Diskussionbeitrag von Berliner Linken-Vorsitzenden Dr. Klaus Lederer: „DIE LINKE und die Antisemitismusdebatte: Was bleibt?“Diskussionbeitrag von Berliner Linken-Vorsitzenden Dr. Klaus Lederer:
„DIE LINKE und die Antisemitismusdebatte: Was bleibt?“
Drei Jahre nach der umstrittenen, vielfach als PR-Gag zur Unterstützung der antisemitischen Terrorganisation Hamas kritisierten sogenannten „Free Gaza Flotte“ erschien beim Bundesarbeitskreis Shalom der Linksjugend [solid], der Jugendorganisation der Partei „Die Linke“, eine Artikelserie zur Antisemitismus-Debatte innerhalb der Linkspartei. Zuletzt erschien ein Text des Berliner Landesvorsitzenden, Rechtsanwalt Dr. Klaus Lederer, MdA, der wir nachfolgend in Auszügen dokumentieren.
„Zwei Jahre ist es her, dass Die Linke sich durch politische Konkurrenz, Medien und Akteur*innen aus dem gesellschaftlichen Raum dem Vorwurf ausgesetzt sah, antisemitische Positionen in ihren Reihen zumindest zu dulden und sie zu bagatellisieren. Auslöser war ein Flugblatt, gefunden auf der Webseite der Duisburger Linken, welches üble antisemitische Stereotype enthielt – der Spiegel hatte am 27. April 2011 darüber berichtet. Postwendend distanzierten sich die Duisburger- und die NRW-Linke von diesem Machwerk. Zweifel blieben dennoch: Weshalb konnte eine antisemitische Hetzschrift nahezu ein halbes Jahr, unbemerkt von der Partei, auf ihrer Internetseite abgerufen werden? Als kurze Zeit später die Politikwissenschaftler Samuel Salzborn und Sebastian Voigt den Text „Antisemiten als Koalitionspartner?“[1] veröffentlichten, wallte die Debatte erneut auf. In der Partei selbst, aber auch in der Öffentlichkeit wurde erbittert gestritten. Der Deutsche Bundestag führte schließlich sogar eine Aktuelle Stunde zu den Ausführungen Salzborns und Voigts durch.
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… Ohne Gegenstimme beschloss der Parteivorstand am 21. Mai 2011: „Es gehört zum Bestand Linker Grundpositionen, gegen jede Form von Antisemitismus in der Gesellschaft vorzugehen. Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute nicht und niemals einen Platz. Die Linke tritt (…) mit Partnern entschieden gegen antisemitisches Gedankengut und rechtsextremistische Handlungen auf.“[2] Die Linke-Bundestagsfraktion folgte diesem Beschluss am 7. Juni 2011 – einstimmig, wie ein Fraktionssprecher versicherte.
Das war ganz klar der Versuch, durch eindeutige Positionierung aus der Defensive zu kommen. Wäre es hierbei geblieben, hätte das sogar gelingen können. Dem Beschluss war jedoch eine Aussage zum Nahost-Konflikt hinzugefügt: „Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer Gaza-Flottille beteiligen. Wir erwarten von unseren persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Fraktionsmitarbeiterinnen und Fraktionsmitarbeitern, sich für diese Position einzusetzen.“[3]
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…. Fortgesetzt wurde diese Entscheidung nun aus den eigenen Reihen kritisiert und auch explizit missachtet. „Undemokratisch und gefährlich“ sei dieser Beschluss, so die Bundestagsabgeordnete Annette Groth gegenüber der ARD, eine „Aufkündigung der internationalen Solidarität“.[4]Der Beschluss, so ergänzt sie in einer persönlichen Erklärung, sei „nur durch psychologischen Druck zustande“ gekommen und werde von ihr nicht mitgetragen.[5] Andere Abgeordnete dagegen, so die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau,[6] verteidigten die gefundene Position vehement und nachdrücklich als existenziell für Die Linke.
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Auch in der Partei selbst wurde intensiv weiter diskutiert und gestritten. Mit ihrem Beschluss über ein Parteiprogramm am 23. Oktober 2011 in Erfurt bekannte sich Die Linke schließlich klar zur deutschen Verantwortung für den millionenfachen Mord an Jüdinnen und Juden. Sie leitete daraus die Verpflichtung ab, gegen jeden Antisemitismus einzutreten und bekräftigte ihr Engagement für das Existenzrecht Israels und eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten.[8] Mit dieser programmatischen Aussage war die Debatte in ihrer Zuspitzung und Schärfe erst einmal beendet. Die Schlussfolgerung ist zulässig, dass mit der im Parteiprogramm gefundenen Formulierung der Konsens der überwältigenden Zahl von Mitgliedern der Partei Die Linke niedergelegt ist.
