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Wenn Erinnerung gelöscht wird: Der Fall Ron Sherman und Wikipedias gefährliche Neutralität

Wenn Erinnerung gelöscht wird: Der Fall Ron Sherman und Wikipedias gefährliche Neutralität


Wikipedia entfernte die Gedenkseiten für den entführten und ermordeten Soldaten Ron Sherman – mit der Begründung, man schreibe „keine Einträge über Soldaten“. Ein Satz, der tiefer verletzt als jede technische Begründung und ein Problem offenlegt, das weit über eine einzelne Löschung hinausgeht.

Wenn Erinnerung gelöscht wird: Der Fall Ron Sherman und Wikipedias gefährliche Neutralität

Es gibt Entscheidungen, die man nicht sachlich betrachten kann, weil sie die Grenze zwischen Bürokratie und Menschlichkeit überschreiten. Die Löschung der Wikipedia-Einträge über den entführten und ermordeten israelischen Soldaten Ron Sherman gehört genau in diese Kategorie. Nicht wegen eines Formfehlers, nicht wegen eines Urheberrechtsproblems, sondern wegen der Begründung, mit der das größte Wissensprojekt der Welt einen Bruder abweist, der seinem getöteten Geschwisterkind Würde zurückgeben wollte.

Dan Sherman, der ältere Bruder von Ron, schrieb nächtelang, suchte Quellen, formte Sätze, redigierte Absätze – nicht als Aktivist, nicht als Politiker, sondern als Mensch, der einen Ort schaffen wollte, an dem die Geschichte seines Bruders nicht verweht. Ron Sherman, 19 Jahre alt, diente am Grenzvorposten von COGAT, wurde am 7. Oktober von der Terrororganisation Hamas verschleppt und Monate später tot aus Gaza zurückgebracht. Sein Gesicht ging um die Welt. Sein Name stand auf Transparenten von Berlin bis New York. Und doch erhielt Dan Sherman von Wikipedia die Antwort: „Wir schreiben keine Einträge über Soldaten.“

Ein Satz, der im israelischen Ohr weniger nach Regelwerk klingt – und mehr nach moralischer Blindheit.

Denn die Behauptung stimmt nicht einmal. Es gibt viele Wikipedia-Einträge über gefallene, entführte oder ermordete Soldaten. Es gibt Artikel zu Opfern des 7. Oktober, darunter auch zu jenen, die gemeinsam mit Ron entführt wurden. Wikipedia sprach also kein allgemeines Prinzip aus – sondern eine Entscheidung, die es nicht wagt, ihren eigenen Maßstab offen zu benennen.

Als Dan darauf hinwies, erhielt er die nächste Begründung: Der 7. Oktober sei ein „Großereignis“, kein individueller Vorfall. Man könne nicht allen eine Seite geben, also solle keiner eine erhalten. Eine Logik, die die Anonymisierung zur Tugend erhebt und das individuelle Leben dem historischen Massenzusammenhang opfert. Genau das, was Erinnerungskultur verhindern soll.

In dieser Haltung zeigt sich ein beunruhigender Trend: Die Angst, ein israelisches Opfer sichtbar zu machen, könnte als Parteinahme gelesen werden. Wikipedia zieht sich in eine sterile „Neutralität“ zurück, die niemandem wehtun soll – und am Ende ausgerechnet jene trifft, denen ein öffentliches Erinnern das letzte verbliebene Recht ist.

Es ist die Art von Neutralität, die im Angesicht von Terror zum moralischen Vakuum wird.

Dass ein Bruder darum kämpfen muss, dass die Geschichte eines ermordeten jungen Mannes nicht gelöscht wird – mehrfach, kommentarlos, ohne ein menschliches Wort –, sagt viel aus über die Verunsicherung westlicher Institutionen im Umgang mit israelischem Leid. Man will niemanden bevorzugen, niemanden verletzen, niemanden verärgern. Und am Ende verletzt man genau den, der am wenigsten noch tragen kann.

Dan Sherman schrieb: „Er könnte einer von uns gewesen sein.“ Genau das ist der Punkt. Ron Sherman ist kein politischer Marker, kein Symbol einer Debatte, sondern ein junger Mensch, der sein Leben verlor, weil Terroristen beschlossen, dass israelisches Blut vogelfrei sei. Wikipedia hätte das anerkennen können, ohne ein politisches Urteil zu fällen. Stattdessen entschied man sich für Löschung – und damit für Unsichtbarkeit.

Erinnerung, die nicht erzählt werden darf, stirbt ein zweites Mal. Und die größte freie Enzyklopädie der Welt sollte sich fragen, ob „Neutralität“ wirklich darin bestehen darf, Stille über eine Geschichte zu legen, die erzählt werden muss.

Denn Schweigen ist keine Neutralität. Es ist eine Entscheidung. Und manchmal die falsche.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot X


Donnerstag, 11 Dezember 2025

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