Die Israel-Boykottbewegung: Eine Erfolgsgeschichte?

Die Israel-Boykottbewegung: Eine Erfolgsgeschichte?


Wie sieht die Bilanz nach 15 Jahren der Kampagne aus? Vorabdruck aus dem gerade erschienenen Buch „Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand“.

Die Israel-Boykottbewegung: Eine Erfolgsgeschichte?

Alex Feuerherdt/Florian Markl

Etwas mehr als 15 Jahre nach der Veröffentlichung des BDS-Gründungsaufrufs lässt sich festhalten: Gemessen daran, dass ein umfassender wirtschaftlicher Boykott Israels ein wesentlicher Bestandteil der Kampagne war und ist, hat die BDS-Bewegung diesbezüglich nur wenig vorzuweisen. Kein einziger Staat hat sich dem Aufruf zum ökonomischen Boykott angeschlossen, auch ansonsten halten sich die Auswirkungen auf Israels Wirtschaft in Grenzen.

Wie eine Studie zeigt, die das israelische Ministerium für strategische Angelegenheiten in Auftrag gegeben hatte, ist die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Aufmerksamkeit für die BDS-Bewegung und ihrer tatsächlichen Wirkung im wirtschaftlichen Sektor enorm.Der diesbezügliche Schaden belief sich demnach in den Jahren 2010 bis 2017 laut den Angaben betroffener Unternehmen kumuliert auf gerade einmal 0,004 Prozent des Umsatzes. „Anders ausgedrückt: Wenn das Gesamteinkommen der israelischen Wirtschaft im Jahr im Schnitt eine Million Schekel betragen würde, dann würde sich der Schaden auf 40 Schekel belaufen – ein völlig vernachlässigbarer Betrag“, schrieb Adam Reuter in der israelischen Wirtschaftszeitung Globes. Zwischen 2005 und 2015 hat sich das Handelsvolumen der israelischen Exporte nach Europa zudem fast verdoppelt.

Bisweilen haben die Boykottaufrufe sogar einen gegenteiligen Effekt, wie Reuter am Beispiel der Filiale eines israelischen Unternehmens in London zeigte, vor der BDS-Aktivisten während des Gazakrieges im Sommer 2014 mehrere Tage demonstriert hatten. Als das journalistische Interesse nachgelassen habe, seien die Demonstranten abgezogen und die Kunden in größerer Zahl als zuvor zurückgekehrt: „Die Zahl der Käufer in dem Geschäft war viermal so hoch wie an einem normalen Tag. Dabei handelte es sich um nichtjüdische Einheimische, die Israel mochten und speziell zum Einkaufen in den Laden kamen, um ihre Sympathie für den jüdischen Staat zu demonstrieren.“ (…)

Dass der ökonomische Boykott Israels nicht einmal entfernt so erfolgreich ist wie jener gegen Südafrika zur Zeit der Apartheid – der für die BDS-Bewegung ja das Vorbild und die Blaupause ist –, hat nicht zuletzt wirtschaftliche Gründe: Südafrikas damalige Exportgüter wie Mineralien, Metalle und landwirtschaftliche Produkte waren zu über 60 Prozent substituierbar, das heißt, es ließ sich problemlos ein Ersatz finden. Die seinerzeitige südafrikanische Wirtschaft war völlig anders strukturiert und aufgestellt, als es die israelische heute ist. Viele israelische Produkte, Technologien und Entwicklungen sind hochmodern, sehr gefragt und auf dem Weltmarkt nicht ohne Weiteres zu ersetzen.

In Israel wurden beispielsweise der USB-Stick, die Tröpfchenbewässerung in der Landwirtschaft und der erfolgreichste Intel-Computerprozessor erfunden. Große IT-Konzerne unterhalten dort Forschungszentren, bedeutende medizinische Gerätschaften und pharmazeutische Erzeugnisse stammen aus dem jüdischen Staat. In den Weltmarkt ist Israel voll integriert. Selbst den meisten BDS-Aktivisten dürfte es deshalb nicht gelingen, Produkte aus Israel oder mit israelischer Beteiligung konsequent zu boykottieren. Die Einschränkungen, die das mit sich bringen würde, werden die wenigsten hinzunehmen bereit sein.

