Frankreich: Ein für Juden feindliches Umfeld

Frankreich: Ein für Juden feindliches Umfeld


Eine vor kurzem veröffentlichte Meinungsumfrage wirft reichlich Licht auf Frankreichs für seine jüdischen Bürger zunehmend feindseliges Umfeld; sie stellen die drittgrößte jüdische Gemeinschaft der Welt.

Frankreich: Ein für Juden feindliches Umfeld

von Dr. Manfred Gerstenfeld/Jamie Berk

 

Die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage bestehen darin, dass antisemitische Meinungen und Vorurteile gegenüber Juden in der französischen Gesellschaft weit verbreitet sind und dass die Mehrheit der Juden das Leben in Frankreich als schwierig ansieht. Die Umfrage wurde vom Umfrageinstitut IPSOS im Auftrag der Stiftung für französische Juden durchgeführt.[1] Die Fragen behandelten die Beziehung zwischen der französischen Gesellschaft und Minderheiten. Diese Umfrage erstellt zusammen mit anderen, früher durchgeführten Umfragen, ein düsteres Bild des zunehmenden Antisemitismus und der Unsicherheit für Juden in einem der wichtigsten Länder Europas.

 

Diese vor kurzem durchgeführte Umfrage beinhaltet acht Anfangsfragen, von denen die meisten als klassisch für die Untersuchung von Vorurteilen gegenüber Juden betrachtet werden. Es wurden separat sowohl französische Personen als auch französische Muslime befragt. Eine bejahende Antwort auf eine dieser Fragen weist auf Vorurteile gegen Juden und/oder Antisemitismus hin.

 

Die Mehrheit der allgemeinen Öffentlichkeit antwortete positiv auf zwei klassische Fragen, die genutzt werden um Antisemitismus zu messen. Eine lautet: Haben Juden viel Macht? 56 Prozent der Befragten stimmten dem zu. Und 53% der Befragten antworteten, sie glauben, dass Juden Israel stärker verbunden seien als Frankreich. Das ist die Mutation eines uralten antisemitischen Falschmeldung, die Juden als illoyal der Gesellschaft gegenüber, in der sie leben, beschreibt.[2]

 

Eine bizarre Frage lautete, ob die Befragten glauben, dass Juden allgemein reicher seien als der durchschnittliche Franzose. 56 Prozent antworteten zustimmend.[3] Der durchschnittliche jüdische Wohlstand ist, wie der des Volks im Allgemeinen, weitgehend eine Funktion des Wohlstands des Landes, in dem sie leben und der zum Teil mit dem Mittel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gemessen wird. Das französische BIP pro Kopf liegt um mehr als 10% höher als das Israels, wo fast die Hälfte der Juden der Welt leben. Das BIP der Vereinigten Staaten von Amerika, wo die zweitgrößte jüdische Gemeinschaft weltweit lebt, liegt wiederum rund 20% höher als das Frankreichs.[4]

 

Einundvierzig Prozent der Befragten stimmten zu, dass Juden in den Medienberufen zu stark führend sind – was auf ein weiteres typisches Vorurteil hinweist.[5] Selbst wenn festgestellt würde, dass die Zahl der Juden in den Medien überproportional hoch wäre, ist ihr Einfluss höchst bruchstückhaft, da Juden in ihren politischen Ansichten weit auseinander liegen. 24 Prozent der Befragten stimmten in ihrer Antwort auf eine weitere merkwürdige Frage zu, dass Juden nicht wirklich wie andere sind.[6] Man muss sich fragen, was das bedeutet. Alle Menschen sind Individuen und auch Franzosen unterscheiden sich untereinander.

 

Dreizehn Prozent der Befragten glaubten, dass es irgendwie zu viele Juden in Frankreich gibt.[7] Noch ein weiteres – wenn auch nicht notwendigerweise negatives – Vorurteil lautet, dass Juden schlauer seien als der Durchschnittsfranzose; dem stimmten 25% zu.[7] Eine weitere Frage, ebenfalls etwas bizarr, wollte von den Befragten wissen ob sie glauben, dass Juden zusammengeschweißt oder geeint sind. 91 Prozent der allgemein Befragten stimmten zu.[9] 36 Prozent der Befragten stimmten fünf bis acht dieser ersten Fragen zu, von denen jede Vorurteil gegen Juden darstellt. 28 Prozent gaben positive Antworten auf drei bis vier der Fragen.[10]

 

Die Antworten französischer Muslime auf dieselben Fragen deuten Vorurteile gegen die Juden an, die die der allgemeinen Gruppe der Befragten bei vielen Themen beträchtlich übertreffen. 55 Prozent der Muslime stimmten fünf bis acht Äußerungen zu, die Franzosen allgemein nur zu 36%.[11] 74 Prozent der Muslime sahen als wahr an, dass Juden in den Medien überrepräsentiert sind, bei der Bevölkerung allgemein sind es 41%. 66 Prozent glaubten, dass Juden weltweit reicher sind als der französische Durchschnittsbürger; bei der Bevölkerung allgemein sind es 56%. 62 Prozent dachten, dass Juden stärker mit Israel verbunden sind als mit Frankreich, etwas, das 53% der französischen Bevölkerung allgemein glaubten.[12]

