. Raw Frand erläutert Aspekte dieser Parascha und ihrer Bedeutung. Heute lesen Sie den zweiten Kommentar zur Paraschat.

Anstiftung zum Götzendienst ist schlimmer als die Handlung selbst

Im Altertum pflegten Götzendiener einen Baum namens Aschera zu pflanzen, den sie für allerlei rituellen Kult verwendeten. Die Torah lehrt uns zu Beginn dieses Wochenabschnitts: "Pflanze dir keinen Hain [hebr. Aschera], überhaupt keinen Baum neben dem Altar des Ewigen, deines G-ttes, den du dir errichten sollst. Und du sollst dir keinen Opferstein [hebr. Mazewa] aufrichten, den der Ewige, dein G-tt, hasst." [Dewarim 16:21-22]

Raschi weist darauf hin, dass uns befohlen wird, einen Altar aus mehreren Steinen und einen Altar aus Erde (gefüllt mit Erde) zu machen - doch ein Altar aus einem einzigen Stein (Mazewa) gehörte zum Ritual der Kena'aniter und war daher verhasst in den Augen des Allmächtigen. Raschi fährt fort: "Obwohl die Mazewa zu Zeiten der Stammväter von Ihm [G-tt] geliebt wurde, ist sie jetzt verhasst geworden, weil sie zum Bestandteil heidnischer Rituale wurde."

Der Ramban (Nachmanides) wundert sich über Raschi und schreibt in seinem Kommentar, er könne diese Erklärung nicht verstehen, denn schliesslich machten die Kena'aniter bei ihren heidnischen Ritualen sowohl Gebrauch von der Mazewa (einem Altar aus einem einzigen Stein), als auch vom Misbeach (einem Altar aus mehreren Steinen). Er zitiert zum Beweis seiner Aussage den Vers: "Und reisset ihre Altäre [aus mehreren Steinen] nieder und zertrümmert ihre Opfersteine [aus einem einzigen Stein], und ihre Haine [Aschera-Bäume] verbrennet durch Feuer..." [Dewarim 12:3]. Der Ramban hat daher eine andere Erklärung dafür: Er ist der Ansicht, dass die Heiden innerhalb ihrer Tempel Altäre aus mehreren Steinen hatten, auf denen sie Opfer für ihre verschiedenen Götter darbrachten. Ausserdem hatten sie einen einzigen, grossen Stein am Eingang des Tempels, auf dem ihre Priester standen - und ganz in der Nähe pflanzten sie einen riesigen Baum, um den Weg zum heidnischen Tempel zu weisen.

Wir müssen uns vor Augen halten, dass es zu dieser Zeit noch keine Plakatwände, Neonschilder und Helium-Ballons gab. Auf welche Art wies man also Menschen den Weg, wie sie zu einem Hause des Götzendienstes gelangen konnten? Man stellte eine Mazewa auf und pflanzte einen speziellen, grossen Aschera-Baum am Eingang der Tempel - das Markenzeichen heidnischer Tempel. Aus diesem Grunde verbat G-tt, dem Götzendienst zuwider ist, die Mazewa und Aschera und erlaubte ausschliesslich den Misbeach, der für die Opfergaben notwendig ist.

Das Sefer Ikwej Erew stellt genau dieselben Fragen zum Ramban, wie der Ramban zu Raschi stellt: Er wundert sich, inwieweit der Ramban die Problematik klärt, denn nach wie vor verstehen wir nicht den Unterschied zwischen Misbeach und Mazewa. Warum hat G-tt ersteres erlaubt und letzteres verboten? Im Gegenteil: Gemäss dem Ramban, war der Misbeach INNERHALB des heidnischen Tempels und die Mazewa war AUSSERHALB. Der Misbeach war der Altar, auf dem sie ihre eigentlichen Opfer darbrachten. Die Mazewa hingegen wurde nur als Plattform benutzt, auf der die Priester zu stehen pflegten. Es würde daher wohl mehr Sinn machen, den Misbeach zu verbieten und die Mazewa zu erlauben!

Aus diesem Grund kommt der Ikwej Erew auf ein sehr interessantes Konzept: Die Aschera und die Mazewa, die ausserhalb des Götzentempels standen, waren SCHLIMMER als der Misbeach, der drinnen stand. Er zitiert das Gebot des Mejssit (hebr. Hetzer, Anstifter), der die Menschen zum Götzendienst anzustiften versucht [Dewarim 13:7-12]. Der Tatbestand, einen jüdischen Mitmenschen zum Götzendienst zu verführen, ist das schlimmste Verbrechen, das ein Jude begehen kann. Die Torah verbietet es, jegliches Mitleid gegenüber dem "Anstifter" zu haben. Die Prozeduren des jüdischen Religionsgesetzes, die sich auf die Strafverfolgung des Anstifters beziehen, beinhalten Anweisungen zur Schliessung jeglicher rechtlicher Schlupflöcher, die es beim Verfahren der Strafverfolgung aller anderen Sünden gibt. Dies bedeutet, dass die Strafverfolgung des Anstifters die strengste in unserer Religion ist.

Es gibt sogar ein beispielloses Gesetz, das es erlaubt, einem verdächtigten Anstifter eine Falle zu stellen. Es empfiehlt, Zeugen hinter einem Zaun zu verstecken und den Anstifter darum zu bitten, seine Worte der Empfehlung hinsichtlich des Götzendienstes zu wiederholen - woraufhin die Zeugen herausspringen und ihn aller einschlägigen Verbrechen bezichtigen!