Der wirtschaftliche Schaden, den BDS anzurichten imstande ist, trifft die Palästinenser außerdem stärker als die Israelis. Denn vor allem sie sind es, die ihre Arbeitsplätze verlieren, wenn sich israelische Firmen aus dem Westjordanland und den darin etablierten sogenannten gemeinsamen Wirtschaftszonen zurückziehen. So wie SodaStream, das im Jahr 2015 sein Werk in Ma’ale Adumim schloss und damit großen Jubel bei der BDS-Bewegung auslöste, die zuvor jahrelang eine Kampagne gegen den Hersteller von Trinkwassersprudelgeräten gefahren hatte. Omar Barghouti sprach von einem „klaren Sieg gegen eine abscheulich mitschuldige israelische Firma“– und nahm dabei achselzuckend in Kauf, dass 500 Palästinenser dadurch arbeitslos wurden. Insgesamt rund 18.000 Palästinenser arbeiten in israelischen Betrieben und Werken im Westjordanland, ihre Löhne liegen dabei deutlich über denen, die in den palästinensischen Gebieten gezahlt werden, wo die Arbeitslosigkeit überdies hoch ist.

Am Beispiel der Reaktion der BDS-Bewegung auf die Schließung des SodaStream-Werkes zeigt sich einmal mehr, dass Leuten, die sich und ihre Aktivitäten als „pro-palästinensisch“ inszenieren, das Schicksal und die Lebensbedingungen von Palästinensern schlicht egal sind und sie auch aktiv auf deren Schädigung hinarbeiten, wenn es der Delegitimierung Israels dient.

Kulturelle Boykotte: Absagen und Drohungen, aber auch Widerstand

(…) Neben dem akademischen Sektor vor allem in Großbritannien und den USA ist der kulturelle Bereich trotz des Widerstandes einiger bekannter und beliebter Größen ein Tummelplatz für die BDS-Bewegung, auf dem sie vergleichsweise viel Gehör und großen Anklang findet. Das gilt nicht nur für das Feld der Musik, sondern beispielsweise auch für jenes der Literatur, wo vor allem die amerikanische Schriftstellerin Alice Walker für Aufsehen sorgte, als sie es im Juni 2012 ablehnte, ihr preisgekröntes Buch „The color purple“ ins Hebräische übersetzen zu lassen. Zur Begründung sagte Walker, Israel sei „der Apartheid und der Verfolgung des palästinensischen Volkes innerhalb Israels und in den besetzten Gebieten schuldig“, weshalb sie die BDS-Bewegung unterstütze. Offenbar zählt sie jeden und jede, der und die Hebräisch spricht, zu diesen kollektiv Schuldigen.

Aber eine solche Haltung ist keine Seltenheit: Im Kultursektor, der im Unterschied zur Wirtschaft deutlich links geprägt ist, ist es fast schon selbstverständlich, mit unheilbar gutem Gewissen gegen Israel zu sein und deshalb auch aggressiv-antisemitische Boykottkampagnen gegen den jüdischen Staat zu befürworten. Dort findet BDS eine größere Resonanz und sorgt immer wieder für Schlagzeilen.

Europäische Union und BDS: Augenwischerei und Echokammer

Auf der großen politischen Bühne in Europa wiederum geht man offiziell zwar auf Distanz zur BDS-Bewegung, unternimmt aber einiges, was ihren Beifall findet, und unterstützt sie außerdem indirekt. Federica Mogherini etwa, bis zum 30. November 2019 die Außenbeauftragte der Europäischen Union, sagte, die EU lehne „die Versuche der BDS-Bewegung ab, Israel zu isolieren, und stellt sich gegen jeglichen Boykott Israels“. Das klingt eindeutig, ist aber bestenfalls die halbe Wahrheit. Schließlich gibt es beispielsweise die bereits erwähnte EU-Richtlinie zur Produktkennzeichnung vom November 2015, nach der Waren aus israelischen Ortschaften im Westjordanland, in Ost-Jerusalem oder auf den Golanhöhen besonders gekennzeichnet werden müssen und nicht mehr die Herkunftsangabe „Israel“ tragen dürfen.

