Lauter als ihr Schaden: Warum die globale BDS-Welle Israel kaum trifft – aber gefährlich bleibtLauter als ihr Schaden: Warum die globale BDS-Welle Israel kaum trifft – aber gefährlich bleibt
Boykott, Empörung und Social Media: Der alte Feldzug gegen Israel erlebt ein digitales Comeback – doch sein Effekt bleibt symbolisch. Das eigentliche Risiko liegt tiefer.
Während sich der Krieg zwischen Israel und der Hamas seinem Ende zuneigt, tobt längst ein anderer Konflikt – nicht im Nahen Osten, sondern in westlichen Einkaufsstraßen, Hörsälen und sozialen Netzwerken. Unter dem Motto „Boycott Israel“ ruft die internationale BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) seit Monaten dazu auf, Produkte, Marken und Unternehmen zu meiden, die mit Israel in Verbindung stehen. Der moralische Appell: Wer Israel wirtschaftlich treffe, könne es politisch zwingen, seinen Kurs zu ändern.
Doch je größer die digitale Reichweite der Kampagne wird, desto klarer zeigt sich ihr begrenzter wirtschaftlicher Effekt – und ihre wachsende ideologische Sprengkraft. Denn hinter der Boykottbewegung verbirgt sich weniger ökonomische Wirkung als vielmehr ein gefährliches Spiel mit Symbolen, Emotionen und historischen Schatten.
Wirtschaft ohne Einbruch – Wahrnehmung mit Wirkung
Seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Hamas-Massakers, erlebt BDS eine neue Popularität. Von Fast-Food-Ketten bis zu Technologieriesen geraten zahlreiche internationale Marken ins Visier, weil sie in Israel aktiv sind oder – oft nur lokal – Solidarität mit der israelischen Bevölkerung bekundet haben. Doch die Realität sieht anders aus: Fluglinien, Handelsketten und Großkonzerne handeln nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus Sicherheits- und Risikogründen.
Nach Kriegsbeginn brach der internationale Flugverkehr nach Tel Aviv ein. Airlines wie Lufthansa, Air France-KLM und Delta stellten ihre Verbindungen wegen Raketenbeschuss, Versicherungskosten und geschlossener Lufträume ein – nicht aus ideologischer Nähe zu BDS. Israels nationale Fluggesellschaft El Al füllte die Lücke und schuf so faktisch ein Monopol. Selbst Ryanair, das seine Flüge 2024 wieder aufgenommen hatte, stoppte sie bald darauf – aus wirtschaftlichen Gründen.
Auch in anderen Branchen blieb der Schaden gering. Der Pharmariese Teva, eines der häufigsten Boykottziele, verzeichnet keine Einbußen. Gleiches gilt für globale Technologiekonzerne wie Intel, Microsoft oder Hewlett-Packard, die ihre israelischen Standorte weiter ausbauen. Israels Wirtschaft hat sich erneut als widerstandsfähig erwiesen – eine der stabilsten der Welt, selbst im Angesicht von Krieg und internationaler Kampagnen.
Doch wo wirtschaftliche Folgen ausbleiben, wirkt BDS auf einer anderen Ebene: im Denken der Menschen.
Symbolik als Waffe
Die Macht der Bewegung liegt in ihrer Symbolik. Sie schafft moralische Bilder – Gut gegen Böse, Unterdrücker gegen Unterdrückte – und verlagert die politische Debatte in den Bereich der Emotion. Plattformen wie TikTok, X oder Instagram dienen als Resonanzraum, in dem komplexe Realitäten auf Schlagworte schrumpfen. „Don’t buy Israel“ wird zur Parole, nicht zur Analyse.
So verlagert sich der Konflikt von der politischen Bühne in die Kultur – in Universitäten, auf Festivals, in Modehäuser. Besonders in Europa zeigt sich ein gefährlicher Trend: israelische Akademiker werden von Konferenzen ausgeladen, wissenschaftliche Kooperationen eingefroren, Einladungen zurückgezogen. Diese neue Form des Ausschlusses zielt nicht mehr auf die Politik Israels, sondern auf seine Menschen.
