Was versteckt sich hinter den Angriffen auf die Beschneidung?

Was versteckt sich hinter den Angriffen auf die Beschneidung?


Was versteckt sich hinter den Angriffen auf die Beschneidung?

von Dr. Manfred Gerstenfeld

Das Judentum gegen Angriffe auf jüdische Rituale zu verteidigen wird allmählich selbst zu einem Ritual. Eine gerade erfolgte Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) die Beschneidung zu verbieten, hat Israel und das europäische Judentum einmal mehr in die Defensive gebracht. Der Knesset-Ausschuss für Aliyah kam zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen, an der auch israelische und internationale jüdische Organisationen teilnahmen; Thema war, wie dieser Beschluss annulliert werden kann.1

Das Schema dieser defensiven Reaktionen wurde letztes Jahr festgelegt, nachdem ein deutsches Gericht in Köln entschied, Beschneidung sei in seinem Zuständigkeitsbereich illegal. Derselbe Knesset-Ausschuss hielt damals, im Juli 2012 eine Dringlichkeitssitzung ab. Danach wurden von Israel und jüdischen Organisationen große Anstrengungen unternommen die Entscheidung zu bekämpfen.2 Im Dezember wurde in Deutschland ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Beschneidung legal bleiben sollte.3 Davor wurde bereits von jüdischen Organisationen weltweit ein ähnlicher Kampf gegen ein Gesetz in den Niederlanden geführt, das sich gegen die rituelle Schlachtung, das Schächten richtete. Das vorgelegte Gesetz wurde der Zweiten Kammer verabschiedet, die Erste Kammer passierte es aber im Juni 2012 nicht.4

Angriffe auf jüdische Rituale in Europa werden sich in der Zukunft wahrscheinlich wiederholen. Israel und die Juden werden davon regelmäßig überrascht. Die Menschen fragen: „Warum wussten wir das vorher nicht?“ oder „Warum unternahmen wir nicht unser Möglichstes, um das zu verhindern, statt dann darauf zu reagieren?“ Die Antwort im derzeitigen Fall ist: Das Thema war nicht auf der Agenda, aber ein Antrag wurde von der deutschen SPD-Abgeordneten Marlene Rupprecht im letzten Moment in eine Debatte zum Kinderschutz eingebracht.

Es wurde wieder gefragt, was die Knesset, das israelische Außenministerium und die Oberrabbiner sowie die jüdischen Organisationen im Ausland, einschließlich den USA, tun können. Eine weitere Frage ist, ob der Angriff auf Grundlage der freien Religionsausübung bekämpft werden sollte. Oder sollten andere Überlegungen eingebracht werden? Im Fall der Beschneidung gibt es eine Vielzahl von Berichten über die gesundheitlichen Vorteile der männlichen Zirkumzision.5 Dies könnte in Diskussionen ein gutes Argument sein, doch es lenkt von der Wahrheit ab. Juden führen die männliche Beschneidung durch, weil sie eines der Grundgebote der jüdischen Religion und ein Zeichen der Dazugehörigkeit ist, nicht aus gesundheitlichen Überlegungen.

Ein weiterer, wiederkehrender Aspekt der Reaktionen auf die Angriffe auf Rituale ist die Frage, mit wem die Juden zusammenarbeiten sollen. Muslime sind von Versuchen das rituelle Schlachten und die Beschneidung zu verbieten ebenfalls betroffen. Zusammenarbeit mit ihnen hat politische Fragen zur Folge. Während Israel beim Europarat Beobachter ist, ist die Türkei Mitglied. Würde Letztere angesichts der gespannten Verhältnisse der beiden wollen, dass mögliche Zusammenarbeit offengelegt wird? Darüber hinaus gibt es viel mehr Muslime in Europa als Juden. Ihr Gewicht bei Wahlen ist in den meisten Ländern weit stärker. Es gibt jedoch bezüglich Zeitpunkt und Durchführung grundlegende Differenzen. Juden beschneiden am achten Tag, Muslime können das bis zur Pubertät tun. Während jüdische Beschneider dafür ausgebildet sind, ist das bei Muslimen nicht immer der Fall und sie lassen die Operation oft von Ärzten vornehmen.

