Erdogan führt seinen Jihad gegen die Kurden und zugleich gegen Europa

Erdogan führt seinen Jihad gegen die Kurden und zugleich gegen Europa


Der einzige, der vorgemacht hat, wie mit Erdogan erfolgreich umzugehen ist, war der Russe Putin. Die Politiker der EU gehen dem neuen Osmanen genauso auf den Leim wie der naive Papst.

Erdogan führt seinen Jihad gegen die Kurden und zugleich gegen Europa

von Ali Ertan Toprak

 

ie lange will der Westen das noch ignorieren? Die zweitgrößte NATO-Armee führt einen Dschihad, einen „heiligen“ Krieg. In vielen Moscheen wird für den Sieg dieser Invasionsarmee gebetet. Auch in Deutschland. Dabei könnte man nach der Zeile „Erdogans Dschihad gegen die Kurden“ schnell zum Schluss kommen, dies sei Unsinn, sind doch die Kurden mehrheitlich Muslime. Denn der Dschihad sei doch nur gegen Andersgläubige, die der Islam als Ungläubige stigmatisiert, möglich. Weshalb die Erdogan-hörigen, deutschen Medien auch nur von einem Kampf gegen die „Kurdenmiliz YPG“ sprechen und umgehend eine Verbindung zur „verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK“ behaupten.

 

Und doch: Die Feststellung eines „Dschihad“ ist weder polemisch gemeint noch vom Verfasser erfunden. Der türkische Parlamentspräsident selbst nannte den Angriffskrieg gegen die syrisch-kurdische Enklave Afrin einen „Heiligen Krieg“. Erdogan, der mit diesem Krieg gegen die Völkerrechtscharta verstößt, begründete dieser Tage seinen Feldzug gegen die mit den Westen verbündeten Kurden vor seinen Anhängern einen „postmodernen Kreuzzug“, gegen den die Türkei jetzt mit aller Entschlossenheit vorgehen würde. Die „kurdischen Terroristen“ von der YPG seien, so der Präsidialdiktator, die Söldner der christlichen Imperialisten, die gegen die islamische Region und Religion wieder einen Kreuzzug führen würden. Das anti-christliche Erbe der vom Islam zwangskonvertierten christlichen Anatolier paart sich perfekt mit dem im Koran festgeschriebenen Anti-Israelismus. Die Kurden werden als Handlanger der Zionisten diffamiert und der von diesen geforderte Staat der Kurden wäre nach türk-islamischer Lesart ein zweites Israel.

 

Es gibt insofern gute Gründe, weshalb Erdogan die Kurden fürchtet. Denn Israel wird aus der islamischen Welt nicht nur bekämpft, weil der Anti-Judaismus so alt ist wie der Koran, in dessen Sure 2 bereits Juden als „ausgestoßene Affen“ verflucht werden. Sondern auch, weil das demokratische Israel für die Überwindung des islamischen Gottestaatsgebots steht – für den Klerus Mohammeds ein Sakrileg.

 

Kein Wunder auch, dass Erdogan früh Sympathien für Hitler und dessen Ideologie erkennen ließ. „Mein Kampf“ ist seit Jahren ein Besteller in der Türkei und vor allem bei türkischen Islamnationalisten beliebt. Der aggressiver werdende Antisemitismus in der Türkei wird von Erdogan und seinen Getreuen über die national-religiöse Radikalisierung des Islams beständig angefacht.

Nach der islamnationalistischen Ideologie und der Strategie Erdogans sind Kurden heute nicht mehr die „separatistischen Terroristen“, als welche sie in der laizistischen Türkei kriminalisiert wurden. Sie sind „Ungläubige“ – also Ausgestoßene, deren Vernichtung ein Werk im Sinne Allahs ist. Atatürks nationalistischer Laizismus bekommt so knapp hundert Jahre nach den Gründung der Türkischen Republik ein scheinreligiös-absolutistisches Gewand.

 

Es werden also alle Register gezogen, um den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Völker Syriens zu rechtfertigen, indem man die Kurden zu Verrätern an der islamischen Sache macht und sie somit als „Ungläubige“ dämonisiert. Dahinter schwingt das traditionell-islamische Weltbild vom nicht-islamischen Untermenschen, in dem der Verräter am Islam noch verdammungswürdiger ist als der dumme Nicht-Muslim, der bislang noch nicht von den Lehren Mohammeds gehört hat. Die vorsätzliche, religiös untermauerte Entmenschlichung der mehrheitlich muslimischen Kurden soll deren Vernichtung rechtfertigen.

 

Worum geht es der Erdogan-Bande tatsächlich?

