Die Haltung der Türkei zum Holocaust

Die Haltung der Türkei zum Holocaust


Die Haltung der Türkei zum Holocaust

Dr. Manfred Gerstenfeld interviewt Rifat N. Bali (direkt vom Autor)

Die türkische Haltung zum Holocaust unterscheidet sich in vielen Punkten von der anderer Länder. Das Wort „Holocaust“ wird im öffentlichen Diskurs nicht verwendet. Aber die türkischen Medien, Politiker und bürgerlichen Eliten erwähnen den Völkermord an den Juden regelmäßig.

Ein ganz wichtiger Aspekt betrifft die türkische Instrumentalisierung und den Missbrauch des Holocaust in der internationalen öffentlichen Diskussion zum Völkermord an den Armeniern. Die ersten Klagen gegen die Türkei, sie solle ihre Verantwortung für diesen Massenmord während des Ersten Weltkriegs übernehmen, begann um 1965, fünfzig Jahre nach der massiven Deportation der Armenier im Jahr 1915. Diese Vorwürfe – die vor allem von armenischen Organisationen in der westlichen Welt erhoben werden – haben sich intensiviert.

In der sozialwissenschaftlichen Literatur der Türkei wird der Holocaust „Nazi-Völkermord“ genannt. Ein wichtiges Argument der türkischen Führer gegen die Vorwürfe der Verantwortung des Landes für den armenischen Völkermord lautet, das Handeln der Türkei im Ersten Weltkrieg gegen die Armenier unterscheide sich radikal von der systematischen Auslöschung der Juden durch Nazideutschland.

Die Führung der türkischen jüdischen Gemeinschaft, die israelische Regierung und mehrere jüdisch-amerikanische Organisationen machen geltend, dass der Holocaust einzigartig ist. Sie haben die Türkei in der Frage des Völkermords an den Armeniern gestützt, sind deswegen aber in der westlichen Welt angegriffen worden.

Es gibt aber noch eine weitere Sache zum armenischen Völkermord, bei der Juden als Verteidigungsargument der Türken benutzt werden. Juden mit türkischen Pässen in von den Nazis besetzten Ländern wurden teilweise von türkischen Diplomaten gerettet. Anderen Beamten waren sie allerdings egal. Yad Vashem hat nur einen türkischen Diplomaten – Selahattin Ülkümen, während des Krieges Konsul auf Rhodos – als Gerechten der Völker anerkannt. Das türkische Außenministerium behauptet fälschlich, Juden zu retten sei die Politik des Landes gewesen, nicht das Ergebnis des Handelns von Einzelnen. Mit der Falschdarstellung des Themas behauptet die Türkei, ein Land mit „humanitärer Haltung gegenüber den Juden während eines so furchtbaren Zeitraums“ hätte unmöglich den Völkermord an den Armeniern begehen können.

Es gibt weitere weit verbreitete falsche türkische Äußerungen zum Holocaust. Oft wird wiederholt, dass die Juden, die selbst unter Völkermord litten, jetzt die Palästinenser einem solchen unterziehen. Die wichtige konservative, islamische Zeitung Zaman veröffentlichte aus Anlass des 50. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz 1995 einen Artikel, in dem der Autor sich fragte, wie verfolgte Juden in den Lagern Sabra und Schatila wie Nazis handeln konnten. Bequemerweise wurde auch vergessen, dass die Mörder dort libanesische Christen waren.

Der damalige türkische Premierminister Bülent Ecevit reagierte auf das Handeln der israelischen Verteidigungskräfte 2002 im Flüchtlingslager Jenin nach einem großen palästinensischen Selbstmord-Bombenanschlag im Park Hotel in Netanya. Er sagte: „Israel führt vor den Augen der Welt einen Völkermord aus.“ Rund 55 Palästinenser wurden in Jenin getötet, hauptsächlich bewaffnete Kämpfer. 2009, zu Beginn von Israels Operation „Gegossenes Blei“ im Gazastreifen behauptete ein Autor in der konservativ-nationalistischen Zeitung Bugün, „nachdem man das Handeln der IDF gesehen hat, glaubt der normale Mensch auf der Straße, dass Hitler [d.h. der Massenmord an den Juden] gerechtfertigt war“.

Wenn in der Türkei Filme mit Bezug zum Holocaust gezeigt wurden, waren in den Medien wieder Verweise auf den „palästinensischen Völkermord“ zu finden. Diese Artikel beschränkten sich nicht auf islamistische Zeitungen. Ali Hakan, Filmkritiker der Mainstream-Zeitung Sabah, schrieb über Steven Spielbergs Schindlers Liste: „Gibt es wirklich so große Unterschiede zwischen den Nazi-Kommandeuren, die Juden in den [Konzentrationslagern] quälten und sie aus Vergnügen töteten, und den israelischen Soldaten, die den Arm eines palästinensischen Jungen mit einem Stein zerschmettern?“

Es ist eine Reihe Bücher von Holocaust-Leugnern veröffentlicht wurden. Roger Garaudys Die Gründungsmythen der israelischen Politik wurde in Frankreich entsprechend des Gayssot-Gesetzes verboten, das die Infragestellung der Existenz von Verbrechen gegen die Menschheit verbietet. Als Garaudy in Frankreich verurteilt wurde, schrieb die islamistische Presse in der Türkei, dies sei infolge von Druck Israels und der jüdischen Lobby geschehen.

Während der Konferenz von Holocaust-Leugnern 2006 in Teheran bezeichnete Zaman einige der Leugner – so Garaudy, David Irving, Paul Rassinier und Fred Leuchter – als „Intellektuelle“. Ein weiterer den Holocaust leugnender Autor ist Adnan Oktar, der oft seinen Künstlernamen Harun Yahya verwendet. Sein Buch gibt mit Fußnoten und Bibliografien vor wissenschaftlich und akademisch zu sein; er nutzt darin die Arbeiten westlicher Holocaust-Leugner. Oktar schließt, dass der Holocaust erfunden wurde. In den letzten Jahren hat Oktar verschiedene Israelis in der Türkei empfangen, darunter hochrangige religiöse Persönlichkeiten.

Angesichts des oben Beschriebenen überrascht es nicht, dass in der Türkei nur Juden an Feiern zum Internationalen Holocaust-Gedenktag teilnehmen. Die Presse und offizielle Vertreter zeigen kein Interesse. Gleichermaßen nehmen nur Juden am jährlichen Gedenk-Filmfestival teil, das mit dem Holocaust zusammenhängende Filme zeigt und von der jüdischen Gemeinschaft seit 2006 organisiert wird. Türkische Behörden beteiligen sich auch nicht daran Holocaust-Leugnern entgegenzuwirken.

 

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Mitglied des Aufsichtsrats des Jerusalem Center of Public Affairs, dessen Vorsitzender er 12 Jahre lang war. Rifat N. Bali ist ein unabhängiger Wissenschaftler. Er ist Research Fellow am Alberto Benveniste-Zentrum für Sephardische und Kulturstudien in Paris. Er hat zahlreiche Bücher und Artikel zur Geschichte des türkischen Judentums geschrieben. Erstveröffentlicht bei unserem Partnerblog Heplev. Foto: 

 

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Autor: fischerde
Bild Quelle:


Dienstag, 11 März 2014

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