Der Ökonom Dan Ben-David von der Universität Tel Aviv beschreibt die Gefahr als schleichend: Israels Wirtschaft sei widerstandsfähig, aber seine gesellschaftliche Wahrnehmung verletzlich. Ein schwindendes Vertrauen in israelische Institutionen, ein moralisch verzerrtes Bild in den Medien – all das könne langfristig schwerer wiegen als jeder finanzielle Boykott.
Das Paradox der Stärke
Israel ist wirtschaftlich stark, aber in seiner globalen Darstellung verwundbar. Die Hightech-Nation, deren Innovationen in Medizin, Verteidigung und Technologie weltweit genutzt werden, wird in den Köpfen vieler Menschen zunehmend auf den Konflikt reduziert. Gerade diese Reduktion ist das Ziel von BDS: den jüdischen Staat nicht zu zerstören, sondern zu delegitimieren – ihn aus der Gemeinschaft der Nationen moralisch auszuschließen.
Boykottlisten, Stigmatisierung von Produkten, politische Kampagnen gegen israelische Künstler – all das erinnert an alte Muster. Wer heute israelische Waren meidet, tut es oft mit dem Gefühl, moralisch zu handeln, ohne zu erkennen, wie nah diese Haltung an einem gefährlichen historischen Erbe liegt.
Erinnerung als Warnung
Gerade am 9. November darf man nicht vergessen, wohin Boykotte gegen Juden einst führten. 1933, nur wenige Monate nach der Machtübernahme Hitlers, rief das NS-Regime in Deutschland zum Boykott jüdischer Geschäfte auf – unter dem Vorwand, man wolle „ein Zeichen setzen“. Es war der Auftakt zur gesellschaftlichen Ausgrenzung, die in der Pogromnacht vom 9. November 1938 in Gewalt, Mord und verbrannten Synagogen mündete.
86 Jahre später wiederholen sich dieselben Mechanismen, nur in digitaler Form. Statt Plakate in Schaufenstern gibt es Hashtags und virale Kampagnen. Doch das Prinzip bleibt gleich: Menschen sollen sich moralisch überlegen fühlen, indem sie andere wirtschaftlich oder sozial isolieren. Heute nennt man es „Solidarität mit Palästina“ – gestern hieß es „Kauft nicht bei Juden“.
Wer Israel boykottiert, zielt längst nicht mehr auf eine Regierung, sondern auf das kollektive Selbstverständnis des jüdischen Volkes. Die Grenze zwischen politischem Aktivismus und Antisemitismus ist dort überschritten, wo die jüdische Existenz selbst zur moralischen Provokation erklärt wird.
Der 9. November erinnert uns daran, dass Diskriminierung nie mit Hassparolen beginnt, sondern mit der stillen Zustimmung zu einfachen Parolen. Die Gefahr liegt nicht in der Lautstärke, sondern in der Akzeptanz.
Laut, moralisch – und dennoch gefährlich
Die BDS-Bewegung ist kein wirtschaftlicher Gegner Israels, sondern ein kultureller. Sie zielt auf das Vertrauen, auf das Gefühl der Legitimität, auf das Bild Israels in den Köpfen der Menschen. Ihr Erfolg liegt nicht im Umsatzrückgang, sondern in der gesellschaftlichen Spaltung, die sie sät.
Gerade am 9. November, dem Tag der Erinnerung an die Pogromnacht, muss klar gesagt werden: Der Boykott jüdischen Lebens – ob durch die Straße oder durch Social Media – bleibt ein Angriff auf die Würde und Sicherheit des jüdischen Volkes. Israel hat gelernt, militärische Bedrohungen abzuwehren. Doch die Schlacht um seine moralische Verteidigung wird in den Köpfen geführt – und dort darf es keine Gleichgültigkeit geben.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Takver - originally posted to Flickr as Israel - Boycott, divest, sanction, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11924576
Sonntag, 09 November 2025