 

Die säkular verwalteten kurdischen Gebiete in Nordsyrien sind Erdogan ein Dorn im Auge. Denn dieses autonome Rojava ist bislang eine Oase der Freiheit inmitten der von radikalen Muslimen und ihren Terrorgruppen zerstörten Region. In Rojava fanden die kläglichen Überreste der assyrischen Christen und anderer nicht-muslimischer Minderheiten wie die Jeziden eine letzte Zuflucht der Freiheit in Sicherheit. Es geht für Erdogan eben nicht nur gegen die Kurden und schon gar nicht „nur“ gegen die YPG – es geht ihm, dessen Land von ihm bereits ent-

säkularisiert und zum islamischen Staat gemacht wurde, darum, sein erträumtes, islamisches Kalifat nicht durch „Regionen des Unglaubens“ gefährdet zu sehen. Es ist dem in der Tradition der Muslimbrüder stehenden Erdogan unerträglich, dass die nationaltürkische Politik die mehrheitlich gläubigen, muslimischen Kurden erst dazu gebracht hat, auf eine säkulare Ordnung zu hoffen, die Basis für eine pluralistische und freiheitlich-demokratische Gesellschaft im Nahen Osten sein kann.

 

Die Kurden sind zur einzig wehrhaften säkularen Kraft der Region gewachsen. Deswegen will Erdogan ihnen das Rückgrat brechen, denn er fürchtet, dass die Flamme der Freiheit und Selbstbestimmung auch auf andere Länder der Region – allem voran die Türkei – übergreifen kann. Weshalb er sich in seinem Kampf gegen die Kurden auch in klammheimlicher Partnerschaft mit den Konkurrenten im Iran und Irak und auf der arabischen Halbinsel weiß.

Selbst die PKK, angebliche Terrororganisation, hatte den separatistischen Zielen ihrer frühen Jahre längst offiziell abgeschworen. Die Kurden hofften und hoffen auf einen zivilgesellschaftlichen Aufbruch. Deshalb haben sie versucht, unter Kriegsbedingungen eine demokratische Gesellschaft aufzubauen, die auf einem ethnischen, religiösen und politischen Pluralismus mit kompromissloser Geschlechtergerechtigkeit beruht.

Auch wenn dieser Versuch in einer mit der Demokratie nicht vertrauten Region nicht ohne innere Widersprüche vonstatten geht, ist es der einzige und auf lange Zeit der letzte Demokratieversuch, der in der Region eine Chance haben wird.

 

Erdogan wurde dieser Tage im Vatikan vom Papst empfangen. Ein fataler, absurder Irrtum! Der Papst gab sich der Illusion hin, den Präsidenten der Türkei empfangen zu haben. Doch der sieht sich längst schon als der neue Kalif der islamischen Welt. So wird er von seinen politischen Beratern stilisiert, so wird ihm von seinen Parteisoldaten und Anhängern gehuldigt. Als Führer des Islam soll er zu dem werden, was, Hitler als Führer seiner Bewegung einer national-sozialistischen Erweckung für Deutschland sein wollte. Vor dem Jahreswechsel gab es ein Telefonat von Papst und türkischem Präsident. Laut türkischen Medien ging es dabei um den Status von Jerusalem – im Nachgang der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, die Botschaft der USA in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Erdogan hatte von sich aus im Vatikan angerufen, um das Oberhaupt der Christen zum Verbündeten gegen Israel zu machen.

 

Damals wurde das Treffen vereinbart. Nun steht Erdogan als Schutzherr der islamischen Welt an der Seite jenes Vertreters eines aus islamischer Sicht religiösen Auslaufmodells – und es steht zu erwarten, dass der Türke dem alten Mann aus Lateinamerika ein politisches Tauschgeschäft angeboten hat. Die Sicherheit der wenigen, in Anatolien verbliebenen Christen, die den Völkermord an Armeniern und Griechen überlebt haben, gegen Unterstützung des türkischen Islam gegen die Zionisten.

 

Erdogan hat gute Chancen, damit erfolgreich zu sein. Weder die kirchlichen noch die politischen Vertreter des Abendlandes denken heute noch in historischen Dimensionen. Sie sind sich infolgedessen immer noch nicht im Klaren darüber, dass Erdogan die Welt schon längst in den glorreichen Zeiten des Osmanischen Imperiums denkt.

