Die Siedlungen und das Völkerrecht

Die Siedlungen und das Völkerrecht


Die Siedlungen und das Völkerrecht

von Robin Löhnert

Völkerrechtswidrig, das ist ein Begriff, den man im Zusammenhang mit den israelischen Siedlungen in Judäa und Samaria sehr häufig zu hören und zu lesen bekommt. Der Umstand, dass Juden in einem bestimmten Teil der Welt wohnen und arbeiten möchten, soll nach Meinung mancher Leute gegen einen überstaatlichen Kanon aus Verträgen, Prinzipien und Normen verstoßen, dessen Anspruch es ist, die Beziehungen der Völker der Welt zueinander auf Basis der Gleichrangigkeit zu regeln.

Zugegeben, das Völkerrecht ist keine einheitliche Institution. Es gibt nicht das Völkerrecht, sondern mehrere Rechtsquellen, aus denen sich ein Völkerrecht ableiten lässt. Manche dieser Quellen sind so genanntes Gewohnheitsrecht, also ungeschriebene Regeln, die deshalb als Recht gelten, weil sich bisher jeder danach gerichtet hat.

Das macht die Abwägung verschiedener Rechtsgüter gegeneinander zuweilen schwierig, weil nicht jede Quelle des Völkerrechts von allen globalen Akteuren gleichermaßen anerkannt wird. Mehr als in anderen Rechtssystemen ist die Bewertung eines völkerrechtlichen Sachverhalts oft eine Interpretationsfrage. Deshalb ist es hilfreich, wenn Vorwürfe genau begründet werden können – umso einfacher lässt sich die Rechtslage überprüfen.

Eine populäre Argumentation gegen die israelischen Siedlungen verwendet als Grundlage das humanitäre Völkerrecht, dessen wichtigste Komponenten die vier Genfer Abkommen und ihre Zusatzprotokolle sind. Artikel 49 des 4. Genfer Abkommens verbietet sowohl die Deportation geschützter Personen (Nichtkombattanten) aus einem besetzten Gebiet, als auch die erzwungene Besiedelung eines besetzten Gebietes durch die Bevölkerung des Besatzers.

Oberflächlich betrachtet ist damit der Fall für viele klar: Der Staat Israel hält Judäa und Samaria de facto besetzt, der Umzug von Israelis in dieses Gebiet muss also gegen das Völkerrecht verstoßen.

Die tatsächliche Situation ist aber keinesfalls so eindeutig. Denn was man nicht ignorieren darf, ist der genaue Wortlaut des Artikels:

„Zwangsweise Einzel- oder Massenumsiedlungen sowie Deportationen von geschützten Personen aus besetztem Gebiet nach dem Gebiet der Besetzungsmacht oder dem irgendeines anderen besetzten oder unbesetzten Staates sind ohne Rücksicht auf ihren Beweggrund verboten.“

Man wäre hier genötigt, nachzuweisen, dass die Siedler sich nicht freiwillig in das Gebiet begeben, sondern vom Staat Israel unter Androhung oder Anwendung von Gewalt zum Umsiedeln gezwungen werden. Soweit mir die Situation bekannt ist, ist das nicht der Fall.

Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Tatsache, dass die Bestimmungen der Genfer Abkommen nur für die Vertragsparteien untereinander gelten. Vertragsparteien können jedoch ausschließlich Staaten sein. Es gibt allerdings keinen Staat, der auf die Regionen Judäa und Samaria einen legalen Anspruch erheben könnte, abgesehen von Israel selbst. Der letzte völkerrechtlich legitime Souverän über das Gebiet war die britische Mandatsregierung in Palästina. Die Mandatsregierung hörte am 14. Mai 1948 auf zu existieren, und hinterließ den Staat Israel als alleinigen Rechtsnachfolger.

