Mexikos Wut entlädt sich auf der Straße – und trifft die Präsidentin als Jüdin

Mexikos Wut entlädt sich auf der Straße – und trifft die Präsidentin als Jüdin


In Mexiko wachsen Frust und Angst – doch ein Teil der Protestbewegung entgleist in blanken Judenhass. Die antisemitischen Parolen gegen Präsidentin Claudia Sheinbaum zeigen, wie brüchig der demokratische Konsens im Land geworden ist.

Mexikos Wut entlädt sich auf der Straße – und trifft die Präsidentin als Jüdin

Eigentlich ging es um ein Thema, das die mexikanische Gesellschaft tief verunsichert: die allgegenwärtige Gewalt, die Macht der Kartelle, der Mord an einem Bürgermeister, der die Verflechtungen zwischen organisierter Kriminalität und staatlicher Ohnmacht offen benannte. Doch die Wut, die sich entlud, bekam eine beunruhigende Richtung – und richtete sich nicht nur gegen die Regierung, sondern gegen die jüdische Herkunft der Präsidentin.

Claudia Sheinbaum steht im Zentrum eines politischen Bebens, das weit über die üblichen Fronten hinausgeht. Der brutale Mord an Carlos Manzo, Bürgermeister von Uruapan, hat das Land erschüttert. Er war einer der wenigen Lokalpolitiker, die die Kartelle offen herausforderten. Sein Tod wurde zum Fanal, das Tausende Menschen auf die Straßen brachte. Doch was als Aufschrei gegen Verbrechen und Korruption begann, wurde von radikalisierten Gruppen gekapert: Sie rissen Barrieren nieder, attackierten die Polizei – und besprühten schließlich das historische Nationalpalast-Gebäude mit antisemitischen Parolen.

Dass ein demokratisches Staatsoberhaupt im Jahr 2025 öffentlich mit Ausdrücken wie „jüdische Hure“ beschimpft wird, ist nicht nur ein moralischer Tiefpunkt. Es ist ein politisches Warnsignal – und eines, das Israel besonders ernst nimmt. Denn Antisemitismus verschwindet nicht im luftleeren Raum. Er entsteht dort, wo Hass als Abkürzung für komplexe Probleme dient und Minderheiten zur Zielscheibe werden, wenn politische Eliten herausgefordert sind.

Eine Gesellschaft zwischen Kontrollverlust und Manipulation

Die Regierung erklärt die Proteste als orchestrierten Angriff der politischen Rechten. Die Präsidentin spricht von Kampagnen, die online durch Bots verstärkt würden. Tatsächlich zeigt die Analyse vieler mexikanischer Medien, dass bestimmte Hashtags in Wellen auftraten und aus Netzwerken stammen, die schon früher gegen ihre Regierung mobilisiert haben. Doch diese digitalen Impulse allein hätten nicht ausgereicht, wenn die Verzweiflung im Land nicht so tief sitzen würde.

Der Mord an Manzo fand während der Feierlichkeiten zum „Tag der Toten“ statt – ein kulturelles Symbol, das Mexikos Identität prägt. Seine Ermordung inmitten eines Volksfestes, offen, ohne jede Vorsicht, war ein kalkulierter Schlag der Kartelle. Es sollte zeigen, wer wirklich den Ton angibt. Und die Botschaft kam an: Viele Jugendliche, frustriert von Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit und chronischer Unsicherheit, sahen in ihm einen Märtyrer. Die Cowboyhüte, die viele Demonstranten trugen, sollten ihn ehren – und gleichzeitig eine Absage an die politische Elite symbolisieren.

Doch während der Protest sich entlud, überschritt ein Teil der Demonstranten eine Grenze, die nichts mehr mit berechtigter Kritik zu tun hat. Antisemitische Parolen sind kein „emotionaler Ausrutscher“, kein Nebenschauplatz. Sie sind ein Angriff auf demokratische Stabilität. In vielen Ländern Lateinamerikas dienen solche Momente dazu, die eigene Wut auf eine Gruppe zu projizieren, die vermeintlich „anders“ ist. Auch in diesem Fall wurde die jüdische Identität der Präsidentin bewusst als Schwachpunkt markiert – nicht ihre Politik, nicht ihre Entscheidungen, sondern ihr Ursprung.

Mexiko ringt mit seiner Zukunft – und mit dem Gift des Hasses

Zwar genießt Claudia Sheinbaum weiterhin hohe Zustimmungswerte, vor allem wegen erster Erfolge bei der Bekämpfung des Fentanyl-Schmuggels, ein Thema, das für Präsident Donald Trump essenziell ist. Doch hohe Zustimmung schützt nicht vor emotionalisierter Politik. Und sie schützt schon gar nicht davor, dass Protest in Gewalt umschlägt.

Dass der Kongress von Peru die mexikanische Präsidentin jüngst zur unerwünschten Person erklärte, verschärft die außenpolitische Lage zusätzlich. Mexiko steht damit innen wie außen unter Druck – und die antisemitischen Ausfälle in der Hauptstadt sind ein Symptom für ein Land, das gleichzeitig reformieren, stabilisieren und neue politische Identitäten formen muss. Wenn ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt aufgrund seiner Herkunft verbal angegriffen wird, wird nicht nur eine Person delegitimiert – sondern das Prinzip demokratischer Gleichberechtigung selbst.

Für Israel ist die Lage eindeutig: Antisemitismus ist ein globales Problem. Er tritt nicht nur dort auf, wo jüdisches Leben sichtbar ist, sondern auch dort, wo politische Erzählungen die Verantwortung verschieben wollen. Die Angriffe auf Sheinbaum zeigen erneut, wie schnell Hass zur Waffe wird, wenn eine Gesellschaft sich bedroht fühlt und ihre politischen Konflikte nicht lösen kann.

Die Proteste haben eine echte Grundlage. Die Gewalt in Mexiko ist real, die Angst greifbar, die Kartelle mächtig. Aber der Hass, der nun offen zutage tritt, zeigt eine zweite Realität: dass Demokratie nur dann funktioniert, wenn Kritik nicht in Verachtung umschlägt und politische Gegner nicht zu Feindbildern entmenschlicht werden. Die Frage ist nun, ob Mexiko die Kraft hat, diesen Weg zurückzufinden – oder ob die Bilder der letzten Tage einen gefährlicheren Trend markieren.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot X


Sonntag, 16 November 2025

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