Wie das russisch-iranische Bündnis einzuschätzen ist

Wie das russisch-iranische Bündnis einzuschätzen ist


In den Augen Israels ist Teheran mit Moskau verbündet, weil beide aus unterschiedlichen Gründen in Konflikt mit den USA stehen – ein Faktum, das wichtiger ist als die ideologischen Überschneidungen.

Wie das russisch-iranische Bündnis einzuschätzen ist

von Ben Cohen

Es ist vielleicht ein Gradmesser für Israels Ansehen in der Welt, dass seine neu gewählte rechte Regierung nicht nur wegen ihrer Innenpolitik und ihrer Haltung gegenüber den Palästinensern, sondern auch wegen ihrer Außenpolitik auf dem Prüfstand steht.

In der letzten Woche wurde viel darüber spekuliert, welchen Weg die Koalition von Benjamin Netanjahu in Bezug auf die brutale Aggression Russlands gegen die Ukraine einschlagen wird. Einige glauben, dass die neue Regierung mit jeder Politik der Vorgängerregierung brechen wird, mit Ausnahme der Ukraine, indem sie eine umfangreiche humanitäre Hilfsaktion beibehält, die demokratische Regierung in Kiew politisch unterstützt, sich aber weigert, den Ukrainern die von ihnen erbetenen Waffen zu liefern. Andere halten es für wahrscheinlich, dass Israel die Ukraine doch noch bewaffnet und zitieren Netanjahu, der diese Möglichkeit in einem Interview mit MSNBC im vergangenen Oktober andeutete. (In dem Interview sagte er auch: »Es besteht immer die Möglichkeit – und das ist immer wieder passiert –, dass Waffen, die wir auf ein Schlachtfeld liefern, in iranischen Händen landen und gegen uns eingesetzt werden.«)

Wieder andere glauben, dass Netanjahus Rückkehr eine Neuausrichtung auf das Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin signalisiert, den er in seinem kürzlich erschienenen Buch Meine Geschichte als »klug, raffiniert und auf ein Ziel ausgerichtet – Russland zu seiner historischen Größe zurückzuführen« beschreibt.

Alle diese Optionen sind mehr oder weniger plausibel. Und sie werden in einem fiebrigen Kontext diskutiert, der in militärischer Hinsicht durch die anhaltenden russischen Schläge gegen die zivile Infrastruktur der Ukraine unter Verwendung von im Iran hergestellten Shahed-131- und Shahed-136-Drohnen und in politischer Hinsicht durch die Ernennung eines neuen israelischen Außenministers bestimmt wird, dessen erste Amtshandlung darin bestand, das zu tun, was sein Vorgänger ablehnte, nämlich mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow zu telefonieren.

Der israelische Außenminister Eli Cohen ist sich zweifellos der abscheulichen Äußerungen Lawrows im vergangenen April bewusst, als er meinte, Adolf Hitler habe »jüdisches Blut«, und Israel für die Unterstützung der »neonazistischen« Regierung in Kiew geißelte. Er wird auch wissen, dass Lawrow im vergangenen Juni zu Gesprächen nach Teheran gereist war, die sich offiziell auf die Wiederbelebung des Atomabkommens von 2015 konzentrierten, bei denen es aber auch um die dringenderen Fragen der militärischen und geheimdienstlichen Zusammenarbeit fünf Monate nach der Invasion in der Ukraine ging. Wenige Wochen nach Lawrows Abreise aus dem Iran waren die ersten der fast 2.000 von den regierenden Mullahs an Moskau gelieferten Angriffsdrohnen eingetroffen und wurden mit verheerender Wirkung gegen ukrainische Ziele eingesetzt.

Mit Chuzpe getränkter Appell

Der Bericht des russischen Außenministeriums über das Telefongespräch zwischen den beiden Ministern war vorhersehbar allgemein gehalten, enthielt jedoch einige interessante Details, wie Lawrows mit Chuzpe getränkter Appell an Cohen, eine gemeinsame russisch-israelische Kommission zur Prüfung der Handelsbeziehungen wieder einzuberufen, während die meisten westlichen Länder ihre Sanktionen gegen Putins Regime verschärfen. Was Cohen aus dem Gespräch gemacht hat, ist indessen nicht aktenkundig.

Alles, was er bisher gesagt hat, ist, dass die neue Regierung in der Öffentlichkeit »weniger« über die Ukraine sprechen wird, was als besorgniserregendes Zeichen der Gleichgültigkeit gedeutet werden kann, aber auch darauf hindeuten könnte, dass Israel, falls es das ukrainische Militär beim Zurückschlagen der Invasoren unterstützt, angesichts der russischen Militärpräsenz in Syrien nicht möchte, dass diese Tatsache bekannt wird.

