Staatsbankrott am Rio de la Plata?

Staatsbankrott am Rio de la Plata?


Angesichts massiver Kursverluste der Landeswährung stellt sich die Frage, ob der freie Fall der zweitgrößten Wirtschaft von Südamerika aufgefangen werden kann oder ob Argentinien die von vielen Analysten befürchtete harte Landung droht. Verschärft wird die Lage durch die in der Region anstehenden innen- und außenpolitischen Veränderungen.

Staatsbankrott am Rio de la Plata?

Von Ramiro Fulano

Doch zuerst zu etwas ganz anderem. Kaum wird das Wetter besser, klebt wieder jede Menge Grünzeug auf der Straße: Die Klimaterroristen sind zurück! Wäre ja auch blöd, im Winter demonstrieren zu gehen.

Während die Habeck-Jugend und andere „Letzte Generationen“ es sich in der kalten Jahreszeit in ihren Studentenbutzen gemütlich gemacht haben und den Thermostat nicht zuletzt dank diverser Energiepreisdämpfungspakete – also auf Kosten der Allgemeinheit – auf sommerliche 23 Grad hochdrehen konnten, wird es bei steigenden Temperaturen wieder Zeit, etwas für seinen Tugendausweis zu tun und „für die Umwelt“ auf die Straße zu gehen. Jetzt läuft man ja auch nicht mehr Gefahr, sich kalte Fingerchen und einen feuchten Popo zu holen, wenn man sich am Asphalt festklebt, nicht wahr, liebe Ökopathinnen jederlei Geschlechts?

Die linksalternativ gleichgeschaltete deutsche Journaille versucht, den sinnlosen und selbstzerstörerischen Öko-Spuk nach Kräften wegzulächeln, während die übrige Menschheit sich fragt, was der Klimaterror überhaupt bewirken soll. In Deutschland entsteht 1 % (in Worten: ein Hundertstel) des weltweiten CO2-Ausstoßes – in den USA und China zusammen rund die Hälfte. Wenn es wirklich um eine Reduktion des angeblichen Grusel-Gases ginge, müsste die Habeck-Jugend dann nicht vor den nächstgelegenen diplomatischen Vertretungen von Peking und Washington demonstrieren, statt ihren Mitmenschen das momentan ohnehin nicht leichte Leben zusätzlich zu erschweren – nur um sich auf Kosten der Allgemeinheit ihren Wahn von der moralischen Überlegenheit zusammenzuspinnen? Rhetorische Frage.

Handelt es sich bei den Klimaterroristinnen von der Habeck-Jugend also vielleicht um eine weitere, im weitesten Sinne farbrevolutionäre Revolte, die Washingtons Vasallen in Berlin daran erinnern soll, wer jetzt hier der Boss ist – vor allem aber: die Finger weg von russischen Kohlenwasserstoffen zu lassen? Böse Zungen behaupten vielleicht nicht ohne Grund, dass Germany nicht nur von der mental und moralisch überfordertsten, sondern vor allem auch von der – Cumex sei Dank (*hüstel) – erpressbarsten Bundesregierung aller Zeiten malträtiert wird.

Und jetzt zu wichtigen Dingen. Am Rio de la Plata, genauer gesagt: in Argentinien, erlebt man dieser Tage mit Schrecken die Aussicht auf den nahenden Staatsbankrott. Der chronische Wertverlust der Landeswährung geht ungebremst weiter – in den letzten drei Handelstagen büßte der argentinische Peso rund 9 % seines Werts gegen den Dollar ein, begleitet von hilflosen Stützungskäufen der Zentralbank, kontraproduktiven Devisenkontrollen und dem verlustreichen Verkauf von Staatsanleihen, damit wieder Geld in die nach zwanzig Jahren „Umverteilung“ restlos geplünderten Kassen kommt.

Erschwert wird die Lage der einstigen Agrarweltmacht durch Ernteausfälle im Bereich von 20 Milliarden Dollar sowie durch unattraktive Ausfuhrkontrollen der Regierung; es gibt für jede Branche andere Wechselkurse, inzwischen sind es fast fünfzig. Zölle und staatlich regulierte Devisentarife füllen die öffentlichen Kassen in guten Zeiten wenigstens halbwegs, aber nach zwei Jahren Corona-Lockdown – in denen alle Gehaltseinbußen über die Notenpresse beglichen wurden – ist die Regierung von Präsident Fernández mit ihrem sozialökonomischen Latein offensichtlich am Ende. Bei den in diesem Jahr anstehenden Wahlen droht den diversen peronistischen Listen ein Debakel an den Urnen. Laut Umfragen ist es inzwischen möglich, dass die Partei der Amtsinhaber nicht einmal in die Stichwahlrunde um die Präsidentschaft gelangt und die Herausforderer die Sache unter sich ausmachen. 

