Afrikas vergessene Front: Wie der Terror Mali in den Abgrund reißtAfrikas vergessene Front: Wie der Terror Mali in den Abgrund reißt
Die Hauptstadt Bamako steht unter Belagerung, Treibstoff und Nahrung werden knapp, und Al-Qaida-nahe Milizen erzwingen islamistische Regeln. Der Niedergang Malis könnte den gesamten Sahel destabilisieren – mit fatalen Folgen für Afrika und Europa.
Während die Welt auf den Nahen Osten blickt, entfaltet sich in Westafrika eine stille Katastrophe. In Mali, einem der größten Länder des Kontinents, belagert der dschihadistische Zusammenschluss Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin (JNIM) seit Wochen die Hauptstadt Bamako. Die Gruppe, ein Ableger von Al-Qaida, kontrolliert weite Teile des Nordens und nun auch strategische Zufahrtswege zur Hauptstadt. Ihr Ziel: die militärische Junta zu zermürben – und schließlich zu stürzen.
Seit mehr als zwei Monaten ist Bamako von der Versorgung mit Treibstoff, Lebensmitteln und Medikamenten weitgehend abgeschnitten. Schulen schließen, die Wirtschaft liegt brach, während die Angst wächst. Frauen werden gezwungen, Hijab zu tragen, Familien verstecken sich aus Furcht vor Angriffen, und auf den Straßen patrouillieren Milizen, die der Scharia ihre eigene Interpretation aufzwingen.
Der Belagerungszustand ist kein spontaner Akt der Gewalt, sondern Teil einer langfristig geplanten Strategie. Sicherheitsexperten zufolge versucht JNIM, den Staat nicht frontal zu übernehmen, sondern von innen heraus zu schwächen – wirtschaftlich, sozial, politisch. Das Ziel: das Land in einen Zustand der Dauerkrise zu treiben, in dem islamistische Strukturen als einzige stabile Ordnung erscheinen.
Der Zerfall eines Staates
Mali steht seit Jahren am Rand des Zusammenbruchs. Zwei Putsche in Folge, 2020 und 2021, haben die fragile Ordnung zerstört. Der derzeitige Machthaber Assimi Goïta regiert mit eiserner Hand, doch seine Regierung verliert zunehmend die Kontrolle über das Land. Während im Norden Terrorgruppen agieren, droht im Süden der vollständige wirtschaftliche Kollaps.
Das Vakuum füllt Russland: Nach dem Abzug französischer und amerikanischer Truppen holte die Junta Kämpfer der Wagner-Gruppe ins Land. Doch die vermeintlichen „Sicherheitsberater“ erwiesen sich als brutale Söldner, deren Einsätze Zivilisten das Leben kosteten und kaum militärische Wirkung zeigten. Seit dem Tod von Jewgeni Prigoschin im Sommer 2024 ist auch dieser Einfluss zerfallen – und mit ihm die letzte Illusion von Stabilität.
„Wenn Mali fällt, fällt alles“, warnt ein westafrikanischer Diplomat in Bamako. Seine Worte sind keine Übertreibung. Mali ist das geographische Herz des Sahel, eingerahmt von Niger, Burkina Faso, Mauretanien und Algerien. Ein Zusammenbruch der Regierung dort würde einen Dominoeffekt auslösen: radikale Gruppen könnten sich ungehindert über Grenzen hinweg ausbreiten, Waffen, Drogen und Menschenhandel würden explodieren, und Millionen Flüchtlinge könnten Richtung Norden ziehen.
Ein gefährliches Bündnis
Mali, Niger und Burkina Faso haben sich 2023 zur „Sahel-Allianz“ zusammengeschlossen – einer militärischen und politischen Union, die den Einfluss westlicher Staaten brechen und sich Russland annähern sollte. Doch das Bündnis wankt. Die drei Länder, die allesamt von Putschisten regiert werden, kämpfen gegen denselben Feind, aber ohne gemeinsame Strategie, Ausrüstung oder Ressourcen.
Die jüngsten Berichte aus Bamako zeigen, wie eng das Schicksal dieser Länder verknüpft ist: Sobald Mali endgültig in die Hände der Jihadisten fällt, werden auch Niger und Burkina Faso zum offenen Ziel. Schon jetzt operieren die Terrorzellen entlang gemeinsamer Grenzen – mobil, vernetzt und finanziell gestärkt durch Lösegeldgeschäfte.
So soll JNIM kürzlich 50 Millionen Dollar für die Freilassung zweier Geiseln aus den Vereinigten Arabischen Emiraten erhalten haben. Gleichzeitig verbreitet die Organisation ihre Ideologie über Schulen, Moscheen und soziale Dienste. Der Terror wächst leise – und mit ihm ein Parallelstaat, der ganze Regionen regiert, während die offizielle Regierung in Bamako kaum noch Einfluss hat.
Europa schaut weg
Die Krise im Sahel ist längst kein afrikanisches Problem mehr. Sie betrifft Europa direkt – nicht nur durch Migrationsbewegungen, sondern auch durch den Zusammenbruch ganzer Sicherheitsstrukturen südlich des Mittelmeers. Der Rückzug westlicher Truppen aus Mali, Niger und Burkina Faso war ein strategischer Fehler: Er hinterließ ein Machtvakuum, das nun Russland und islamistische Gruppen zugleich ausnutzen.
Viele Regierungen in Westafrika versuchen inzwischen, wieder Kontakt nach Washington aufzunehmen. Nach dem Machtwechsel in den USA und dem sicherheitspolitischen Kurswechsel unter Präsident Trump hoffen sie auf erneute Unterstützung, bevor der Terror die Grenzen endgültig verwischt.
Doch die Zeit drängt. Jeder Monat ohne Stabilisierung bedeutet mehr Einfluss für Al-Qaida und deren lokale Verbündete. Die Region droht, zu einem zweiten Afghanistan zu werden – einem endlosen Konflikt, der Generationen prägt und den Westen eines Tages direkt erreichen wird.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Mark Fischer - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=115277207
Donnerstag, 06 November 2025