Offiziell ist das keine anti-israelische Maßnahme und kein Beitrag zu einem Boykott, sondern es soll der „Konsumenteninformation“ dienen. Das ist allerdings Augenwischerei, wenn man bedenkt, dass es weltweit etliche Territorialkonflikte gibt und keiner von der EU so behandelt wird wie der israelisch-palästinensische – die Kennzeichnungspflicht gilt zum Beispiel nicht für Waren aus dem türkisch besetzten Teil Zyperns oder aus der von Marokko okkupierten Westsahara. Das Ziel der Richtlinie ist es mithin nicht, die Verbraucher zu informieren, sondern vielmehr, Druck auf Israel auszuüben. Damit liegt zwar noch kein Boykott vor, aber das Vorgehen folgt einer Boykottlogik. Denn es wird nicht nur eine hochgradig einseitige Darstellung des Konflikts zulasten Israels übernommen, wie sie auch für die BDS-Bewegung charakteristisch ist.

Der Text der Richtlinie weist vielmehr auch auffällige Ähnlichkeiten, teilweise sogar wörtliche Übereinstimmungenmit der Broschüre „Trading away peace: How Europe helps sustain illegal Israeli settlements“ auf, die auf das Konto von 22 BDS-nahen NGOs geht und im Herbst 2012 veröffentlicht wurde. In ihr wird die Kennzeichnung von israelischen Produkten aus umstrittenen Gebieten nur als erster Schritt von vielen weitergehenden gefordert. Die EU-Richtlinie ist eine Art „Boykott light“, denn letztlich sollen die betreffenden Produkte mit einem Makel behaftet werden und der Kundschaft dadurch unattraktiv erscheinen. Der BDS-Bewegung wird so ein lang gehegter Traum erfüllt.

Hinzu kommt, dass sich die EU zwar offiziell von der BDS-Bewegung distanzieren mag, gleichzeitig aber beträchtliche Summen in Gruppierungen und Organisationen pumpt, die BDS zum Programm haben. So schafft sich die Europäische Union eine Echokammer: Sie finanziert NGOs, die Israel in Berichten dämonisieren, auf die sich die EU dann wiederum bezieht, wenn es darum geht, politische Maßnahmen gegen den jüdischen Staat zu begründen. Laut einer Studie des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten vom Mai 2018flossen allein im Jahr 2016 über fünf Millionen Euro direkt an Vereinigungen, die zur BDS-Bewegung gehören oder ihr zumindest nahestehen. Dazu gesellten sich monetäre Förderungen auf indirektem Weg, das heißt: Sie gingen von der EU an eine dritte Partei, die ihrerseits anti-israelische NGOs finanziert. Und sogar Organisationen mit Verbindungen zu Terrororganisationen erhielten Geld von der Europäischen Union. (…)

Die eigentliche Gefahr und was zu tun wäre

In der Übernahme dieser Rhetorik zeigt sich die eigentliche Gefahr, die von BDS für Israel ausgeht. Während sich der wirtschaftliche Schaden relativ gering ausnimmt und es unwahrscheinlich ist, dass die Boykottaktivitäten hinsichtlich ihrer Größenordnung und ihrer Folgen eine Dimension erreichen, wie es in Südafrika während der Apartheid der Fall war, ist BDS andererseits Teil einer Kampagne zur Diffamierung, Delegitimierung, Kriminalisierung und letztlich zur Zerstörung des jüdischen Staates, die weit über die Reihen der BDS-Fanatiker hinausgeht. Forderungen, Ziele, Methoden und Vokabular der BDS-Bewegung werden längst von einflussreichen Akteuren geteilt, nicht nur bei der Sozialistischen Internationalen und mindestens indirekt bei der Europäischen Union, sondern vor allem auch bei den Vereinten Nationen, wo Israel als Pariastaat behandelt und Jahr für Jahr in Resolutionen häufiger verurteilt wird als alle anderen Länder der Welt zusammen. (…)

Nicht unterschätzt werden sollte zudem die Wirkung von BDS im akademischen und im kulturellen Bereich, insbesondere in den angelsächsischen Ländern. Auch wenn die Bewegung vor allem in den USA an den Hochschulen viel Gegenwind bekommt, sorgt sie doch vielerorts für eine Atmosphäre der Einschüchterung und Angst, gerade bei jüdischen und pro-israelischen Studentinnen und Studenten. In Großbritannien, wo auch die Akademikergewerkschaft auf der Seite von BDS steht, gilt das erst recht. Und im kulturellen Sektor muss jede halbwegs bekannte Musikerin und jede einigermaßen populäre Band, die sich für einen Auftritt im jüdischen Staat entscheidet, zumindest damit rechnen, massiv unter Druck gesetzt, belästigt, bedroht und mit einem Shitstorm überzogen zu werden.