Vor diesem Hintergrund nimmt die soziale, aber auch die verbale Gewalt stetig zu. Dass seitens linksradikaler Gruppierungen in Gewerkschaften und Medien unverhohlene Drohungen gegen die Ende des Jahre antretende, neue Regierung ausgestoßen werden, ist angesichts der Geschichte politischer Gewalt, die Argentinien vor allem in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ausgezeichnet hat, nicht wirklich verwunderlich. Neu war in dieser Woche nur, dass jetzt auch der argentinische Innenminister Aníbal Fernández sich an der verbalen Eskalation beteiligt und zur besten Sendezeit „einen Regen von Blut und Toten“ für den Fall in Aussicht stellte, dass es im Dezember zu einem Machtwechsel kommt.

Man ist es gewohnt, dass seitens der peronistischen Basisgruppen täglich an mehreren Stellen in und um Buenos Aires der Straßenverkehr lahmgelegt wird, weil die War-Lords der staatlichen Elendsverwaltung ihre Pfründe verteidigen. In Argentinien werden Sozialleistungen in der Regel nicht als Überweisung auf ein Girokonto getätigt, weil arme Leute keine Bankkonten bekommen. Stattdessen wird das Geld an einen puntero gezahlt, einen in der Regel peronistischen Statthalter, der dann einen Teil der Sozialleistungen an die Bedürftigen in bar ausbezahlt – nachdem er sich einen üppigen Anteil (meist 20 %) in die eigene Tasche gesteckt hat.

Dass derartige Maßnahmen das inzwischen gravierende Armutsproblem des Landes nicht lösen, sondern zu jeder Art von Missbrauch einladen und das Land in eine Art Armuts-Fabrik verwandelt haben, versteht sich vielleicht sogar innerhalb der Behörden und Ministerien von selbst, die diese Art sozialkleptokratischer Umverteilung ermöglichen und beaufsichtigen. Insbesondere durch zwei Jahre Corona-Lockdown stieg die Armutsquote auf aktuell 43 % - während jetzt fast die Hälfte der Erwerbstätigen „en negro“ sind, also schwarzarbeiten, und keinerlei Steuern oder Sozialabgaben entrichten – und der Staat sich anschickt, Sozialleistungen auf dem Niveau skandinavischer Wohlfahrtsstaaten aufzubauen. Alles, was diese Politik bislang produziert hat, ist eine massive Zunahme und Verfestigung einer inzwischen strukturellen Massenarmut und Delinquenz. In der Regel finanziert sich der informell tätige Bevölkerungsteil dadurch, dass zumindest ein Haushaltsmitglied eine Sozialleistung bezieht und andere – unter äußerst fragwürdigen Bedingungen – illegal tätig werden. Mit allen daraus zu erwartenden, symptomatischen Folgen.

Die Sicherheitslage im Großraum Buenos Aires ist inzwischen so prekär, dass der Bevölkerung jeden Tag ein Spießrutenlauf auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule oder zum Supermarkt droht. Gewaltsame Überfälle sind aber auch in überwiegend gut betuchten Vierteln wie Belgrano und Palermo inzwischen an der Tagesordnung. Dabei häufen sich die Übergriffe auf sozial Schwächere – Kinder, Frauen und Senioren – die oft auch wegen Bagatellsummen verletzt oder sogar ermordet werden. Gleichzeitig breitet sich ausgehend vom Rauschgifthandel die zwischen organisierter Kriminalität, Politik und Behörden verfilzte Koks-Mafia immer weiter aus.

