Henriette Reker: Ein offener Brief an die \\

Henriette Reker: Ein offener Brief an die \\


Mit "Verhaltensvorschlägen" sollen Frauen belehrt werden, wie sie sich gefälligst in der Öffentlichkeit zu benehmen haben. Aber wie erreicht man die Frauen, damit sie die "Verhaltensvorschläge" überhaupt kennen? Ramiro Fulano, hat einen Vorschlag: Er hat einen fiktiven Brief der Kölner Oberbürgermeisterin entworfen. Satire? Bislang ja - aber: Manchmal überholt die Realität selbst die Satire.

Henriette Reker: Ein offener Brief an die \\

Liebe jugendliche Mitbürgerinnen.
Ich kann mir vorstellen, wie schön es ist, jung zu sein. Da will man das Leben genießen und neue Freunde kennenlernen, gerade in unserer toleranten und weltoffenen Stadt Köln. Aber der letzte Neujahrsabend am Hauptbahnhof kann für Euch doch auch kein schönes Erlebnis gewesen sein. 
Ich kann mich zwar nicht mehr erinnern, wann das war, aber auch ich war einmal jung. Schon damals habe ich mich niemals so angezogen oder verhalten, dass Männer sich aufgefordert fühlten, mich unaufgefordert anzufassen. 
Auch danach habe ich mein ganzes Leben lang darauf geachtet, dass kein Mann den Eindruck bekommt, er könne mit mir machen, was ich will. 
Ich kann verstehen, dass es im Leben manchmal Momente der Sorglosigkeit gibt, in denen sich gerade junge Frauen nicht ganz unter Kontrolle haben. Das sind ebenso bedauerliche wie unvermeidliche Rückschläge auf dem schwierigen Weg zum Erwachsenwerden.
Was ich aber nicht verstehen kann und will, ist folgendes: Dass Ihr Eure Fehltritte anderen, noch dazu schwächeren, in die Schuhe zu schieben versucht. Nämlich Menschen, die zu uns geflüchtet sind, weil sie unseren Schutz benötigen. Das finde ich niederträchtig und gemein. 
Zudem finde ich es nicht nur problematisch, sondern verantwortungslos und abscheulich, wenn von Eurer Seite versucht wird, Menschen „arabischen oder nord-afrikanischen Aussehens“ für die Vorkommnisse in der Neujahrsnacht verantwortlich zu machen.
Diese Unschuldigen haben nach Krieg und Verfolgung wirklich etwas Besseres verdient, als für das Verhalten einer kleinen, extremen Minderheit verantwortlich gemacht zu werden.
Zum Glück sind die meisten Kölner Teenagerinnen sehr verantwortungsbewusst. Viele haben sogar am Neujahrsabend ihren Freiwilligendienst im Flüchtlingszentrum geleistet und denen ist nichts passiert.
An diesen jungen Menschen müsst Ihr Euch ein Beispiel nehmen, liebe Bahnhofsmädchen. Denn statt Euch an Orten zu versammeln, an denen Euch unschöne Dinge geschehen, solltet Ihr Euch lieber überlegen, wie Ihr Euch besser integrieren könntet.
Ich und die Stadt Köln/Al Kholun werden in den kommenden Tagen ein paar ganz einfache Richtlinien erlassen, um Euch die Eingliederung ins neue Deutschland durch keusche Kleidungsregeln und angemessene Verhaltensformen im Umgang mit den zu uns Geflüchteten zu erleichtern.
Was ich aber auch in Zukunft nicht hinnehmen werde, sind pauschalisierende Anschuldigungen gegen Menschen „arabischen und nord-afrikanischen Aussehens“, wenn Ihr noch einmal sexuelle Übergriffe auf Euch provoziert. In Zukunft wird jede von Euch es sich zweimal überlegen müssen, bevor sie lügt.
Wir alle müssen in dieser schwierigen Lage viele Opfer bringen. Aber wir wissen, wofür wir es tun. Wenn wir alle mehr Toleranz zeigen, brauchen wir in Zukunft keine Angst davor zu haben, wieder Schlagzeilen wie nach der letzten Neujahrsnacht lesen zu müssen.
Es ist alles ganz einfach, wenn wir die eine oder andere Kleinigkeit, die uns ungerecht erscheinen mag, einfach mal auf sich beruhen lassen. Fünfe grade sein lassen, den Mund halten und tolerant sind, als weltoffene Kölnerinnen - dann schaffen wir das! 

Für die Stadt Köln
Eure 
Henriette Reker

 

Foto: Jewish Girls in Uniform (Foto: Simon Akstinat)


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Donnerstag, 07 Januar 2016