Atheismus verbreitet sich unter Muslimen wie ein Flächenbrand

Atheismus verbreitet sich unter Muslimen wie ein Flächenbrand


Ex-Muslime stellen öffentlich ihre Ablehnung des Islam zur Schau wie nie zuvor: eine heiße, alles sagende Denkschrift, die an den Spitzen der Bestseller-Listen des Landes steht; ein Video zeigt, wie ein Koran in Stücke gerissen wird; ein weiteres Video mit einer Frau im Bikini, die Schinken kocht und isst; und blasphemische Mohammed-Karikaturen.

Atheismus verbreitet sich unter Muslimen wie ein Flächenbrand

Von Prof. Dr. Daniel Pipes

Über solche Provokationen hinaus arbeiten Ex-Muslime daran das Image des Islam zu verändern. Wafa Sultan ging ins Al-Jazira-Fernsehen, um den Islam in erhabenem Arabisch zu verurteilen und mehr als 30 Millionen Zuschauer sahen das Video. Ayaan Hirsi Ali schrieb eine machtvolle Autobiografie darüber, wie es ist als Frau in Somalia aufzuwachsen und verfasste weiter hoch gehandelter Bücher, die den Islam kritisieren. Ibn Warraq schrieb eine kleine Bibliothek einflussreicher Bücher über seine ehemalige Religion oder gab sie heraus, darunter Warum ich kein Muslim bin (1995) und Den Islam verlassen: Abtrünnige äußern sich (2003).

Hinter diesen Einzelpersonen stehen Organisationen von Ex-Muslimen im Westen, die Muslime dazu ermutigen ihren Glauben aufzugeben, diejenigen zu unterstützen, die diesen Schritt bereits gegangen sind und mit dem Wissen von Insidern und der Leidenschaft der Deserteure Einfluss gegen den Islam zu nehmen.

Zusammengenommen deuten diese Phänomene auf eine nie da gewesene Verschiebung: Das historisch illegale und unaussprechbare Handeln von Muslimen, dass sie offen nicht an Gott glauben und Mohammeds Auftrag ablehnen, hat sich so weit verbreitet, dass es den islamischen Glauben erschüttert.

Für Nichtmuslime tendiert diese Verschiebung dazu beinahe unsichtbar zu sein und wird daher als marginal abgetan. Wenn es um Araber geht, hält Ahmed Benchemsi fest, betrachten Westler Religiosität als "unbestreitbare Selbstverständlichkeit, fast als ethnischen Auftrag, der in ihre DNA eingebettet ist". Die islamistische Welle könnte vor fast einem Jahrzehnt ihren Höhepunkt gehabt haben, aber der angesehene Historiker Phillip Jenkins erklärt zuversichtlich: "Nach keinem rationalen Standard kann von z.B. Saudi-Arabien gesagt werden, es bewege sich in eine säkulare Richtung."

Um zu helfen dieses Missverständnis zu korrigieren, dokumentiert diese Analyse das Phänomen der Muslime, die zu Atheisten werden. Gemeinsam mit Organisationen wie Ex-Muslims of North America, meine ich mit Atheisten Muslime, "die nicht an eine Gottheit glauben", einschließlich "Agnostikern, Pantheisten, Freidenkern und Humanisten". Zu Atheisten gehören ausdrücklich nicht Muslime, die zum Christentum konvertieren (das Thema einer eigenen Studie dieses Autors) oder zu einer anderen Religion.

Zwei Hauptfaktoren machen es schwierig die Zahl der ex-muslimischen Atheisten zu schätzen.

Erstens ziehen es einige von ihnen vor innerhalb der Grenzen des Islam zu bleiben, um eine Stimme in der Entwicklung der Religion zu behalten und vor allem, um sich am Kampf gegen den Islamismus zu beteiligen, etwas, das sie mit dem Verlassen des Glaubens verlieren. Brian Whitaker, Autor eines Buchs über Araber ohne Gott, hält das Phänomen fest, dass Muslime "die taktische Entscheidung treffen nicht komplett mit ihrer Religion zu brechen, sondern sich als Säkularisten, 'progressive' Muslime oder muslimische 'Reformer' zu präsentieren. Sie haben das Gefühl, dass mehr erreicht werden kann, indem die unterdrückerischen religiösen Bräuche herausgefordert werden, statt die Existenz Gottes infrage zu stellen, da es unwahrscheinlich ist, dass ihnen zugehört wird, wenn bekannt ist, dass sie Atheisten sind.!