Artikel 2 des 4. Genfer Abkommens kennt jedoch eine Bestimmung, die sich auch auf nichtstaatliche Akteure anwenden ließe:

„Wenn eine der im Konflikt befindlichen Mächte am vorliegenden Abkommen nicht beteiligt ist, bleiben die daran beteiligten Mächte in ihren gegenseitigen Beziehungen gleichwohl durch das Abkommen gebunden. Sie sind aber durch das Abkommen auch gegenüber dieser Macht gebunden, wenn diese dessen Bestimmungen annimmt und anwendet.“

Wenn also ein an einem Konflikt beteiligter Akteur keine Vertragspartei der Genfer Abkommen ist, die Abkommen aber dennoch einhält, dann bleiben tatsächliche Vertragsparteien zur Einhaltung des Abkommens verpflichtet.

Dass sich nichtstaatliche Akteure, wie nationale Widerstandsgruppen oder Freiheitsbewegungen, freiwillig zur Einhaltung der Genfer Abkommen verpflichten, um so den durch die Abkommen garantierten humanitären Schutz zu erhalten, ist keinesfalls ungewöhnlich. Ein bekanntes Beispiel wäre der African National Congress (ANC), eine südafrikanische Organisation, die sich vor allem durch den Kampf gegen die herrschende Apartheid einen Namen gemacht hat, und beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz eine Erklärung hinterlegte, mit der sich der bewaffnete Arm der Organisation zur Achtung der Genfer Abkommen verpflichtete.

Dem Vorbild des ANC ist im Jahr 1989 auch die Führungsspitze der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) gefolgt. Die PLO, die auf internationaler Ebene anerkannte politische Vertretung der Palästinenser, hat also die Bestimmungen der Genfer Abkommen freiwillig angenommen, was die Vertragspartei Israel gleichzeitig dazu verpflichtet, im gegenseitigen Konflikt die Bestimmungen der Abkommen zu achten.

Wäre der Fall damit klar? Könnte man Artikel 49 dann anwenden, als würde es sich beim israelisch-palästinensischen Konflikt um einen Konflikt zwischen zwei Vertragsparteien handeln? Ja, könnte man. Gäbe es nicht noch einen letzten Haken.

Denn da das Völkerrecht, wie bereits erwähnt, nicht immer eindeutig auslegbar ist, und in manchen Situationen eine große Rechtsunsicherheit herrschen kann, bietet es den Konfliktparteien die Möglichkeit, gegenseitige Sonderverträge abzuschließen, die dann in strittigen Fragen die normalerweise geltenden völkerrechtlichen Bestimmungen überschreiben. Das humanitäre Völkerrecht erlaubt solche Verträge in Artikel 7 des 4. Genfer Abkommens:

„Ausser den in den Artikeln 11, 14, 15, 17, 36, 108, 109, 132, 133 und 149 ausdrücklich vorgesehenen Vereinbarungen können die Hohen Vertragsparteien andere besondere Vereinbarungen über jede Frage treffen, deren besondere Regelung ihnen zweckmässig erscheint.“

Solche besonderen Vereinbarungen wurden zwischen Israel und der PLO geschlossen. Das Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen (auch bekannt als Oslo II oder Vertrag von Taba) regelt exakt die politischen Zuständigkeiten zwischen Israel und der durch das Abkommen neu geschaffenen palästinensischen Zivilverwaltung.

Dieses Abkommen beinhaltet gleich an mehreren Stellen eine Anerkennung der Existenz der israelischen Siedlungen, und erklärt sie nicht für illegal, sondern gestattet im Gegenteil Israel ausdrücklich die Verteidigung der Siedlungen mit allen nötigen Mitteln, so etwa in Artikel XII Absatz 1.:

„Israel shall continue to carry the responsibility for defense against external threats, including the responsibility for protecting the Egyptian and Jordanian borders, and for defense against external threats from the sea and from the air, as well as the responsibility for overall security of Israelis and Settlements, for the purpose of safeguarding their internal security and public order, and will have all the powers to take the steps necessary to meet this responsibility.”

