Weiterer Diskussionsbeitrag: Zum Fall Yücel

Weiterer Diskussionsbeitrag:

Zum Fall Yücel


Es klingt mittlerweile so trivial, dass keiner mehr ernsthaft drauf anspringt. Seit Monaten werden in der Türkei Menschenrechte mit Füßen getreten. Der AKP-Staat verwandelt das Land in ein einziges großes Internierungslager. Massenverhaftungen bleiben an der Tagesordnung. Diese Exzesse sind indes nur eine Ouvertüre gewesen.

Zum Fall Yücel

von hanto Trdic

 

Stichwort Referendum. Sollte es zugunsten der amtierenden Regierung ausfallen, dann hat dieselbe ab sofort den ultimativen Freifahrschein zur Hand: zwecks wirklich restloser Beseitigung noch verbliebener rechtsstaatlicher Schranken. Es ist doch nahezu schamlos, wenn noch immer behauptet wird, die Abstimmung verschaffe dem Herrn Erdogan lediglich ´mehr´ Macht – in Wahrheit wird dieser Gewaltmensch dann die ganze staatliche Macht in seiner Person konzentrieren, denn das konstituierende Prinzip der Gewaltenteilung wird damit außer Kraft gesetzt. Erinnert: In Deutschland fing das damals mit dem sogenannten Ermächtigungsgesetz an. Ich wiederhole das nur deswegen dauernd, weil die Deutschen, sonst mit historischen Vergleichen immer eilig bei der Hand, in diesem Fall die Parallelen einfach nicht sehen wollen.

 

Es ist und bleibt interessant, wie schnell man sich im Ergebnis an all diese Dinge gewöhnt. Was einen gestern noch aufregte mag heute kaum mehr zünden. Der anfangs empörte, in Wahrheit geheuchelte Aufschrei ist längst einem lässigen Achselzucken gewichen. Unsere Haltung grenzt bereits an Verständnis: So ist das jetzt eben in der Türkei. Typisch Erdogan halt. Nicht schön, aber normal – normal geworden. Erstaunlich wenig regt noch auf, was skandalös ist und bleibt. Die verbliebenen Fälle, etwa der des Journalisten Dündar, geraten den Meinungsmachern zunehmend knauserig. Von Erdogan selbst ist immer weniger die Rede, dafür haben die Medien sich mittlerweile auf einen neuen Schurken eingeschossen, der nahezu täglich das Bedürfnis nach Klatsch und Tratsch bedient: Den amtierenden US-Präsidenten kann man nach Lust und Laune herunter machen, während die Akte Böhmermann im Ergebnis bereits dafür gesorgt hat, dass der Kalif vom Bosporus nicht ärger gereizt werde als nötig. Beispiel Karneval: Weder in Köln, noch in Düsseldorf hat man dem Despoten einen Wagen gegönnt, nur das erzreaktionäre Mainz traute sich das überhaupt. Offenbar hat jenes unselige Knebel-Abkommen nebst der üblichen Einschüchterungen einer diskreten Sonderbehandlung vorgearbeitet, die man dem schrägen Trump, keine zwei Monate im Amt, auf recht umgekehrte Weise zukommen lässt. Gilt übrigens auch für den vielgeschmähten Putinator: Hätten wir mit ihm einen weiteren dreckigen Deal ausgehandelt, nähme sich die übliche Kritik sogleich viel handzahmer aus.

 

Wie oft ist uns von Gender-Experten und Empathie-Spezialisten die Universalität der Menschenrechte eingebläut worden, dazu der Hinweis, dass kein einziges dieser Rechte – wohlgemerkt: nicht eines! – verhandelbar sei. Was, so möchte man fragen, soll dann am Fall Yücel so besonders sein? Wenn darauf hingewiesen wird, dass dieser Mann Deutsch-Türke sei, dann kommt dahinter der Provinzialismus derer zum Vorschein, die bei Unglücksfällen im Ausland immer erst nachfragen, wie viele Deutsche unter den Opfern seien.

 

Es ist ja nicht so, dass jetzt ein Aufschrei durchs Land ginge. Die Medien vermerkten jüngst, Frau Merkel habe sich ´empört´, aber das beinahe gewinselte Statement dieser Frau erinnert mich eher an einen müden Kotau. So auch der Herr Vize-Kanzler. Gabriel, so las ich eben, hat den türkischen Botschafter zu einem Gespräch gebeten. Ganz schön kühn. Deniz Yücel schmort seit bald zwei Wochen in Polizeigewahrsam, ist sozusagen völlig vom Bildschirm verschwunden, da wird es jetzt also endlich mal Zeit, um eine Unterredung zu bitten.

 

Machen wir uns nichts vor: Für den Otto-Normal-Biodeutschen ist der Herr Yücel ein ´reiner´ Türke, einer von vielen, was geht mich das an und fertig. Ich kann das verstehen. Warum wird auf einmal so ein Theater gemacht? Dazu noch unter Krämpfen und Girlanden. Meinte es die Elite mit der Behauptung der Grundrechte ernst, hätte sie den Auftritt vom Herrn Yildirim verhindern müssen, denn der gute Mann hat ja exakt dafür geworben, dass man die ´Feinde des Türkentums bekämpft´. Und das machen der und seinesgleichen doch nicht erst seit dem fehlgeschlagenen Putsch. Die AKP erfreut sich zudem einer Unterstützerszene, die insgesamt viel willfähriger ist als jene Volksgemeinschaft es je war, die dann im Frühling 45 von den Alliierten befreit worden ist. Wenn nun ein Deutschtürke in Schutzhaft gerät, dann sorgt sich Frau Merkel um eine gerechte Behandlung. Da wird der Herr Erdogan aber vor Scham im Erdboden versinken. Die lauthalsen und durch nichts unter Beweis gestellten Beteuerungen der Vergangenheit sind und bleiben eben bloße Lippenbekenntnisse.

 

Stellen wir uns einen Moment lang vor, gegen einen oder gar mehrere der jüngst als Spitzel überführten DITIB-Funktionäre wäre umgehend Haftbefehl erlassen worden (stattdessen wird noch immer brav ermittelt). Wie reagierte wohl der türkische Staat darauf? Das sind ja deren Leute, die handeln qua Dekret nie eigenständig, nur auf Befehl. Kann sich irgendwer vorstellen, dass der Herr Erdogan mit zwei Wochen Verspätung um ein Gespräch bäte? Geschenkt. Er würde auch in diesem Fall Ultimaten stellen und einmal mehr damit drohen, Europa mit Flüchtlingen zu fluten. Das wird er eines Tages ohnehin tun. Welcher Hahn kräht dann noch nach Herrn Yücel?

 

 

Dr. Nathan Warszawski / Numeri 24 : 9 - 


Autor:
Bild Quelle:


Donnerstag, 02 März 2017