Erdogan braucht ein Narrativ, um seine Macht für auf Dauer zu sichern. Deswegen muss die Gründungslegende der Kemalisten nach einem Befreiungskrieg gegen die Imperialisten und deren Handlanger die Westanbindung der Türkei endgültig durch eine neue, ein andere Erzählung ersetzen. Dafür benötigt der sein neo-osmanisches Märchen. Ein Märchen, in dem seine Türkei als Führer der islamischen Welt endlich den postmodernen Kreuzzügen der christlichen Imperialisten im Nahen Osten ein Ende setzt, die einst von den Osmanen eroberten Gebiete des Osmanischen Reiches von der Herrschaft sowohl der Christen als auch der Juden befreit. Nicht von ungefähr ist deshalb die Forderung nach einem muslimischen Jerusalem seit Jahren ein ständig wiederkehrendes Motiv in seinen Reden. Flankiert wird dieses durch demonstrative Auftritte von türkischen Pilgern auf dem Tempelberg. Organisiert unter anderem vom DIYANET als türkischer Religionsbehörde und Mutterverband der DITIB in Deutschland, stieg in den letzten Jahren stieg die Anzahl der „Eurotürken“ als Jerusalem-Pilger deutlich an. Es gilt, Ansprüche zu unterstreichen.

 

Die Araber hatten in letzter Zeit erhebliche Mühe, für die Pflege osmanischen Kulturerbes wie der 16. Jahrhundert errichtete Mauer um die Jerusalemer Altstadt arabische Geldgeber zu gewinnen. In diese Lücke ist seit längerem nun bereitwillig die Erdogan-Türkei gestoßen, um ihre Unterstützung politisch geschickt sowohl im Inland als auch in der islamischen Welt zu instrumentalisieren. Das alles deutet auf eine langfristige, neo-osmanische Strategie der Erdogan-Türkei hin, die man, wenn man ihrer überhaupt Gewahr wird, im Westen als neue Karl-May Romantik des Muslimbruders abtut.

 

Erdogan und seine Strategen gehen davon aus, dass der Westen zwar wirtschaftliche Interessen verteidigt, aber nicht mehr in der Lage oder gewillt sei, westliche Grundwerte zu verteidigen. Er hat in den letzten Jahren Schritt für Schritt alles ausgereizt: Von der Abschaffung von Demokratie und Rechtsstaat über Entwestlichung der Türkei bis hin zur Rolle der Türkei als Schutzmacht der syrischen Dschihadisten.

 

Nicht umsonst ist der Bundesnachrichtendienst zu der Erkenntnis gelangt, dass die Türkei sich spätestens seit 2011 zur „zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen“ entwickelt hat.

 

Erdogan hat bis heute keinerlei ernstzunehmende internationale Konsequenzen gespürt. Im Gegenteil, er hat es sogar geschafft, durch die „Flüchtlingskrise“ die EU und vor allem Deutschland in Geiselhaft zu nehmen. Er kann die Demokratie und den Rechtsstaat in seinem Land abwickeln, Pressefreiheit abschaffen und die Medien gleichschalten, kurdische Siedlungsgebiete zerstören, Hunderttausende kurdischer Staatsbürger vertreiben und Tausende töten, er kann die gewählte Opposition kriminalisieren, Konkurrenten verhaften und mundtot machen lassen – und darf dennoch weiterhin NATO-Mitglied sein und sich EU-Beitrittskandidat nennen. Nicht einmal US-Präsident Trump scheint weltweit so viel politische und rechtliche Immunität zu genießen wie ein Erdogan, der durch seine bereits vollzogenen Verbrechen jeden Anspruch hätte, in Den Haag angeklagt zu werden.

 

In Deutschland wird der türkische Dschihad flankiert durch das Verhalten der DITIB-Moscheen in Deutschland. 73 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus gibt es in Deutschland eine religiöse Organisation, die für Krieg und Sieg betet. Es kam ein Aufruf aus Ankara zum Gebet für den Sieg der türkischen Truppen in Afrin – ausgegeben von der staatlichen, türkischen Religionsbehörde. Die von der Türkei entsandten und für die DITIB tätigen Imame sind seit zwei Wochen deutschlandweit in vielen DITIB-Moscheen diesem Aufruf gefolgt. Neben der gewohnt schwachen Reaktion der Bundesregierung ist vor allem das Schweigen der Kirchen eine Schande. Zahlreiche sogenannte „Dialoge“ führt man mit der DITIB, hofiert ihre Funktionäre, befürwortet den Bau von Moscheen, sitzt zusammen in Gremien zum Islamischen Religionsunterricht. Und hält sich jetzt vornehm zurück, wenn der islamische Klerus den Krieg verherrlicht.

 

Was ist die Antwort der Bundesregierung auf die Radikalisierung und Islamisierung der Türkei unter Erdogan und die Radikalisierung der in Deutschland lebenden Türken?