Der „Erfolg“ der BDS-Bewegung ist also längst nicht nur daran zu messen, ob sie Exportzahlen und die diplomatischen Beziehungen eines Landes oder einer Staatengemeinschaft zu Israel beeinträchtigt, sondern auch daran, inwieweit sie das politische und gesellschaftliche Klima für Jüdinnen, Juden und Israel beeinflusst.

Bisweilen erfährt die BDS-Bewegung sogar Unterstützung von vordergründig unerwarteter Seite: Sie sei eine „nach ihrer Intention nicht judenfeindliche und das Existenzrecht Israels nicht bedrohende Boykottbewegung“, die „ohne Gewalt mit ökonomischen Mitteln eine Änderung der israelischen Politik in den besetzten palästinensischen Gebieten herbeiführen wolle“, weshalb die gegen sie gerichtete Bundestagsresolution vom Mai 2019 „ein drastisches Exempel für Willfährigkeit gegenüber politischem Druck“ sei und „von interessierter Seite“ ausgenutzt werde, „um ausschließlich eine einzige Version von Antisemitismus zum Nutzen Israels und zulasten aller Kritiker zu etablieren“.

Was sich liest wie dem Flugblatt einer BDS-Gruppierung entnommen, stammt, wie schon der Einleitung dieses Buches zu entnehmen war, aus der Feder des zwar mittlerweile emeritierten, aber immer noch prominentesten deutschen Antisemitismusforschers, Wolfgang Benz, der allerdings schon seit Jahren vor allem dadurch auffällt, dass er vom Gegenstand seiner Untersuchung einen recht beschränkten Begriff hat. Es sind auch solche – an der Realität völlig vorbeigehende, BDS verharmlosende, anti-israelische – Äußerungen von als seriös gehandelten Personen des öffentlichen Lebens, die BDS als diskutable Option erscheinen lassen.

Umso richtiger und wichtiger ist es, dieser antisemitischen Bewegung samt ihren Verteidigern und Sympathisanten auf allen Ebenen entschlossen entgegenzutreten, ihr den Raum zu nehmen und deutlich zu machen, was ihr tatsächliches Ziel ist: eine Welt ohne den jüdischen Staat Israel. In diesem Zusammenhang sind auch parlamentarische Beschlüsse wie in Deutschland und Österreich sehr zu begrüßen.

Allerdings sollte dabei auf zweierlei unbedingt gedrängt werden: zum einen darauf, dass der Beschluss, nicht mit Organisationen der BDS-Bewegung oder ihr nahestehende Gruppierungen zu kooperieren, auch für entsprechende Vereinigungen in den palästinensischen Gebieten gilt. Und zum anderen darauf, dass die Entscheidung nicht beispielsweise dadurch unterlaufen wird, dass die Europäische Union BDS-kompatible Beschlüsse trifft und BDS-Organisationen finanziell unterstützt. Wenn nicht alles täuscht, hält sich der diesbezügliche Druck bislang jedoch in engen Grenzen. Dabei sollte es nicht bleiben.

(Das Buch „Die Israelboykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand“ von Alex Feuerherdt und Florian Markl ist gerade im Leipziger Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Den ersten Vorabdruck aus diesem Buch, in dem es um den jahrzehntelangen Israel-Boykott der Arabischen Liga geht, finden Sie hier; den zweiten Vorabdruck, der sich der unmittelbaren Vorgeschichte der BDS-Kampagne widmet, finden Sie hier.)

 

MENA Watch


Autor: MENA Watch
Bild Quelle:


Dienstag, 17 November 2020