In der Millionenstadt Rosario, 260 Kilometer den Rio Paraná hinauf, kam es vor wenigen Wochen zu einem aufsehenerregenden Übergriff auf einen Supermarkt der Familie von Lionel Messi. Anschließend plünderten die Bewohner eines der beschönigend als „bescheiden“ (humilde) bezeichneten rosarinischen Viertel die Räuberhöhlen (bunkers narco) der lokalen Drogendealer. Der Staat hat sich aus dieser Art von Auseinandersetzung nicht nur längst zurückgezogen, sondern viele Mitarbeiter insbesondere von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten verdienen sich inzwischen ein zweites und drittes Monatsgehalt aus dem Drogenhandel hinzu – durch Gefälligkeitsleistungen aller Art.

Vor diesem Hintergrund wächst in der argentinischen Bevölkerung der Überdruss mit der offiziellen Politik, während der Internationale Währungsfonds (dessen Hauptschuldner die argentinische Republik ist) in letzter Zeit verstärkt auf die Einhaltung der geschlossenen Vereinbarungen pocht, Haushaltsdisziplin einfordert und sich jeden weiteren Ausgleich des chronische defizitären Staatshaushalts über die Notenpresse verbietet.

Die Finanzlage gerät durch eine inzwischen mit rund 104 % p.a. und zuletzt 7,7 % pro Monat galoppierende Inflation in eine zusätzliche Schieflage, unter der wiederum vor allem die sozial Schwächeren leiden. Der Wert der argentinischen Mindestrente beträgt aktuell 120 Euro monatlich. Die Armutsgrenze liegt bei rund 350 Euro. Wie sich zeigt, haben die diversen sozialkleptokratischen Umverteilungsmaßnahmen ihr Ziel nicht nur verfehlt, sondern sie haben das vor rund hundert Jahren reichste Land der Welt in ein weiteres Armenhaus verwandelt und Umstände herbeigeführt, unter denen sogar der Sozialismus eine Verbesserung der Lebensbedingungen versprechen kann. Dabei hat die Geschichte der letzten zwanzig Jahre auch am Rio de la Plata gezeigt, dass linke Politik ein Luxus ist, den sich niemand wirklich leisten kann.

Erschwert wird die Situation durch die sich abzeichnenden außenpolitischen Verwerfungen: Brasilien stellt sich immer deutlicher an die Seite der VR China und Russlands, was in Washington selbstverständlich Missvergnügen auslöst, aber auch in Buenos Aires Fragen aufwirft. Denn mitten in der sich abzeichnenden Krise auch noch seinen wichtigsten Handelspartner zu verlieren, wird für das bereits angeschlagene Land sehr schwierig. Es sei denn, die USA und die EU übernehmen Brasiliens Funktion.

Bei den anstehenden Wahlen steuert das Land laut aktuellen Umfragen auf einen Dreier-Patt zwischen den Amtsinhabern von der PJ (Peróns „Gerechtigkeitspartei“) und den beiden Herausforderern Patricia Bullrich und Horacio Larreta der bürgerlich-liberalen PRO sowie dem selbsternannten Anarcho-Liberalen Javier Milei zu. Wer immer das Rennen gewinnt, kann davon ausgehen, dass die aktuellen Amtsinhaber nichts als leere Kassen und verbrannte Erde hinterlassen werden. Sowie eine zutiefst gespaltene Gesellschaft, in der sich ein erheblicher Teil der Bevölkerung jeglichen Reformanstrengungen nicht nur widersetzen wird, sondern sie aktiv und eventuell auch gewaltsam zu verhindern versuchen könnte.

PS Auc die gestrige Ankündigung von Noch-Präsident Fernández, im Oktober nicht für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, trägt nicht zur Lösung der argentinischen Probleme bei – im Gegenteil. Es entsteht hierdurch ein Machtvakuum nicht nur im Peronismus, der zu Flügelkämpfen einlädt. Vor allem entsteht ein beinahe rechtsfreier Raum an der Spitze von Staat und Regierung, selbst wenn Letztere sich bereits zuvor nur durch wenig Erfolg auszeichnete. Der Wechselkurs zum Dollar fiel gleich nach Bekanntwerden der Neuigkeiten auf ein neues historisches Tief. Die wirtschaftliche und soziale Lage des Landes könnte sich nun auch sehr kurzfristig weiter verschlechtern, bevor sie sich mittel- bis langfristig allerdings bessern dürfte.


Autor: Ramiro Fulano
Bild Quelle: Jacques Descloitres, MODISRapid Response Team, NASA/GSFC, Public domain, via Wikimedia Commons


Samstag, 22 April 2023

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