 

Das Motto der Außenpolitik von Kanzlerin Merkel und Außenminister Gabriel scheint zu sein: Je aggressiver Erdogan uns als „Nazis“ beschimpft, unsere Staatsbürger als Geiseln nimmt und die Türken in Deutschland gegen Deutschland aufstellt, desto mehr Waffen und mentale Unterstützung bekommt er.

 

So stiegen 2017 die Waffenexporte in die Türkei erneut an. Angesichts der Fakten ist man geneigt, anstatt bloß von Appeasement von Kumpanei mit dem türkischen Staatspräsidenten zu sprechen. Deutschland macht sich zum Erfüllungsgehilfen eines Staatsverbrechers. Das muss umgehend enden. Angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs der Türkei gegen das syrische Afrin muss die Bundesregierung die militärische Kooperation mit dem NATO-Partner umgehend einstellen. Die Rüstungsexporte müssen sofort gestoppt, die noch dort verbliebenen deutschen Soldaten aus der Türkei abgezogen werden.

 

Wir kurdisch-stämmigen Deutschen fühlen uns angesichts der aktuellen Türkeipolitik unsere neuen Heimat Deutschland unweigerlich an jenen einer unsäglichen Verkettung geschuldeten Spruch vom Kaiser Wilhelm II erinnert. 1915, im zweiten Kriegsjahr gegen die Allianz aus Russen, Franzosen und Briten, ließ er den damaligen Botschafter Metternich wissen: „Wir müssen die Türkei bis zum Ende des Krieges auf unserer Seite halten, gleichgültig ob darüber die Armenier zugrunde gehen, oder nicht.“

 

Was ist heute anders? Die Armenier und andere Minderheiten sind fast ausgelöscht. Nur noch die Kurden stören den Endsieg des Neo-Osmanen. Und der Westen schaut einfach zu, unfähig oder unwillig, seine freiheitlich-demokratischen Werte zu verteidigen.

 

„Dann wollen wir, dass die Fahne des Islam wieder über diesen Landschaften weht, die das Glück hatten, eine Zeitlang unter der Herrschaft des Islam zu sein und den Ruf des Muezzins Gott preisen zu hören. Dann starb das Licht des Islam aus und sie kehrten zum Unglauben zurück. Andalusien, Sizilien, der Balkan, Süditalien und die griechischen Inseln sind alles islamische Kolonien, die in den Schoß des Islam zurückkehren müssen. Das Mittelmeer und das Rote Meer müssen wieder islamische Binnenmeere wie früher werden.“

 

Diese Sätze stammen nicht vom Programm des IS; sie finden sich im Programm, das der Gründer der Muslim-Brüderschaft, Hassan Al Banna, formulierte. Erdogan ist der Anführer dieser Muslim-Brüderschaft in der Türkei. Viele westliche Politiker und sogenannte Experten aber wollen ihn uns immer noch als Pragmatiker verkaufen und träumen davon, dass man ihn durch wirtschaftliche Beziehungen beruhigen könne, anstatt mit klarer Kante zur Ordnung rufen.

 

Der einzige, der vorgemacht hat, wie mit Erdogan erfolgreich umzugehen ist, war der Russe Putin. Er hat mehr Kontrolle über Erdogan, als dessen westliche „Partner“. Warum! Weil Putin ihm gezeigt hat, dass er konsequent handelt, wenn Erdogan keinen Respekt vor Russland zeigt. Vor uns hat Erdogan keinen Respekt, weil er uns ohne Konsequenzen auf der Nase tanzen kann. Weil Europa in Scham bei jedem neuen Verbrechen des Türken wegschaut – sei es, dass es gegen das eigene Volk geht, sei es, dass es gegen die Nachbarn geht, sei es, dass es gegen die Werte des Westens geht. Europa, die einst auf Zypern aus dem Meer stieg, hat den Kampf aufgegeben.

 

 

Ali Ertan Toprak (* 1969 in Ankara, Türkei) ist ein deutscher Politiker kurdischer Abstammung. Er ist führender Repräsentant der Kurdischen Gemeinschaft in Deutschland. Toprak war von 2006 bis 2009 Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschlands und von 2009 bis 2012 ihr stellvertretender Vorsitzender.Er ist Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland e.V. und Vorsitzender des Bundesverbandes der Migrantenverbände sowie Mitglied im ZDF-Fernsehrat.

 

 

Erstveröffentlicht bei Tichys Einblick - Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

 

Foto: Die türkische Armee und die mit ihr verbündete islamistische Terrormiliz al-Qaida überfallen gemeinsam Afrin (Foto: By Qasioun News Agency (https://www.youtube.com/watch?v=PHDKbdn7ySQ) [CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons)


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Montag, 12 Februar 2018