Derzeitige Bemühungen könnten einen Weg finden den Beschluss der PACE dadurch schadlos zu machen, dass Nachbesserungen eingeführt werden. Dieselbe Bedrohung wird aber wahrscheinlich auch in anderen Ländern auftreten. In Norwegen z.B. wirbt die oppositionelle Zentrumspartei für das Verbot der Beschneidung. Die Wahren Finnen, drittgrößte Partei in Finnland und dort in der Opposition, unterstützt ebenfalls das Verbot der Beschneidung.

Über den Kampf für den Schutz jüdischer Rituale hinaus gibt es eine zweite Dimension, die Fragen einer anderen Art aufwirft. Waren alle Unterstützer des Antibeschneidungsantrags im PACE rein vom Kindeswohl motiviert? War das, was geschah, lediglich ein Zusammenprall zweier universaler demokratischer Werte – von denen der andere die freie Religionsausübung ist? Man sollte nicht naiv sein. Es gibt einen wichtigen, andauernden Kampf gegen Religion, da Europa sich in Richtung Säkularisierung bewegt. Es gibt auch in einigen politischen Kreisen einen starken Wunsch, den Muslimen das Leben unbequem zu machen. Probleme für durch diese antimuslimischen Handlungen betroffene Juden werden oft als Kollateralschäden betrachtet. Das bedeutet aber, dass bei diesen Angriffen auf die Beschneidung Antisemitismus eine Rolle spielt.

Die Juden und Israel sollten auch eine dritte wichtige Dimension des Themas in ihre Überlegungen einbeziehen. Antisemitismus in seiner antiisraelischen Form hat in Europa große Höhen erreicht. Mindestens 150 Millionen der 400 Millionen Europäer ab 16 Jahren aufwärts glauben, dass Israel einen völkermörderischen Krieg gegen die Palästinenser führt oder sich ihnen gegenüber verhält wie die Nazis gegenüber den Juden. Solch extrem falsche Ansichten zu anderen zu haben ist ein Anzeichen einer weit verbreiten, kriminellen Einstellung unter den Europäern.

In diesem Zusammenhang kommen Verbindungen zwischen Angriffen auf jüdische Rituale und verschiedene antiisraelische Maßnahmen auf. Die Europäische Union betreibt eine starke Verzerrung des internationalen Rechts gegen Israel. Dazu gehört die vorgeschlagene diskriminierende Gesetzgebung zu israelische Siedlungen. Das wurde in einem jüngst an Catherine Ashton, die Hohe Vertreterin der EU für Außenpolitik geschickten Brief offengelegt, den mehr als tausend Juristen aus vielen Ländern unterschrieben. Da das Klima des Hasses in Europa inzwischen weit verbreitet ist, sind antijüdische und antiisraelische Gesetze vielerorts viel leichter durchzusetzen. Angriffe auf jüdische Rituale zu bekämpfen, ohne dem Grundproblem direkt die Stirn zu bieten ist für die israelische Regierung eine höchst unangebrachte Politik.

1 http://www.jpost.com/Diplomacy-and-Politics/Circumcision-ceremonies-should-be-held-at-Israeli-embassies-in-Europe-328699
2 http://www.jpost.com/Jewish-World/Jewish-News/Berlin-to-introduce-law-to-allow-circumcision
3 http://www.dw.de/circumcision-remains-legal-in-germany/a-16399336
4 http://www.volkskrant.nl/vk/nl/2686/Binnenland/article/detail/3273615/2012/06/19/Senaat-verwerpt-verbod-rituele-slacht.dhtml
5 http://online.wsj.com/news/articles/SB1000142412788732479890

 

Erstveröffentlicht bei unserem Partnerblog Heplev

 

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Autor: fischerde
Bild Quelle:


Freitag, 25 Oktober 2013

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