Voreingenommenheit #1: Irreführende Terminologie

Voreingenommenheit #1:

Irreführende Terminologie


eil 1 einer achtteiligen Serie über die acht Kategorien von Medien-Voreingenommenheit.

Irreführende Terminologie

von Pesach Benson, HonestReporting

 

Verletzung #1
Irreführende Definitionen und Terminologie

 

Den Lesern werden durch die verwendete Sprache Vorurteile vermittelt.

Sprache wird viel zu oft zur Beförderung einer Agenda benutzt. Die Medien müssen sorgfältig abwägen, welche Begriffe, Wendungen oder fremdsprachige Wörter sie benutzen (oder vermeiden). George Orwell beschrieb die möglichen Probleme dabei wie folgt:

 

Doch wenn Gedanken die Sprache korrumpieren, kann Sprache auch die Gedanken korrumpieren.

 

In diesem Video diskutieren Steve Linde und Gil Hoffman von der Jerusalem Post, Ruthie Blum von The Algemeiner und Dan Diker vom Jerusalem Center for Public Affairs mit HonestReporting über irreführende Terminologie:

 

 

BEISPIEL: Nach den Anschlägen vom 11. September verschickte Stephen Jukes, der damalige Reuters-Redakteur für globale Nachrichten, ein Memo, mit dem er die Reuters-Redakteure anwies das Wort „Terror“ zu vermeiden. Seine Erklärung wurde später zum geflügelten Wort für die moralische Mehrdeutigkeit der Nachrichtenindustrie:

 

Wir alle wissen: Des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer; und Reuters hält an dem Prinzip fest das Wort Terrorist nicht zu verwenden.

 

Nicht zufrieden mit Reuters „terrorfreier“ Ausdrucksweise begann der kanadische Medienkonzern CanWest das Wort in seine Texte einzufügen. Reuters-Verantwortliche erhoben Einspruch und behaupteten, dieses Wort würde die Leserschaft verwirren und die Reporter Gefahren aussetzen. Scott Anderson von CanWest antwortete wie folgt (Hervorhebung von uns):

 

Führt man eine verbrämende Sprache ein, um die Leute zu schützen, sagt man dann noch die Wahrheit?

 

Und nach den Terroranschlägen auf das Charlie-Hebdo-Büro und einen koscheren Supermarkt in Paris im Jahr 2015 erklärte Tarik Kafala, der Leiter von BBC Arabic, seine Zurückhaltung bezüglich des T-Wortes wie folgt:

 

„Wir versuchen zu vermeiden, irgendjemanden als Terroristen oder irgendeine Tat als Terrorismus zu bezeichnen. Was wir statt dessen zu sagen versuchen, ist: ‚Zwei Männer töteten 12 Menschen bei einem Anschlag auf das Büro eines Satiremagazins.‘ Das ist genug. Wir wissen, was das bedeutet und was das ist.“

 

Wertneutrale Worte wie Militante, Extremisten, Aktivisten etc. verharmlosen bewusst ausgeführte Gewalttaten, die Angst auslösen sollen und einem politischen Ziel dienen, und beschönigen sie.

 

BEISPIEL: Die palästinensische Autonomiebehörde reichte beim portugiesischen Journalistenverband eine formelle Beschwerde ein. Anlass war ein Bericht des israelisch-portugiesischen Reporters Henrique Cymerman von Dezember 2015, dessen Ausdrucksweise von der PA bemängelt wurde. Insbesondere beschwerte man sich, dass in der Texteinblendung des auf dem portugiesischen Sender Sociedade Independente de Comunicação (SIC) gesendeten Beitrags von „Mord“ die Rede war, um die bei palästinensischen Messer- und Autorammangriffen getöteten Israelis zu beschreiben, die ums Leben gekommenen palästinensischen Angreifern hingegen einfach nur „getötet“ wurden.