Der Weg der Reform ist allerdings selbst voller Gefahren. Die angesehene ägyptische Autorität zum Islam, Nasr Abu Zayd, bestand darauf, dass er Muslim blieb, aber seine Gegner – vielleicht motiviert durch finanzielle Überlegungen – hielten ihn für einen Abtrünnigen und ließen erfolgreich seine Ehe annullieren und zwangen ihn zur Flucht aus Ägypten. Schlimmer war, dass die Regierung des Sudan den großen islamischen Denker Mahmud Mohammed Taha als Abtrünnigen hinrichtete.

Zweitens lädt die offene Erklärung Atheist zu sein zu Bestrafungen ein, die von Ausgrenzung über Prügel, Kündigung der Arbeit und Haft bis zur Ermordung reichen. Familien betrachten Atheisten als Schandflecken auf ihrer Ehre. Arbeitgeber betrachten sie als nicht vertrauenswürdig. Gemeinden sehen in ihnen Verräter. Regierungen betrachten sie als Gefahr für die nationale Sicherheit. Damit Letzteres nicht absurd erschient, erkennen Behörden, dass das, was mit Einzelentscheidungen beginnt, in kleine Gruppen wächst, an Kraft gewinnt und in der Übernahme der Macht gipfelt. In der extremsten Reaktion verkündete das Königreich Saudi-Arabien am 7. März 2014 Terrorbekämpfungs-Vorschriften, die es verbieten "zu atheistischem Denken in jeglicher Form aufzurufen oder die Grundlagen der islamischen Religion infrage zu stellen, auf denen dieses Land gründet". Mit anderen Worten: Freies Denken ist das Gleiche wie Terrorismus.

Tatsächlich bestrafen viele mehrheitlich muslimische Staaten Glaubensabfall formell mit Hinrichtung, darunter Mauretanien, Libyen, Somalia, der Jemen, Saudi-Arabien, Qatar, die Vereinigten Arabischen Emirate, der Iran, Afghanistan, Malaysia und Brunei. Offizielle Hinrichtungen kommen eher selten vor, aber die Drohung hängt über den Apostaten. Manchmal folgt der Tod: Der Nigerianer Mubarak Bala wurde verhaftet und verschwand wegen seiner blasphemischen Äußerungen. In einem Fall, der weltweit Aufmerksamkeit erregte, rief Ayatollah Khomeini 1989 Freischaffende zum Mord ab Salman Rushdie auf wegen der "Satanischen Verse", einem magisch-realistischen Roman, der respektlose Szenen über Mohammed beinhaltete. Auch Selbstjustiz-Gewalt tritt auf; in Pakistan riefen Prediger Mobs auf, die Häuser von Apostaten niederzubrennen.

Trotzden, stellt Wolloughby fest, "verbreitet sich der Atheismus wie ein Flächenbrand" im Nahen Osten. Haasan Suroor, Autor von Who Killed Libgeral Islam? [Wer tötete den liberalen Islam?] merkt an, dass erzählt wird: "Wir hören in der Regel nichts davon, dass der Islam sich einer Desertations-Welle seitens junger Muslime gegenüber sieht, die unter einer Glaubenskrise leiden, ... verlassen von moderaten Muslimen, zumeist junge Männer und Frauen, die sich angesichts des zunehmenden Extremismus in ihren Gemeinschaften unwohl fühlen. ... Selbst stark konservative Länder mit strengen, apostasiefeindlichen Regimen wie Pakistan, Iran und der Sudan sind von dieser Fahnenflucht betroffen." Diese Geschichte ist inzwischen jedoch öffentlicher: "Ich kenne mindestens sechs Atheisten, die mir gegenüber bestätigten, dass sie Atheisten sind", hielt 2014 Fahad AlFahad (31) fest, ein Marketingberater und Menschenrechtsaktivist in Saudi-Arabien. "Vor sechs oder sieben Jahren hätte ich das niemanden auch nur sagen hören. Nicht einmal ein bester Freund hätte mir das gestanden", aber die Stimmung hat sich verändert und heute fühlen sie sich freier dieses gefährliche Geheimnis preiszugeben.

