Zum 1. Mai: Milei macht Goldgräberstimmung in Argentinien Zum 1. Mai: Milei macht Goldgräberstimmung in Argentinien
Rechtzeitig zum Krampftag der Arbeiterkaste und nach rund 140 Tagen im Amt hat es die wirtschaftsliberale Regierung des Präsidenten Javier Milei mit ihrem weitreichenden Reformpaket über die erste Hürde des argentinischen Kongresses geschafft.
Von Ramiro Fulano
Das im ersten Anlauf gescheiterte „Ley de Bases“ – auch als „Ley Omnibus“ bekannt – hat es gestern im zweiten Versuch über die erste und wichtigste Hürde, das Abgeordnetenhaus, des argentinischen Kongresses geschafft – in einer deutlich abgespeckten Fassung, die auch als „Ley Micro“ (= Kleinbus) verspottet wurde. Eine Zustimmung des Senats ist wahrscheinlich.
Das gestern verabschiedete Maßnahmenpaket erlaubt dem argentinischen Präsidenten weitreichende Eingriffe in die öffentliche Verwaltung. Die Verschlankung der überbordenden Bürokratie und der Verkauf verlustreicher Staatsunternehmen bleibt das Hauptziel, nicht zuletzt aufgrund eines primären Staatdefizits von 5 % und eines Sekundärdefizits von 11 bis 12 % des BIP (letzteres aufgrund der Passiva der argentinischen Nationalbank).
Durch rigide Sparmaßnahmen und Massenentlassungen in der öffentlichen Verwaltung ist es im ersten Vierteljahr gelungen, einen realen Haushaltsüberschuss von 0,2 % zu erzielen. Der argentinische Peso, eine der weniger geschätzten Nationalwährungen, stabilisierte sich nach einer massiven Abwertung gegen den US-Dollar und gewann aufgrund strikter Null-Emission-Politik zuletzt rund 30 % an Wert gegenüber der US-Währung, ein bislang nie dagewesenes Phänomen. Argentinische Staatsanleihen und Aktien legten bereits angesichts der ersten Reformen um bis zu 30 bzw. 300 % ins Plus.
Auch die Sorge um die Erosion der Kaufkraft hat deutlich abgenommen. Selbst der notorisch kritische Washingtoner Weltwährungsfonds bescheinigte der Regierung in Buenos Aires überraschend schnelle Erfolge bei der Bekämpfung der Inflation. Die Teuerungsrate hatte – aufgrund der Finanzierung des Staatshaushaltes über die Notenpresse unter der sozialdemokratischen Vorgängerregierung von Alberto Fernández – noch im Dezember auf Basis annualisierter Großhandelspreise bei 15.000 bis 17.000 % gelegen. Sie beträgt nun im April rund 8 % monatlich, Tendenz sinkend.
Ein noch schlimmerer Kollaps von Wirtschaft und Gesellschaft als 2001/2 schien bis zu den ultraorthodoxen monetären Maßnahmen des argentinischen Präsidenten und seiner Wirtschaftsministers Toto Caputo unausweichlich, konnte aber im letzten Moment abgewendet werden.
Die monetäre Kontraktion führte zu einem erheblichen Nachfrageieinbruch und die argentinische Wirtschaft zeigte im ersten Quartal einen stark rezessiven Verlauf mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um bis zu 5 % des BIP. Zur Lösung dieser objektiv schwierigen Lage hatte Milei bereits im Dezember – unmittelbar nach Amtsantritt – sein „Ley de Bases“ auf den Weg gebracht, war aber aufgrund des Umfangs und teilweise auch ungeschickter Verhandlungen an der ersten parlamentarischen Hürde gescheitert.
Inzwischen ist es der Regierung gelungen, aus einer parlamentarischen Minderheit von nur 28 Sitzen (von 241) eine vergleichsweise stabile Koalition rechts der sogenannten Mitte zu zimmern: mit den bürgerlich-liberalen Kräften der PRO, dem dialogbereiten Teil der UCR und weiteren teils regionalen Kleinparteien steht dem Präsidenten inzwischen eine Mehrheit der Abgeordneten zur Seite. Dies allein ist ein wesentlicher politischer Erfolg des für seinen konfliktären Führungsstil bekannten Präsidenten, denn somit ist es zum ersten Mal unstrittig, dass er sein Mandat erfolgreich ausüben kann. Argentinische Aktien drehten während der Abstimmung mit bis zu 7 % deutlich ins Plus.
Mileis Image ist mit rund 62 % Zustimmung derzeit das besten der Welt – und das drei Monate nach Reformen, die zu drastischen Einschnitten im Einkommen der mittleren und unteren Bevölkerungsschichten führten; Olaf Scholz (SPD) bildet im selben Ranking übrigens mit schlappen 24 % das Schlusslicht.
Die Aussichten bei den 2025 anstehenden Parlamentswahlen sind für Mileis liberal-libertäre Partei LLA (die bis vor zwei Jahren nicht landesweit existierte) ausgezeichnet: 56 % würden laut argentinischer „Sonntagsfragen“ die Milei-Partei wählen. Die sozialdemokratische Konkurrenz steht mit landesweit 38 % vor einem dramatischen Verlust bei den Halbzeitwahlen und könnte ab dem nächsten Jahr vielleicht nur noch ein Viertel aller Abgeordneten stellen.
Vor diesem Hintergrund – und der geopolitischen Neuausrichtung des Landes als Verbündeter der USA und angehendes NATO-Mitglied – scheint eine zunehmende Integration des Landes ins westliche Wirtschaftssystem wahrscheinlich. Vor allem für die Energiewirtschaft ist Argentinien überaus attraktiv: Das Land verfügt über die weltgrößten noch nicht erschlossenen Erdgas- und Lithiumreserven. Die Landwirtschaft hat das Potenzial, 450 Millionen Menschen zu ernähren. Und aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung durch den Linkspopulismus hat das Land einen enormen Reparaturstau in der öffentlichen Infrastruktur, was in den kommenden Jahren vor allem durch Public-private-Partnerschaften abgearbeitet werden soll.
Zudem ist Argentinien als Wirtschaftsstandort aufgrund seiner vergleichsweise gut gebildeten Bevölkerung und eines stabilen und kostengünstigen Energiemixes (65 % Wasserkraft, 20 % Atomkraft, 15 % Erdgas) auch für deutsche Unternehmen attraktiv: Mercedes-Benz investiert derzeit 50 Millionen Dollar in seine Autobusproduktion in Zárate, während im „Ländle“ Stellen abgebaut werden.
Wenn es der Regierung in Buenos Aires gelingt, den eingeschlagenen Kurs auch gegen Widerstände der extremen Linken und des Syndikalismus beizubehalten, und vor allem die dringend benötigte Rechtssicherheit für ausländische Investoren zu garantieren, könnte es dem an sich sympathischen Schwellenland mittel- bis langfristig gelingen, wieder zu den führenden Nationen der Welt zu zählen.
Autor: Ramiro Fulano
Bild Quelle: Senado de la Nación Argentina, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons
Freitag, 03 Mai 2024