Analyse: Die Wurzeln des israelisch-palästinensischen Konflikts

Analyse: Die Wurzeln des israelisch-palästinensischen Konflikts


Israelische Araber sind hin- und hergerissen, wie sie sich zur Gewaltwelle der Palästinenser gegen die Juden stellen sollen.

Analyse: Die Wurzeln des israelisch-palästinensischen Konflikts

von Andrew Friedman, The Jerusalem Post, 5. Dezember 2015

Selbst eine kurzer Besuch in Ahmed Tibis Knesset-Büro vor kurzem lässt wenig Fragen übrig, wem gegenüber der altgediente MK im israelisch-palästinensischen Konflikt loyal ist. Sein Schreibtisch und sein Bücherregal steht voller Fotografien Tibis mit seinem verstorbenen Mentor, der Palästinenserikone Yassir Arafat.

Tibi diskutiert die aktuellen Ereignisse in klaren Begriffen des „wir“ und „sie“. Für ihn sind „wir“ die Palästinenser, die gegen die Ungerechtigkeit des israelischen Staates kämpfen.

Als er mitten an einem geschäftigen Tag im Parlament in sein Büro eilt, hat Tibi keine Zeit zum Plaudern, bevor er einen frontalen Angriff auf die „Heuchelei“ der jüdischen Gesellschaft in Israel startet. Er umgeht die Frage darüber, dass gerade bei einer Demonstration in Jaffa Hamas-Flaggen auftauchten; und auf die Bitte das Schweigen der palästinensischen Gesellschaft angesichts der aktuellen Terrorwelle gegen Juden sagt Tibi nur, dass das Thema dazu dient die Unterschiede zwischen den beiden Gesellschaften aufzuzeigen.

„Der einzige Grund, dass die Israelis wegen der Dawabscheh-Morde aufgebracht waren (ein Brandanschlag in der Westbank, bei dem am 31. Juli drei Mitglieder einer Familie starben) war der, dass Siedler sie begingen. Wären sie von der Armee getötet worden, hätte nie jemand auch nur von dem Angriff erfahren, ganz zu schweigen davon, dass er verurteilt worden wäre“, behauptet er gegenüber der Jerusalem Post.

Gedrängt, über die jüngere Anschlagsflut zu reden, stellt Tibi heraus, dass er 2011 die Abschlachtung der Familie Fogel in der Siedlung Itamar am Redepult der Knesset heftig verurteilte, doch dann gibt er schließlich zu, dass es einen starken Grad an Verständnis für die palästinensische Gewalt gegen israelische Zivilsten bei der arabischen Straße in Israel gibt. „Wir können zu Methoden des Kampfs unterschiedlicher Meinung sein“, sagt er. „Es gibt viele unterschiedlichen Ansichten und Meinungen. Wir als Führung haben das Gefühl, dass unser Kampf auf den Ebenen er Öffentlichkeit und der Politik geführt werden muss. Das ist der Grund, dass wir die Terroranschlag am Busbahnhof von Beer Sheva am 20. Oktober verurteilten, der von einem beduinischen Bürger begangen wurde. Deshalb gaben wir im Namen der Vereinigten Arabischen Liste eine Verurteilung aus.“ Die Führung der Beduinen im Negev verurteilte den Terroranschlag eines beduinischen Bürgers unmissverständlich.

„In den besetzten Gebieten ist das anders. Ich glauben, der optimalste Weg ist gewaltfreier Volkswiderstrand. Das ist der beste Weg“, schließt Tibi.

Anders als Tibis Partei Balad, die für die Abschaffung des jüdischen Staates zugunsten eines „Staates für all seine Bürger“ eintritt, hat MK Ayman Odeh, der Vorsitzende der Gemeinsamen Liste, sich einen Namen als Stimme der Koexistenz und der arabischen Integration in die israelische Gesellschaft gemacht. Er redet freimütig von der Notwendigkeit eines Palästinenserstaats, aber auch darüber die israelischen Araber zu ermutigen für ihre Bürgerrechte als Minderheitsbevölkerung in Israel zu kämpfen und diese zu maximieren.