Artikel XVII Absatz 1., Unterpunkt 1. legt zudem fest, dass der endgültige Status Jerusalems, der Sielungen und der Grenzen nicht während der Interimsperiode, sondern als Bestandteil von Endstatusvereinbarungen zu klären ist:

„In accordance with the DOP [Declaration of Principles on Interim Self-Government Arrangements, auch bekannt als Oslo I], the jurisdiction of the Council will cover West Bank and Gaza Strip territory as a single territorial unit, except for: issues that will be negotiated in the permanent status negotiations: Jerusalem, settlements, specified military locations, Palestinian refugees, borders, foreign relations and Israelis.”

Eine letzte entscheidende Bestimmung wird in Punkt 7 der abschließenden Klauseln des Interimsabkommens festgehalten:

„Neither side shall initiate or take any step that will change the status of the West Bank and the Gaza Strip pending the outcome of the permanent status negotiations.”

Es ist den Vertragsparteien verboten, Maßnahmen zu ergreifen, die den Status (gemeint ist der juristische Status) der umstrittenen Gebiete verändern.

Der Bau von Wohnhäusern, sozialen Einrichtungen, Gewerbeflächen, Industrie und Infrastruktur hat auf den juristischen Status der Gebiete in diesem Zusammenhang keinen Einfluss. Gebäude können bei Endstatus-Verhandlungen theoretisch ebenso den Besitzer wechseln wie Menschen ihre Staatsbürgerschaft. Fasst man diesen Punkt als Verbot israelischer Siedlungstätigkeiten auf, müsste man gleichzeitig auch jegliche palästinensische Bautätigkeit als Völkerrechtsbruch werten, denn die Bestimmung richtet sich an beide Parteien. Wenn jemand argumentieren möchte, dass von Juden vorgenommene Bautätigkeiten den Status des Gebietes verändern, von Palästinensern vorgenommene jedoch nicht, dann möge derjenige bitte erklären, was diese doppelten Standards rechtfertigt.

Für statusverändernde Maßnahmen im Sinne des Vertrages gibt es zwei konkrete Möglichkeiten: Zum einen die einseitige Annexion durch Israel – die Zugehörigkeit zum israelischen Staatsgebiet würde den rechtlichen Status des Gebietes natürlicherweise verändern. Zum anderen die einseitige Proklamation eines palästinensischen Staates, in Grenzen, welche die umstrittenen Gebiete einschließen.

Genau dieser Schritt wurde von palästinensischer Seite mehrmals versucht, sowohl vor als auch nach dem Abschluss des Interimsabkommens. Beim letzten Vorstoß am 29. November 2012 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen wurde der Status der PLO von einer nichtstaatlichen Interessenvertretung zu dem eines beobachtenden Nichtmitgliedsstaates aufgewertet.

Der Gang der PLO zur Generalversammlung stellte bereits eine Verletzung des Interimsabkommens dar, die Anerkennung Palästinas als Staat, ohne dass zuvor eine abschließende Einigung mit Israel erreicht worden war, gab diesem Rechtsbruch den Segen der Weltgemeinschaft.

Die Frage bleibt also weiterhin: Auf welcher Grundlage will man die israelischen Siedlungen als völkerrechtswidrig verurteilen? Es gibt kein Gesetz, das die Besiedelung in der Form, wie sie stattfindet, eindeutig untersagt. Die Sonderverträge, die in dieser Frage Rechtsklarheit schaffen sollten, gestehen Israel explizit das Recht zu, die Siedlungen zu halten und zu verteidigen. Und der Bruch dieser Verträge erfolgte nicht durch Israel, sondern durch die PLO.

Völkerrecht, eine ursprünglich noble Idee, verkommt in der Debatte immer mehr zur Kampfvokabel, mit der die Legitimität des jüdischen Staates an sich untergraben werden soll. Aufgabe der UNO sollte es eigentlich sein, das Völkerrecht zu schützen, und nicht bei seiner Pervertierung Beihilfe zu leisten.

 

Tapfer im Nirgendwo

 

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Autor: joerg
Bild Quelle:


Montag, 20 Juli 2015

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