Sie war Licht in der Finsternis: Margot Friedländer ist tot – und mit ihr geht eine Stimme, die Deutschland nie vergessen darfSie war Licht in der Finsternis: Margot Friedländer ist tot – und mit ihr geht eine Stimme, die Deutschland nie vergessen darf
Sie überlebte, was nicht zu überleben war. Und sie kehrte zurück, um zu erzählen, zu erinnern, zu versöhnen. Mit dem Tod von Margot Friedländer verliert Deutschland mehr als eine Zeitzeugin – es verliert sein lebendiges Gewissen.
Manche Menschen verlassen die Welt – und die Welt spürt es sofort. Bei Margot Friedländer ist es mehr als ein Verlust. Es ist das Verstummen einer Stimme, die uns durch ihre bloße Existenz an Menschlichkeit erinnerte. Die Holocaust-Überlebende, Ehrenbürgerin Berlins und moralische Instanz unseres Landes, ist im Alter von 103 Jahren am 9. Mai 2025 in ihrer Geburtsstadt Berlin gestorben.
Ihre Geschichte ist einzigartig. Und doch war sie nie allein ihre eigene. Sie sprach für Millionen, die nicht mehr sprechen konnten. Margot Friedländer war die letzte Überlebende ihrer Familie. Ihre Mutter, ihre große Liebe – ihr Bruder – wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Und doch blieb sie nicht stumm. Sie sprach. Wieder und wieder. In Schulen, in Parlamenten, in Fernsehsendungen. Mit einer ruhigen, festen Stimme und einem Blick, der mehr sagte als jede Schlagzeile.
Geboren 1921 in Berlin, wurde sie von den eigenen Nachbarn verraten. Margot Friedländer tauchte unter – ein jüdisches Mädchen in einer Stadt, die jüdische Namen ausradiert hatte. Gefasst, deportiert, überlebte sie das Konzentrationslager Theresienstadt. Es ist ein Satz, den man nicht oft genug sagen kann: Sie überlebte. Und sie kam zurück.
Erst 2003, Jahrzehnte nach dem Krieg, kehrte sie aus ihrem Exil in New York nach Berlin zurück – nicht aus Hass, sondern aus Hoffnung. Hoffnung, dass Worte heilen können, wo Taten zerstört haben. Hoffnung, dass Erinnerung nicht Last ist, sondern Pflicht. Und sie erfüllte diese Pflicht – bis zum letzten Tag.
„Versuche, dein Leben zu machen.“
Das waren die letzten Worte ihrer Mutter, bevor sie deportiert wurde. Margot Friedländer hat diesen Satz nicht nur überlebt – sie hat ihn gelebt. Ihre Autobiografie trägt diesen Titel, und ihre Lebensgeschichte wurde zur Mahnung, zur Botschaft, zur Brücke zwischen Generationen.
Kinder und Jugendliche hörten ihr zu, oft zum ersten Mal. Nicht mit dem Staunen, das man alten Geschichten schenkt, sondern mit dem aufrichtigen Schock darüber, was Menschen Menschen antun können – und wie ein Mensch wie Margot Friedländer trotzdem mit Würde zurückblickt. Niemals mit Hass, aber niemals ohne Wahrheit.
Sie wurde ausgezeichnet, gefeiert, geehrt – mit dem Bundesverdienstkreuz, dem Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums, mit dem Margot-Friedländer-Preis, der ihren Namen tragen wird, auch wenn ihre Stimme nun verstummt ist. Aber es waren nie die Preise, für die sie sprach. Es war ein einziger Appell, immer wieder:
„Seid Menschen.“
Drei Worte. Einfach. Klar. Unverrückbar. Es ist schwer, diesen Satz zu lesen, jetzt, da die Frau, die ihn geprägt hat, nicht mehr unter uns ist. Aber genau darum ist es jetzt an uns, ihn weiterzugeben. Ihr Tod ist eine Erinnerung daran, dass wir alle verantwortlich sind. Für Erinnerung. Für Menschlichkeit. Für den Mut, nicht wegzusehen.
Margot Friedländer hat uns nicht nur gelehrt, was war. Sie hat uns gezeigt, was sein kann – wenn wir zuhören, wenn wir aufstehen, wenn wir Mensch bleiben.
Sie ist gegangen. Aber sie hat uns etwas hinterlassen: ihre Geschichte. Ihre Stimme. Und eine Aufgabe.
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Bild Quelle: a work by ZDF/TerraX/Leonie Schöler/Julia Geiß/Michael Fandel/Benjamin Leng/Margot Friedländer Zeitzeugin/Maximilian Mohr from https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/interview-mit-holocaust-ueberlebender-margot-friedlaender-creative-commons-clip-100.html Clip zur ganzen Doku: https://www.zdf.de/dokumentation/dokumentation-sonstige/die-wannseekonferenz---die-dokumentation-vom-24-januar-2022-100.html with
Samstag, 10 Mai 2025