Whitaker kommt zu dem Schluss, dass arabische Nichtgläubige "kein neues Phänomen sind, aber ihre Zahl zuzunehmen scheint". Momen, ein Ägypter, fügt hinzu: "Ich schätze, dass jede ägyptische Familie einen Atheisten hat oder zumindest jemanden mit kritischen Vorstellungen über den Islam." Professor Amna Nusayr von der al-Azhar-Universität erklärt, dass vier Millionen Ägypter den Islam verlassen haben. Todd Nettleton stellt fest, dass gemäß einigen Schätzungen "70 Prozent der Menschen im Iran dem Islam eine Absage erteilt haben".

Wenden wir uns der Meinungsforschung zu: Eine WIN/Gallup-Umfrage von 2012 stellte fest, dass "überzeugte Atheisten" 2 Prozent der Bevölkerung des Libanon, Pakistans, der Türkei und Usbekistans ausmachen, 4 Prozent in Westbank und Gazastreifen und 5 Prozent in Saudi-Arabien. Bezeichnenderweise fand dieselbe Umfrage heraus, dass "nicht religiöse" Menschen zahlreicher sind: 8 Prozent in Pakistan, 16 Prozent in Usbekistan, 19 Prozent in Saudi-Arabien, 29 Prozent in Westbank und Gazastreifen, 33 Prozent im Libanon und 73 Prozent in der Türkei. Im Gegenzug stellte eine GAMAAN-Umfrage fest, dass nur ein knappes Drittel (oder 32,2 Prozent) der im Iran geborenen schiitischen Muslime sich als solche identifizieren, dazu 5 Prozent als Sunniten und 3,2 Prozent als Sufis.

Der Trend geht aufwärts: Eine Umfrage von Konda in der Türkei stellte fest, dass die Zahl der Atheisten sich zwischen 2008 und 2018 von 1 auf 3 Prozent steigerte, während Nichtgläubige sich von 1 auf 2 Prozent verdoppelten. Umfragen von Arab Barometer zeigen eine beträchtliche Zunahme der Zahl von Arabisch Sprechdenden, die sagen, sie seien "nicht religiös", von 8 Prozent 2012 bis 2014 auf 13 Prozent 2018/19 – eine Zunahme von 61 Prozent innerhalb von fünf Jahren. Dieser Trend ist bei den 15- bis 29-jährigen noch größer, bei denen der Anteil von 11 auf 18 Prozent stieg. Sieht man sich das Land für Land an, dann gab es die stärksten Zunahmen in Tunesien und Libyen, die mittelstarken in Marokko, Algerien, Ägypten und dem Sudan und im Libanon, den Palästinensergebieten, Jordanien und dem Irak blieben sie fast unverändert. Der Jemen sticht als einziges Land heraus, das weniger nichtreligiöse Menschen zählt. Besonders fällt auf festzustellen, dass etwa genauso viele tunesische Jugendliche (47 Prozent) wie Amerikaner (46 Prozent) sich als "nicht religiös" bezeichnen.

Viele Hinweise deuten an, dass die Zahl der Atheisten hoch ist und weiter zunimmt.

Der Atheismus bei muslimisch geborener Bevölkerung ist historisch von geringer Bedeutung gewesen und schien während des Anschwellens des Islamismus während des letzten halben Jahrhunderts besonders vernachlässigbar. Als dieser Autor nach dem 9/11 die Formel "Der radikale Islam ist das Problem, der moderate Islam ist die Lösung" prägte, war der Atheismus bei Muslimen fast nicht feststellbar. Dem ist nicht länger so. Im Verlauf der letzten zwanzig Jahre gab es einen Sog des Antisemitismus, der zu einer beträchtlichen Kraft entwickelte, die das Potenzial hatte nicht nur das Leben von Einzelnen zu beeinflussen, sondern auch Gesellschaften und sogar Regierungen.

Er genießt diese Stärke infolge des zeitgenössischen Islam, der mit seiner Unterdrückung heterodoxer Ideen und Bestrafung eines jeden, der den Glauben verlässt, außerordentlich anfällig für Infragestellung ist. So wie ein autoritäres System zerbrechlicher ist als ein demokratisches, so fehlt dem Islam, wie er heute praktiziert wird, die Geschmeidigkeit mit internen Kritikern und Rebellen umzugehen. Das Ergebnis ist eine islamische Zukunft, die unsicherer ist als seine Vergangenheit.

 

Übersetzt von H. Eiteneier


Autor: Prof. Daniel Pipes
Bild Quelle:


Montag, 27 September 2021

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