Wir lernen also aus dem Konzept des Mejssit, dass es schlimmer ist, Menschen vom richtigen Weg abzubringen und sie zum Götzendienst zu verleiten, als den Götzendienst selbst zu verrichten. Die Todesstrafe für Götzendienst lautet Sajif (Tod durch das Schwert), wohingegen die Strafe für Anstiftung zum Götzendienst Skila (Steinigung) lautet, was die härteste Form der Todesstrafe darstellt.

Wenn dies der Fall ist, können wir jetzt verstehen, warum der Misbeach (der für die rituellen Handlungen des Götzendienstes an sich verwendet wurde) nicht für den G-ttesdienst (im jüdischen Tempel) verboten worden ist, wohingegen die Aschera und die Mazewa, die zur Anlockung von Menschen zu heidnischen Tempeln dienten, von G-tt verabscheut und für immer vom jüdischen G-ttesdienst verbannt worden sind.

Nationale Tragödie verdrängt persönlichen Verlust

Der Wochenabschnitt Schoftim (Richter) beinhaltet eine Wiederholung der Gebote bezüglich der "Städte der Zuflucht". Wenn jemand einen Menschen unabsichtlich (be'Schogeg) tötet, hat der nächste Verwandte bzw. Angehörige des Opfers das Recht, Vergeltung zu nehmen und diesen "unabsichtlichen Mörder" umzubringen - sofern dieser nicht in die Stadt der Zuflucht (Ir Miklat) flieht, wo es dem "Bluträcher" (Goel Ha'Dam) verboten ist, ihn zu belangen. Der unabsichtliche Mörder muss bis zum Tode des Hohepriesters (Kohen Gadol) in dieser "Zufluchtsstadt" bleiben [Bamidbar 35:28]. Sobald der Hohepriester stirbt, steht es dem unabsichtlichen Mörder frei, die Zufluchtsstadt zu verlassen - und der Bluträcher darf ihn nicht mehr anrühren.

Der Rambam (Maimonides) diskutiert diese Gesetze in seinem Buch Moreh Newuchim (Führer der Unschlüssigen). Nach seiner Auffassung ist es verständlich, dass wenn der Hohepriester noch fünfzig oder sechzig Jahre nach diesem Vorfall weiterlebt, der Bluträcher genügend Zeit gehabt hat, sich "abzukühlen" und nicht mehr so aufgebracht sein wird, wenn er die Person frei herumlaufen sieht, die für die Tötung seines Bruders (bspw.) verantwortlich ist. Doch der Rambam fragt, was passiert, wenn der Hohepriester nur eine Woche oder einen Monat nach dem Tod des Bruders dieses Bluträchers verstirbt. Wie und warum sollte der Tod des Hohepriesters die verständliche Wut des Goel Ha'Dam beeinflussen? Wir haben ein Prinzip, dass ein Toter in den ersten zwölf Monaten nach seinem Ableben nicht vergessen wird - zumal wir in dieser
Zeit auch täglich das Kaddisch der Waisen (Heiligungsgebet, das von den Waisen zugunsten des Toten gesprochen wird) sagen. Daher sollte doch vielleicht über den unabsichtlichen Mörder eine Minimalstrafe von ZWÖLF MONATEN Aufenthalt in der Zufluchtsstadt verhängt werden!

Der Rambam erklärt, dass der Hohepriester die meist geehrte und geliebte Person des ganzen Volkes war. Sein Tod war eine nationale Tragödie auf höchster Ebene. Es ist die menschliche Natur, schreibt der Rambam, dass das Eintreten einer "grösseren" Tragödie die psychologische Auswirkung "kleinerer" Tragödien verdrängt. Zum Beispiel, nehme man an, dass jemandem am 8. August das Getriebe seines Wagens kaputtgeht. Er wird verärgert sein. Es wird ihn eine Menge Geld kosten. Er ist wütend, usw. Wenn er am nächsten Tag in den Nachrichten von einer grossen Naturkatastrophe erfährt, die hunderte Tote und tausende Obdachlose gefordert hat, dann wird er im Hinblick auf seinen Getriebeschaden nicht mehr so gereizt sein. Nationale Tragödien rücken persönliche Probleme in ein anderes Licht!

Die nationale Tragödie des Verlustes einer der ehrwürdigsten und beliebtesten Söhne der Nation, wofür alle Menschen gleichsam in Trauer verfallen, wird die Tragödie des unbeabsichtigten Todes eines Angehörigen des Goel Ha'Dam in die richtige Perspektive rücken - sodass er fortan auch damit klarkommen wird, den unbeabsichtigten Mörder als freien Mann herumlaufen zu sehen. Die persönliche Tragödie wird unbedeutsam (batel) im Angesicht der nationalen Tragödie des jüdischen Volkes.

So sollte es sein. Wenn Klal Jisrael (die Allgemeinheit Israels) eine Tragödie erleidet, sollten unsere persönliche Probleme unbedeutend erscheinen. Wie viele von uns können wahrlich sagen, dass wir auf diese Weise auf Tragödien reagieren, die das jüdische Volk ereilen? Beklagen wir uns noch immer über unsere belanglosen Probleme, wenn wir über weitaus grössere Herausforderungen hören und lesen, die unsere jüdischen Mitmenschen in Erez Jisrael (im Lande Israel) oder anderswo auf die Probe stellen?

Dies ist die moralische Botschaft (Mussar Haskel) in diesem Abschnitt des Moreh Newuchim über die Gebote bezüglich der Zufluchtsstädte und der Rolle des Todes des Kohen Gadol bei der Freilassung des zum Exil in der Zufluchtsstadt verurteilten, unabsichtlichen Mörders. Wenn Klal Jisrael von einer nationalen Tragödie überschattet wird, sollten alle persönlichen Belange verblassen, angesichts unserer Sorgen über Angelegenheiten von nationaler Wichtigkeit.

 

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Autor: Raw Frand
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Samstag, 07 September 2019