 

Das Hauptproblem für Juden bezüglich Elementen der muslimischen Bevölkerung betrifft jedoch deren Beteiligung an antisemitischen Verbrechen und Hass in Frankreich, weniger der Art, wie sie Juden allgemein sehen. Sammy Ghozlan, Präsident des Nationalen Büros für Wachsamkeit gegen Antisemitismus in Frankreich, berichtete, dass die überwiegende Mehrheit der physischen Anschläge in Frankreich von Muslimen verübt werden.[13] Moshe Sebbag, der Rabbiner der Großen Synagoge in Paris wird damit zitiert, dass „die Mehrheit der Menschen, die dich auf der Straße als ‚dreckiger Jude‘ titulieren, sind in mindestens 99 Prozent der Fälle Muslime, nicht Franzosen.“[14]

 

Eine der von Antisemiten beworbenen Hardcore-Vorstellungen der Antisemiten lautet, dass die Juden für Antisemitismus verantwortlich sind. Das kann bis zu den ruchlos falschen christlichen Anschuldigungen gegen Juden zurückverfolgt werden, die vor fast zwei Jahrtausenden begannen und bis heute anhalten. Es ist ein typischer Fall von extremer Stereotypisierung, bei der ein Jude nicht als Individuum betrachtet wird, sondern als Mitglied eines Kollektivs und wo das Opfer beschuldigt wird statt der antisemitische Täter. Siebzehn Prozent der Franzosen allgemein antworteten, dass die Juden erheblich für den Antisemitismus verantwortlich sind. Bei den Muslimen lag der Prozentsatz noch wesentlich höher: 31 Prozent. 42 Prozent sowohl der Allgemeinheit als auch der muslimischen Befragten antworteten, dass die jüdische Verantwortung für Antisemitismus minimal ist.[15] In Frankreich hängt damit die Mehrheit der Bevölkerung immer noch diesem alten, falschen Credo an.

 

Eine Umfrage aus dem Jahr 2014, veröffentlicht von der Meinungsforschungsfirma Fondapol zusammen mit CRIF – der Dachorganisation französisch-jüdischer Organisationen – fand weitere verstörende Ergebnisse. 37 Prozent der allgemeinen Befragten[16] und 66 Prozent der französischen Muslime glaubten, dass der Zionismus eine Ideologie ist, die Israel dient, um seine Besatzungs- und Kolonisierungspolitik zu rechtfertigen.[17] Weitere 25% der allgemeinen Befragten glaubten, dass der Zionismus „eine internationale Organisation ist, die es darauf anlegt die Gesellschaft zum Nutzen der Juden zu beeinflussen.“[18] 57 Prozent der muslimischen Befragten stimmten dieser Aussage zu.[19]

Die Demoskopen der Stiftung für französisches Judentum befragten auch französische Juden. In einer Frage ging es um die Wahrnehmung der Entwicklung des Antisemitismus in Frankreich.[20] 91 Prozent der jüdischen Befragten glaubten, dass der Antisemitismus bei der muslimischen Bevölkerung stark zugenommen hat. 77 Prozent hatten das Gefühl, er habe bei der französischen Bevölkerung insgesamt zugenommen und 48 Prozent glaubten, sie habe bei der katholischen Bevölkerung zugenommen.[21]

 

71 Prozent der befragten Juden hatten Familienangehörige oder Freunde, die antisemitischen Äußerungen und Beleidigungen die Stirn geboten oder erfahren hatten. 31 Prozent waren mit physischen antisemitischen Angriffen bei Familie und Freunden konfrontiert worden; 14% davon hatten das mehr als einmal erlebt.[22]

 

Diese Befunde waren keine Überraschung. Die Bühne war bereits von den Ergebnissen der Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte aus dem Jahr 2013 in acht EU-Mitgliedsstaaten bereitet.[23] Die Lage hatte sich 2013 schon hinreichend verschlechtert, um zu zeigen, dass 52 Prozent der französisch jüdischen Befragten fanden, Antisemitismus sei „heute ein sehr großes Problem“ – der höchste Wert.[24] Die französischen jüdischen Befragten hatten zudem die größte Angst davor „innerhalb der nächsten 12 Monate Opfer von verbalen Beleidigungen oder Schikanen oder körperlichen Angriffen zu werden, weil er/sie jüdisch ist“, wobei 70% verbale Schikane und 60% physische Angriffe fürchteten. Gleichermaßen fürchteten 76% der jüdischen Befragten in Frankreich, dass eine ihnen nahe stehende Person oder ein Familienmitglied Opfer von verbaler Beschimpfung oder Belästigung wird und 71% fürchteten einen körperlichen Angriff auf jemanden, der ihnen nahe steht.[25] Bei französischen Juden gab es zudem die größte Zahl an Befragten, die das „ziemlich starke“ Gefühl, dass der israelisch-arabische Konflikt ihr persönliches Leben beeinflusst, wobei 73% der Befragten glauben, dass die Ereignisse im Nahen Osten antisemitische Angriffe in ihrem Heimatland auslösten.[26]