Statt aber so zu handeln, das die Spannungen heruntergefahren werden, hat Odeh die arabischen Israelis aufgefordert die Al-Aqsa-Moschee zu „verteidigen“ – den Kern des Konflikts um die Kontrolle des Tempelbergs in Jerusalem. Er hat den Fraktionskollegen Jamal Zahalka gestützt, der jüdische Besucher auf dem Tempelberg während des Sukkot-Feiertags angriff und sie „irrsinnige Kriminelle“ nannte. „Ihr seid alle Kahanisten, Faschisten, Rassisten. Haut hab, ihr verletzt die Muslime.“

In seinem Knesset-Büro ist Odeh zwei Wochen nach dem Vorfall umgänglich und warm und erscheint die palästinensische Behauptung abzulehnen, dass Juden keine historischen Verbindungen zu Jerusalem oder dem Tempelberg haben. „Wir müssen die Diskussion über den Haram al-Scharif [Tempelberg] in den politischen Bereich und weg von religiösen bringen“ sagt er The Report. „Nicht nur, weil das der wahren Kernfrage gerecht wird, der israelischen Besatzung, sondern auch um effektiv zu sein. Der Konflikt ist ein nationaler, politischer, kein religiöser. Politisch ist die gesamte Welt für die Linien von 1967, einschließlich Ostjerusalems. Aber wenn wir über Religion reden? Viele westliche Ohren erkennen zurecht Abraham, Isaak und Jakob, die Propheten Jeremiah, Jesaja etcetera als Teil des jüdischen und christlichen religiösen Erbes an, vergessen aber, dass sie auch den Muslimen heilig sind. Und auf jeden Fall ist es wichtig die Diskussion aus dem Muslimisch-jüdischen in Besatzer-Besetzte zu wenden. Argumentiert man beschränkt auf das Religiöse, verlieren wir den großen Überblick und die Palästinenser sind dann in einer schwächeren Position“, sagt er.

Letztlich sagt Odeh, sei die Krux des israelisch-palästinensischen Dilemmas psychologisch und der Weg, wie beide Seiten bilaterales Vertrauen schaffen, sich auf dieser Ebene befindet. Dafür fordert er Israel auf die 1948 verlassen Palästinenserdörfer wieder aufzubauen – unter der Bedingung, dass heute keine israelische Familien darin leben – und anzuerkennen, dass die Palästinenser Israels Unabhängigkeitskrieg als Nakba [Katastrophe] ansehen. Beides, sagt er, würde viel dazu beitragen die Spannungen mit der arabischen Gemeinschaft zu reduzieren. „Hören Sie, ich bin ein praktischer Mann. Wenn es Juden in den verlassenen Häusern gibt, werde ich der erste sein, der dagegen protestiert, dass die Regierung sie hinauswerfen will. Man korrigiert eine historische Ungerechtigkeit nicht damit, dass man eine neue schafft. Was würde der Staat verlieren, indem er Dörfer wieder aufbaut, die verlassen sind? Wenn Sie mir sagen, dass eine bestimmte Autobahn durch dieses Dorf verlaufen muss, werde ich sagen: Okay, lasst uns eine andere Lösung finden. Aber gibt es wirklich keine Möglichkeit sie zurückzubringen? Wir müssen an einem historischen Kompromiss zwischen der arabischen Gemeinschaft und dem Staat Israel arbeiten.

Ich denke ein Schritt wie dieser würde für alle Israelis gut sein, Juden wie Araber. Nehmen Sie die Thema der Nakba – Israel ist die Seite, die schlecht aussieht, weil die bestreitet, was passierte, nicht die Palästinenser. Vergleichen Sie, wie Deutschland Verantwortung für den Holocaust übernimmt, mit der Art, wie die Türkei ihren Völkermord an den Armeniern abstreitet. Ich vergleiche jetzt absolut nicht den Holocaust mit der Nakba – es gibt nichts, nichts, nichts in der Menschheitsgeschichte, das auf derselben Ebene des Bösen existiert wie der Holocaust und es gibt keinen Vergleich, der zu diesem Schrecken gezogen werden kann.