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Die erfreuliche Positionierung im Linke-Parteiprogramm darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sowohl unter, in der Partei organisierten, Linken als auch im „linken Spektrum“ im weitesten Sinne eine Reihe von Konflikten gibt. Diese Konflikte können auch durch Beschlüsse nicht einfach abgehakt werden, sondern bedürften der weiteren Bearbeitung. …
Die Behauptung, in der Partei Die Linke „tummelten sich“ – im Gegensatz zu den anderen Bundestagsparteien – massenhaft Antisemit*innen, die unwidersprochen ihrem Treiben frönen dürften, ist zweifelsohne Unsinn. Die Belege des Gegenteils, klare Verurteilungen und Positionierungen, gibt es zahlreich. …
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Das eigentliche Problem lag und liegt auch heute noch tiefer. Die Frage ist, welche konkreten und praktischen Folgen die verbale Absage an antisemitische Denkmuster für die konkrete Politik der Partei Die Linke und für ihre Funktions- und Mandatsträger*innen hat? Welche Politik Deutschlands und welche Haltungen der Linken dürfen mit Blick auf die deutsche Geschichte, auf „das Gewand“ des modernen Antisemitismus und in Bezug auf den Nahost-Konflikt vertreten werden und welche nicht? …
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Es wäre naiv anzunehmen, Antisemitismus stelle in einer linken Partei schon qua Selbstverständnis kein ernsthaftes Problem dar. Die Linke ist Teil dieser Gesellschaft. Sie bezieht die in ihr vertretenen Traditionen, Positionen und Sichtweisen aus den konkreten Auseinandersetzungen und überkommenen Sichtweisen innerhalb der Gesellschaft. Antisemitische Denkmuster sind in bedenklich großen Teilen der Bevölkerung Deutschlands nach wie vor verbreitet.[12] …
Kaum jemand, die oder der sich als „links“ versteht, wird sich selbst für antisemitisch halten. Um geschlossene antisemitische Weltbilder geht es auch in den seltensten Fällen. Das Problem sind Handlungen und Absichten, die von denjenigen, die sie vertreten, gar nicht als antisemitisch wahrgenommen werden, die sich aber in der verhängnisvollen Grauzone bewegen, in der eine klare Abgrenzung zu antisemitischen Stereotypen und Ressentiments unmöglich ist. Naive „Solidarisierungen“ mit objektiv reaktionären „nationalen Befreiungsbewegungen“ oder „Unterdrückten“ werden schnell zur offenen Flanke gegenüber Antisemit*innen und zum Andockfeld für „Querfront“-Strategien.
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Hierzu gehört ganz gewiss die Dämonisierung Israels, also die Darstellung als „Inbegriff des Bösen“, wenn beispielsweise Israelis mit Nazis, palästinensische Flüchtlingslager oder der Gaza-Streifen mit Auschwitz verglichen werden oder von einem „Holocaust am palästinensischen Volk“ die Rede ist. Auch das gebräuchliche Anlegen von Doppelstandards (im Vergleich zur Politik anderer Regierungen) bei der Kritik an israelischer Regierungspolitik (oft schlicht verkürzend „an Israel“) ist an antisemitische Ressentiments nahtlos anschlussfähig. Das gleiche gilt für die einseitige „Schuldzuweisung“ und geschichtsblinde, „antizionistische“ Behauptungen, Israels Historie und Politik seien die zentrale Ursache für den Nahostkonflikt. Das Bestreiten der Legitimität des jüdischen Staates ist ebenso hierzu zu zählen. Das wird freilich selten als offensives Infragestellen „des Existenzrechts Israels“ geschehen. Es kleidet sich regelmäßig in die Form seiner Denunziation als „rassistisch“, als „Apartheidsstaat“ oder „letztes Überbleibsel des Kolonialismus“.[17]
[…]
Wenn wir eine Partei sein wollen, die dem schon in ihrem Namen enthaltenen Anspruch gerecht wird, dürfen antisemitische Äußerungen in der Linken absolut keinen Platz haben. Deshalb muss die Verständigung und Aufklärung weitergehen. Auch angesichts des schwierigen und sehr ambivalenten Verhältnisses der Linken und der Arbeiterbewegung zum Antisemitismus und zum Staat Israel wäre es unverantwortlich, die Debatte zu verdrängen und zu konstatieren, es gebe überhaupt kein Problem. …“
Foto: Dr. Klaus Lederer bei einer Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus (Foto: By Rupturebln (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0 or GFDL], via Wikimedia Commons)
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Autor: fischerde
Bild Quelle:
Donnerstag, 06 Juni 2013