Israels schlechtes Image. Antisemitismus, doppelte Maßstäbe und eine westliche SelbsttäuschungIsraels schlechtes Image. Antisemitismus, doppelte Maßstäbe und eine westliche Selbsttäuschung
Israel landet am Ende globaler Image-Rankings. Doch das Problem liegt tiefer als Politik und Schlagzeilen – und es betrifft auch jene, die Israel beurteilen.
Dass Israel in internationalen Wahrnehmungsstudien seit Jahren schlecht abschneidet, wird oft mit aktuellen Regierungen, militärischen Entscheidungen oder einzelner Kommunikation erklärt. Diese Erklärungen greifen zu kurz. Wer den anhaltenden Imageschaden Israels verstehen will, muss drei Faktoren zusammendenken, die selten gemeinsam benannt werden: den wachsenden Antisemitismus, die Anwendung doppelter Maßstäbe und eine moralische Erwartungshaltung, die kein anderes Land erfüllen müsste.
Der weltweite Anstieg des Antisemitismus ist dabei kein Randphänomen mehr. In vielen Ländern erstarken gleichzeitig extrem rechte und extrem linke Milieus, die sich ideologisch bekämpfen, im Feindbild jedoch übereinstimmen. Juden werden erneut für alles verantwortlich gemacht, was als bedrohlich, ungerecht oder komplex empfunden wird. Globalisierung, Kapitalismus, Kriege, Migration, Medienmacht. Die Begründungen variieren, die Schuldzuweisung bleibt gleich.
Israel wird in diesem Klima zum kollektiven Stellvertreter. Der jüdische Staat dient als Projektionsfläche für alte Ressentiments in neuer Sprache. Offener Judenhass ist gesellschaftlich geächtet, also tritt er moralisch auf. Politisch. Humanitär. Antisemitismus tarnt sich als Kritik, als Aktivismus, als Haltung. Dass er dabei häufig jüdisches Leben insgesamt trifft, wird verdrängt oder geleugnet.
Diese Dynamik erklärt auch, warum Israels Image nie wirklich stabil war. Lange vor aktuellen Konflikten galt der jüdische Staat als Sonderfall. Er durfte existieren, aber nicht souverän handeln. Er sollte sich verteidigen, ohne Gewalt anzuwenden. Er sollte bedroht werden, ohne Konsequenzen zu ziehen. Erwartungen, die an kein anderes Land gestellt werden.
Hier setzt der zweite zentrale Punkt an: die doppelten Maßstäbe. Kaum irgendwo zeigt sich diese Verzerrung so deutlich wie in der Frage der Selbstverteidigung. Wenn Terrororganisationen Raketen auf israelische Städte abfeuern, wird von Israel regelmäßig Zurückhaltung gefordert. Die Begründung lautet oft, das Land verfüge über moderne Abwehrsysteme und könne Angriffe daher abfangen.
Diese Logik ist entlarvend. Sie unterstellt, dass Raketenbeschuss hinnehmbar sei, solange er nicht sofort tödlich endet. Sie blendet aus, dass jeder Alarm das zivile Leben lahmlegt, Kinder in Schutzräume zwingt und ganze Regionen unter Dauerstress setzt. Und sie ignoriert die Realität, dass Raketenabwehr kein Schutzschild zum Nulltarif ist, sondern ein extrem kostspieliges System, dessen Betrieb Milliarden verschlingt.
Kein westlicher Staat würde akzeptieren, dass seine Städte regelmäßig beschossen werden, nur weil ein Teil der Raketen abgefangen wird. Kein europäisches Land würde es seinen Bürgern zumuten, jahrelang mit Sirenen, Schutzräumen und der ständigen Bedrohung zu leben, ohne zu reagieren. Und kein Staat würde dulden, dass bewaffnete Gruppen offen seine Zerstörung propagieren, ohne sich zu wehren.
Von Israel wird genau das erwartet.
Verteidigung wird bei Israel als Aggression gelesen, Abschreckung als Provokation, militärische Notwendigkeit als moralisches Versagen. Vergleichbare oder deutlich härtere Maßnahmen anderer Länder lösen dagegen kaum Empörung aus. Dieser doppelte Maßstab ist kein Zufall. Er speist sich aus einem tief verankerten Sonderblick auf jüdische Macht. Juden werden akzeptiert, solange sie schwach sind. Sobald sie sich schützen, gelten sie als Problem.
Der dritte Faktor ist die westliche Selbsttäuschung. Viele Gesellschaften verstehen ihr Urteil über Israel als Ausdruck höherer Moral. Tatsächlich projizieren sie eigene Unfähigkeit zur Konfliktlösung nach außen. Israel wird zum moralischen Ventil. An ihm werden Maßstäbe exekutiert, die man im eigenen Land niemals anwenden würde.
Diese Mechanismen prägen globale Stimmungen. Wahrnehmungsindizes messen keine Fakten, sondern Gefühle. Und Gefühle entstehen nicht im luftleeren Raum. Sie werden geformt durch Erzählungen, Bilder und jahrhundertealte Muster. Antisemitismus ist in vielen Gesellschaften kein Ausrutscher, sondern kulturell vererbter Reflex. Er verschwindet nicht. Er verändert nur seine Sprache.
Dass junge Generationen Israel zunehmend als illegitim wahrnehmen, ist deshalb nicht allein Ergebnis einzelner Ereignisse. Es ist das Resultat einer Erzählung, in der jüdische Selbstbestimmung grundsätzlich als anstößig gilt. In der Macht bei anderen Staaten Normalität ist, bei Juden jedoch als moralischer Makel gelesen wird.
In diesem Kontext wird deutlich, warum Imagekampagnen an ihre Grenzen stoßen. Israels schlechtes Abschneiden ist kein reines Kommunikationsproblem. Es ist Ausdruck einer tieferen gesellschaftlichen Verschiebung. Einer Welt, in der alte antisemitische Denkmuster wieder anschlussfähig geworden sind und sich mit politischen Codes tarnen.
Das bedeutet nicht, dass Israel frei von Fehlern ist oder nicht kritisiert werden darf. Aber es bedeutet, dass die Kritik selten unter gleichen Voraussetzungen erfolgt. Solange Israel nach Regeln beurteilt wird, die niemand sonst erfüllen muss, bleibt sein Image beschädigt. Nicht wegen seiner Realität, sondern wegen der Erwartungen anderer.
Das eigentliche Warnsignal liegt deshalb weniger im Ranking selbst als in dem, was es offenlegt. Eine internationale Öffentlichkeit, die bereit ist, einem Staat das Recht auf Selbstverteidigung abzusprechen, weil er jüdisch ist. Und die sich dabei für besonders aufgeklärt hält.
Autor: Bernd Geiger
Bild Quelle: Von Becker1999 from Columbus, OH - bIMG_7940, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=138941835
Dienstag, 30 Dezember 2025