 

Das anhaltende, weit verbreitete Gefühl der Unsicherheit bei französischen Juden wurde in der Antwort auf eine weitere Frage der Umfrage der Stiftung für das französische Judentum hervorgehoben. 61 Prozent der französischen Juden glaubten, dass es sicherer ist in Israel zu leben, während 37% der Meinung waren, dass Frankreich sicherer ist.[27]

 

Doch 73 Prozent der 2015 befragten Juden sagten: „Ich bin Franzose, mein Leben ist in Frankreich.“ Und 44 Prozent sagten „meine Familie lebt in Frankreich“.[28] 26 Prozent der französischen Juden überlegten, ob sie die Option wahrnehmen sollten nach Israel oder irgendwo andershin zu ziehen.[29] Als diese gefragt wurden, warum Juden das Land verlassen, führten 67 Prozent Anschläge und Morde als Hauptgrund an, bei denen eine Reihe Juden geschädigt oder getötet wurden. 56 Prozent waren durch den Anstieg des radikalen Islamismus bei Teilen der französisch-muslimischen Bevölkerung motiviert das Land zu verlassen.[30]22 Prozent glaubte, sie würden im Ausland bessere Möglichkeiten haben ihren Glauben zu leben als in Frankreich.[31]

 

Eine wichtige Schlussfolgerung der aktuellen Umfrage scheint daher zu sein, dass zwar die meisten Juden die Atmosphäre in Frankreich zunehmend schwierig und unangenehm finden, aber nur ein Viertel darüber nachdenkt nach Israel oder in ein anderes Land zu emigrieren.[32] Dieser Anteil dürfte zunehmen, wenn die Lage sich weiter verschlechtert. Es gibt allerdings viele weitere Indikatoren dafür, dass diejenigen, die Frankreich bereits verlassen haben und diejenigen, die fortziehen könnten in der Hauptsache zu den aktiveren Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft gehören. Der Einfluss ihres Weggangs auf das jüdische Gemeindeleben ist bereits spürbar und wird daher letzten Endes weit größer sein als der Prozentsatz andeutet.

 

Die oben angeführten Befunde sind eine vernichtende Anklage der französischen Behörden. Sie sollten zuerst die üble Realität der französischen Gesellschaft für Juden in Ordnung bringen, bevor sie mit neuen, negativen „Lösungen“ für

den palästinensisch-israelischen Konflikt ankommen.

 

[1] Brice Teinturier/Etienne Mercier: Perceptions et attentes de la population juive. Fondation de Judaïsme Français, IPSOS Public Affairs, 2015.

[2] Ebenda, S. 28.

[3] Ebenda.

[4] GDP per capita (current US$). Weltbank 2016

[5] Brice Teinturier/Etienne Mercier:“Perceptions et attentes de la population juive. Fondation de Judaïsme Français, IPSOS Public Affairs, 2015, S. 33.

[6] Ebenda, S. 28.

[7] Ebenda.

[8] Ebenda.

[9] Ebenda.

[10] Ebenda, S. 29.

[11] Ebenda, S. 34

[12] Ebenda, S. 33.

[13] Report: Gang of youths taser French Jew at Paris monument. JTA, 11. Juni 2014.

[14] Jess McHugh: Anti-Semitism In France 2016: Amid Jewish Exodus To Israel, Rabbis And Scholars Fight To Preserve Traditions. International Business Times, 10. Februar 2016.

[15] Brice Teinturier/Etienne Mercier: Perceptions et attentes de la population juive. Fondation de Judaïsme Français, IPSOS Public Affairs, 2015, S. 28-34.

[16] Reynié: L’antisémitisme dans l’opinion publique Française nouveaux éclairages. Fondapol, CRIF, November 2014, S. 11.

[17] Ebenda, S. 24

[18] Ebenda, S. 11

[19] Ebenda, S. 24

[20] Brice Teinturier/Etienne Mercier: Perceptions et attentes de la population juive. Fondation de Judaïsme Français, IPSOS Public Affairs, 2015, S. 37.

[21] Ebenda, S. 43.

[22] Ebenda, S. 46.

[23] Discrimination and hate crime against Jews in EU Member States: experiences and perceptions of antisemitism. European Agency for Fundamental Rights, 2013.

[24] Ebenda, S. 16.

[25] Ebenda, S. 33.

[26] Ebenda, S. 38.

[27] Brice Teinturier/Etienne Mercier: Perceptions et attentes de la population juive. Fondation de Judaïsme Français, IPSOS Public Affairs, 2015, S. 58.

[28] Brice Teinturier/Etienne Mercier: Perceptions et attentes de la population juive. Fondation de Judaïsme Français, IPSOS Public Affairs, 2015, S. 28-34, 61.

[29] Ebenda, S. 60.

[30] Ebenda, S. 62.

[31] Ebenda, S. 62.

[32] Ebenda, S. 60.

 

 

Erstveröffentlicht bei Heplev


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Dienstag, 23 Februar 2016