Seit seinem Bestehen verfolgt Israel eine realistische Außenpolitik, bei der weniger Wert auf moralisch vertretbare Ergebnisse gelegt wird, sondern vielmehr darauf, dass Staaten ihre eigenen Interessen verfolgen, selbst wenn dies bedeutet, mit missbräuchlichen, autoritären Regimen wie dem von Putin Geschäfte zu machen. Für Realisten sind gemeinsame Ideen und ideologische Angleichungen zwischen Staaten zweitrangig, während das Erreichen unmittelbarer materieller Ziele die Triebfeder für Bündnisse ist.

Ich habe den Eindruck, dass Israel das russisch-iranische Bündnis eher als eine Vernunftehe denn als eine historische Verschmelzung des großrussischen Chauvinismus mit dem schiitischen Millennium-Fanatismus betrachtet. Mit anderen Worten: In den Augen Israels ist Teheran mit Moskau verbündet, weil beide aus unterschiedlichen Gründen im Konflikt mit den USA stehen, und diese Tatsache ist weitaus wichtiger als irgendwelche ideologischen Überschneidungen zwischen ihnen. Die Gründe, die Teheran dazu bewegen, Moskau zu umarmen, unterscheiden sich daher stark von jenen, welche die Unterstützung iranischer Terror-Vertreter im Libanon, in Syrien, im Jemen, im Irak, im Gazastreifen und anderswo im Nahen Osten erklären.

Aus israelischer Sicht verbündet sich Russland mit dem Iran, weil es zu diesem Zeitpunkt der Geschichte sinnvoll ist und nicht, weil sie eine gemeinsame Vision davon haben, wie die Gesellschaft aussehen sollte (auch wenn sie zahlreiche hässliche Züge teilen, darunter eine pathologische Abscheu vor Homosexualität und die Entschlossenheit, die LGBTQ+-Gemeinschaft so weit wie möglich zu verfolgen).

Wenn dies tatsächlich das israelische Kalkül ist, hat es einen gewissen analytischen Wert. Die iranische Rhetorik in Bezug auf die Ukraine war ziemlich harmlos, unterstützte die russische Position, aber ohne die Giftigkeit, die seine Angriffe auf Israel und die USA auszeichnet. Und in den letzten Tagen haben mehrere ukrainische Beamte bemerkt, dass der Iran zögert, die Drohnen, die er den Russen schickt, mit ballistischen Raketen zu ergänzen, und mit einer gewissen Genugtuung darauf hingewiesen, Teheran habe Angst vor der westlichen Reaktion, sollte der Iran seine Shaheds mit Zolfighar- und Fateh-110-Raketen kombinieren.

In den Augen Israels ist Teheran mit Moskau verbündet, weil beide aus unterschiedlichen Gründen in Konflikt mit den USA stehen – ein Faktum, das wichtiger ist als die ideologischen Überschneidungen.Ein ukrainischer Verteidigungsexperte, ehemaliger Kommandeur einer Kampfeinheit, vertrat sogar die Ansicht, die Stationierung iranischer Raketen für Israel würde einen casus belli darstellen, der eine 180-Grad-Wende in Jerusalems Politik der humanitären und nicht der militärischen Hilfe zur Folge hätte.

Unveränderte Haltung

Bislang ist Israels Ukraine-Politik jedoch weitgehend unverändert. Letzten Donnerstag meinte Mykhailo Podolyak, ein hochrangiger Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Netanjahu könnte ein »effektiver Vermittler« zwischen Kiew und Moskau sein – eine Rolle, gegen die das US-Außenministerium nichts einzuwenden hätte, solange »die Bedingungen für diese Bemühungen für unsere ukrainischen Partner akzeptabel sind«.

Ein israelischer Premierminister, der ein Friedensabkommen zur Beendigung eines Krieges in einer anderen Region der Welt vorlegt, wäre sicherlich beispiellos. Je nach Ergebnis könnte dies auch Israels Ruf als internationaler Akteur stärken.

Umgekehrt würde eine israelische Position, die sich zu sehr von den russischen Forderungen beeinflussen ließe, zu Enttäuschung und möglicher Verurteilung in der Ukraine, den USA und den meisten europäischen Hauptstädten führen. Die Ausgangslage könnte nicht schwieriger sein. Zumindest muss Israel die territoriale Integrität der Ukraine und die Notwendigkeit, die russischen Besatzer zu vertreiben, als rote Linien in diesem Konflikt betrachten. Das ist jedenfalls seine derzeitige Haltung. Erfordert eine Vermittlerrolle eine Aufweichung dieser Position, ist es besser, sie gar nicht erst zu übernehmen.

Ben Cohen ist ein in New York City lebender Journalist und Autor, der eine wöchentliche Kolumne über jüdische und internationale Angelegenheiten für das Jewish News Syndicate schreibt, wo der Text zuerst auf Englisch erschienenist. (Übersetzung von Alexander Gruber.)


Dieser Artikel wurde zuerst hier veröffentlicht.

Autor: Mena-Watch
Bild Quelle: By Mehr News Agency, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=120775113


Freitag, 20 Januar 2023

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