Aber Deutschland übernahm Verantwortung und die Staaten der Welt respektieren es dafür. Andererseits leugnet die Türkei weiter, dass in Armenien vor einem Jahrhundert überhaupt ein Völkermord stattgefunden hat und sie wirken dumm.

Es ist also viel, vor dem man Angst haben kann, das verstehe ich. Aber Verantwortung zu übernehmen – das ist die Art, wie man gemeinsame Staatsbürgerschaft aufbaut. Und ihr habt nichts zu verlieren – ihr gewinnt nur, moralisch wie wirtschaftlich. Ihr müsst nur euren Geist öffnen und zusammen gehen“, sagt er.

Es ist nicht unbedingt so, dass Odeh und Tibi die Mehrheit der arabischen Ansichten in Israel repräsentieren. Während die aktuelle Knesset den Rekord von 16 arabischen Abgeordneten aufweist (13 gehören der Gemeinsamen Liste an), gibt es auch wachsende Anzeichen, dass arabische Bürger Israels mit den gewählten Vertretern unzufrieden sind, die vorgeben sie zu repräsentieren.

Es gibt gewiss keinen Mangel an Frustration auf der arabischen Straße in Israel wegen des Versagens des Landes Infrastruktur, Bildung und Verbrechensfragen im arabischen Sektor anzugehen. Israelische Araber sind auch davon betroffen massiven Dosen palästinensischen Nationalismus und islamischen Fundamentalismus ausgesetzt zu sein, die die Legitimität eines jüdischen Staates im „historischen Palästina“ zurückweisen.

Dennoch gibt es wachsende Anzeichen, dass arabische Bürger sich von der nationalen Führung im Stich gelassen fühlen. In sozialen und traditionellen Medien-Netzwerken beschuldigt eine wachsende Zahl arabischer Führer und Meinungsmacher die politischen und religiösen Führer Misstrauen und Hass bei der jüdischen Mehrheit zu schüren.

Die vielleicht öffentlichsten dieser Aufrufe sind von Ali Salam, dem Bürgermeister Nazareth gekommen. Letztes Jahr, auf der Höhe der IDF-Operation Fels in der Brandung und während der antijüdischen Krawalle an mehreren Siedepunkten im arabischen Sektor, zerriss Salam arabische Knesset-Abgeordnete und beschuldigte sie „unsere jungen Leute zum Demonstrieren hinauszuschicken“, aber dann zu verschwinden wenn die Gemeinschaft gezwungen ist den Preis dafür zu zahlen, sich Zusammenstöße mit der Polizei zu liefern.

Etwas weniger lang ist es her, dass Salam Odeh während einer Demonstration Mitte Oktober sagte, er solle „aus Nazareth verschwinden“ und hinzufügte, die Mitglieder der Arabischen Liste würden „die Koexistenz ruinieren“, indem sie zu gewalttätigen Protesten ermutigten.

Lucy Aharish, eine arabische Nachrichtensprecherin des Fernsehsenders Kanal 2, ging mit dem Schweigen der Gemeinschaft angesichts der Terrormorde hart ins Gericht. „Selbst wenn der STAtus quo auf dem Tempelberg gebrochen wäre – was nicht der Fall ist“, sagte Aharish, „erlaubt das jemandem hinzugehen und jemand anderes zu ermorden, wegen eines heiligen Ortes? … Von welchem Gott reden die? Einem, der Kindern erlaubt hinauszugehen und unschuldige Menschen zu ermorden? Welche Frau legt einen Hijab an du betet zu Gott, nimmt dann ein Messer heraus und versucht unschuldige Leute abzustechen?“, schäumte Aharish.