 

Laut der PA stellt diese Formulierung „Besatzer und Besetzte gleich und geht einen Schritt weiter, indem es den kaltblütigen Mord an palästinensischen Kindern und Jugendlichen durch die israelische Besatzungsmacht rechtfertigt.“ Der Verband wies die Beschwerde zurück, indem er im Wesentlichen sagte, die Aussage, getötete palästinensische Angreifer seienermordet worden, sei unzutreffend. Die vollständige Entscheidung kann man auf der Verbandswebsite nachlesen.

 

BEISPIEL: Zirka dreitausend Jahre lang war Jerusalem eine einheitliche Stadt, die keine Unterscheidungen zwischen Ost und West treffen musste. Das Konzept von Ost- und Westjerusalem kam erst 1948 auf, nämlich am Ende des israelischen Unabhängigkeitskriegs, wo die Waffenruhe dazu führte, dass Israel die westlichen Viertel kontrollierte und Jordanien die östlichen.

 

Jordanien vertrieb alle Juden aus den jordanisch kontrollierten Bereichen, womit der Zeitraum von 1948 bis 1967 der einzige war, in dem Ostjerusalem glaubhaft als arabisch bezeichnet werden konnte. Jerusalem wurde 1967 wiedervereinigt und Juden und Araber können seither überall in der Stadt frei leben, so wie zuvor.

Trotzdem lesen wir Beschreibungen der Ostbereiche der Stadt als „traditionell arabisches Ostjerusalem“ (Associated Press) oder „arabisches Ostjerusalem“ (z. B. Daily Telegraph, BBC oder Los Angeles Times). Aber „arabisches Ostjerusalem“ ist als Bezeichnung nicht zutreffender als wenn man z. B. Harlem als „schwarzes Nord-Manhattan“ bezeichnen würde.*

 

BEISPIEL: Der BBC-Dokumentarbeitrag „Children of the Gaza War“ aus dem Jahr 2015, in welchem die Übersetzer das Wort Yahud absichtlich falsch mit „Israeli“ übersetzten (Yahud ist das arabische Wort für Jude). Beispielsweise sagte ein Gaza-Kind der Reporterin Lyse Doucet, die „Yahud“ würden Palästinenser massakrieren, und die dazugehörige Schrifteinblendung lautete „Israel massakriert uns“.

 

Das arabische Wort für Israeli ist „Yisraili“.

 

Weitere Beispiele

 

Sind die Asylsuchenden, die das Mittelmeer in Richtung Europa überqueren,Migranten oder Flüchtlinge? Sollten Angehörige des Islamischen Staates als „islamische Extremisten“ oder „gewalttätige Extremisten“ bezeichnet werden?

 

Nach den Krawallen in Baltimore im April 2015 lagen sich die Redaktionen darüber in den Haaren, ob man „Plünderer“ oder „Protestler“ sagen sollte. Nachdem im Juni 2015 ein weißer Rassist in einer Kirche in Charleston neun Afroamerikaner getötet hatte, rangen die Journalisten mit der Frage, ob man die Worte „schwarz“ und „weiß“ groß schreiben sollte. Und sollte man die an einer Auseinandersetzung in Oregon beteiligten Männer als „Militante“ oder als „bewaffnete Farmer“ bezeichnen?

 

Was soll eine Nachrichtenagentur tun, wenn vulgäre Ausdrucksweise Teil der Story wird, wie es beispielsweise während des US-Präsidentschaftswahlkampfs 2016 der Fall ist?

 

Und die Columbia Journalism Review fragt: An welchem Punkt wird Jargon zu allgemeinem Sprachgebrauch, bei dem die Redakteure davon ausgehen können, dass jedermann ihn versteht?

Nächsten Monat folgt das nächste Kapitel dieser Reihe: “Unausgewogene Berichterstattung: Nachrichten werden durch unverhältnismäßige Berichterstattung verzerrt.”

 

“Red Lines: The Eight Categories of Media Bias” ist auf Amazon als E-Book erhältlich.

 

* Anmerkung d. Übers.: Ein deutsches Pendant ist Ulrich Sahms entsprechend provozierende Formulierung „traditionell kommunistisches Ostberlin“

 

 

Übersetzt von Medien BackSpin


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Sonntag, 10 April 2016