Extremistische Ansichten werden von einer winzigen Minderheit palästinensischer Israelis vertreten, sagt Thabet Abu Rass, Co-Direktor der Abraham Fund Initiativen, einer internationalen gemeinnützigen Organisation, di sich der Förderung der Koexistenz zwischen Israels jüdischen und arabischen Bürgern verschrieben hat. Die Mehrheit, sagt er, sieht sich die Region an und begreift durchaus den Nutzen, den israelischer Staatsbürger zu sein mit sich bringt.

„Juden sehen sich die arabische Gemeinschaft an und denken, dass jeder gleich ist – dass wir alle den Staat Israel hassen, dass wir alle Terrorismus unterstützen usw.“, sagt er The Report. „Aber das stimmt nicht. Ja, ich sage es nicht gerne, dass eine kleine Anzahl arabischer Israelis diese Ansichten haben, aber sie sind keine Mehrheit und sie sind gewiss nicht die einzigen Ansichten da draußen.“

Die Zahlen stützen Ab Rass ganz klar.

Bürgerliche Verantwortlichkeiten wie das Wählen sind im Steigen begriffen, von 53 Prozent bei den Wahlen von 2009 auf mehr als 65 Prozent im letzten März. 2003 meldeten sich nur 230 arabische Bürger für den nationalen Zivildienst, eine Zahl, die sich in der folgenden Dekade verzehnfachte. Derzeit gibt es rund 4.000 Freiwillige.

Derselbe Trend wir bei den Beschäftigungszahlen. 2008 waren nur vier Prozent der Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor von arabischen Bürgern besetzt. Heute beträgt die Zahl acht Prozent. Arabische Leiter geben zu, dass dies eine willkommene Veränderung ist, aber immer noch weit unter dem arabischen Anteil an der Bevölkerung Israels liegt – 20 Prozent.

Andererseits zeigten Umfrageergebnisse in der hebräischsprachigen Zeitung Ma’ariv vom 15. Oktober scharfe Trennungen in der arabischen Gesellschaft zur Frage, welche Art eines politischen Rahmenwerks sie gerne hätten. Mehr als 40 Prozent der Befragten sagte, sie lehnten die Legitimität Israels rundheraus ab, während nur 11 Prozent sagte, sie würden sich dafür entscheiden in „Israel, wie es heute ist“ zu leben. Achtundvierzig Prozent sagten, sie würden gerne im Israel innerhalb der Grenzen von vor 1967 neben einem unabhängigen Palästinenserstaat leben.

Nach Angaben von Abu Rass bieten dies Zahlen eine klare Antwort auf die Frage „Was wollen israelische Araber?“ – sich in die israelische Gesellschaft integrieren, während sie familiäre und nationale Verbindungen zu den Palästinensern in der Westbank beibehalten und das Recht sicherzustellen gegen israelische Politik in den Gebieten zu protestieren.

Er warnt, dass das Fehlen einer politischen Perspektive in der Westbank, die fortgesetzte Diskriminierung von Arabern in Israel und besonders das, was er als beständigen Rassismus betrachtet, der die israelische Gesellschaft ergriffen hat, die Palästinenser in Israel an den Abgrund treibt. „Hört zu, Zivilisten zu töten sollte unter keinen Umständen geschehen. Diese Morde müssen verurteilt werden. Punt. Aber ich fürchte, dass dieser Kreislauf der Gewalt so lange weiter gehen wird, wie wir nicht die Wurzeln des Konflikts angehen. Es gibt keine Hoffnung für die junge Generation und ich fürchte, dass etwas explodieren wird. Mehr und mehr Eskalation. Die Araber haben immer mit den israelischen Regierungen gekämpft, aber wir erleben heute Zusammenstöße von Bürgern an der Basisebene. Deshalb ja: Ich bin sehr besorgt“, schließt Abu Rass pessimistisch.


Übersetzt von Heplev


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Samstag, 12 Dezember 2015