Ein Flüchtling spricht Klartext: Angst als Waffe gegen Meinungsfreiheit

Ein Flüchtling spricht Klartext:

Angst als Waffe gegen Meinungsfreiheit


Amed Sherwan wuchs im Norden des Iraks auf und wurde dort bereits als Jugendlicher inhaftiert und gefoltert. Sein Vergehen war die Aufklärung. Er hatte es gewagt, an Gott zu zweifeln und den Islam zu kritisieren.

Angst als Waffe gegen Meinungsfreiheit

Von Gerd Buurmann

Im Jahr 2014 entfloh er der Gewalt im Irak. Heute lebt er als junger Mann in Deutschland, wo er als Blogger und Aktivist tätig ist. Aufgrund seiner Texte erhält er in Deutschland Mord- und Gewaltdrohungen. Sein Vergehen ist wieder die Aufklärung.

Jetzt wurde er zudem für dreißig Tage von Facebook gesperrt. Sein Vergehen ist wieder die Aufklärung.

Es gibt ein grundlegendes Problem bei Facebook. Dort werden Einträge gelöscht, wenn sie von vielen Menschen gemeldet werden. Bei Facebook kommt es nicht so sehr auf die Aussage an, sondern darauf, wieviele Menschen sich beleidigt fühlen. Wenn sich genug Menschen beleidigt fühlen, wird gelöscht und gesperrt.

Internetseiten zu löschen, ist so produktiv, wie Bücher zu verbrennen!

Amed Sherwan soll mundtot gemacht werden. Eine Meldemob von dauerbeleidigten Leberwürsten führt gerade einen Zermürbungskrieg in der virtuellen Welt gegen einen Mann, der in der realen Welt ständig auf der Flucht vor Fundamentalisten ist. Amed Sherwan lebt unter Morddrohungen. Sein unbeschwertes Leben wurde ihm genommen, weil er die Freiheit der Meinung lebt und den Islam kritisiert. Er lebt unter ständiger Lebensgefahr, weil er Homosexuelle nicht verurteilt, für Frauenrechte streitet, das Kopftuch für Frauen nicht fordert, Juden nicht hasst und den Islam an seinen fundamentalistischen Stellen kritisiert. Das ziehen viele Muslime in Europa als Grund heran, Amed Sherwan umbringen zu wollen.

Seine wichtigste Waffe im Kampf gegen die Fundamentalisten, die ihn töten wollen, ist das freie Wort und die Möglichkeit, seine Worte zu veröffentlichen. Ein Meldemob tut nun alles, ihm diese Waffe zu entreißen und Facebook ist der willige Vollstrecker dieses Mobs.

Dabei sind diese Unternehmen Kinder unserer aufgeklärten Gesellschaft. Für ihre Freiheit sind viele Männer und Frauen gestorben, die für das freie Wort gestritten haben, wie Amed Sherwan. Ausgerechnet diesem jungen Mann nun seine wichtigste Selbstverteidigungswaffen zu nehmen, ist unerträglich.

Der Mob beherrscht die Netzwerke.

Die Art und Weise wie wie Facebook seine Seiten verwaltet, ist ein Angriff auf den liberalen Geist der Individualität, wo der Gedanke der Freiheit und die persönliche Entfaltung zählen und nicht der Mob. Niemand ist in Gefahr, weil Amed Sherwan redet. Er aber ist in Gefahr, weil er redet!

Der Mantel des Schweigens ist für die Redefreiheit das, was der Schleier und das Kopftuch für die Rechte der Frau ist. Jede Frau darf selbst entscheiden, ob sie einen Schleier tragen möchte und jeder Mensch darf selbst entscheiden, ob und zu was er schweigen und reden will. Es darf keinen Zwang geben, weder für den Schleier noch für den Mantel des Schweigens und unter keinen Umständen darf es einem Mob überlassen werden, darüber zu entscheiden, was gesagt werden darf.

Tapfer im Nirgendwo präsentiert daher mit freundlicher Genehmigung des Autors einen Artikel von Amed Sherwan.

Angst als Waffe gegen Meinungsfreit
Ein Beitrag von Amed Sherwan

Anders als viele Kriegsflüchtlinge habe ich mir Deutschland nicht nur ausgesucht, um hier in Sicherheit leben zu können. Deutschland macht mich glücklich und bedeutet für mich Freiheit. Denn solange ich niemandem damit schade, kann ich hier glauben, denken und sagen, was ich will, ohne dafür mit Repressionen rechnen zu müssen. Oder doch nicht?

Anfangs war ich allerdings gar nicht in der Lage, meine Meinung zu formulieren. Ich sprach etwas Englisch, musste mir deutsche Sprachkenntnisse aber erstmal mühsam erarbeiten. Und auch sonst bot mir das neue Leben viele Hürden und Probleme. Ich war einsam, hatte furchtbares Heimweh und litt unter Alpträumen. Für meine Fluchtgründe interessierte sich kaum jemand und ich hatte ganz andere Sorgen, als politisch oder journalistisch aktiv zu sein.

Erst zwei Jahre später machte ich im Rahmen eines Schulpraktikums erste Erfahrungen damit. Ich interviewte einen schwulen Freund aus dem Irak für die Lokalzeitung, mein Anleiter half mir mit dem Aufbau und der Rechtschreibung und ich konnte stolz meinen allerersten eigenen Artikel präsentieren.

Ich hatte die schlimmsten Sprachbarrieren inzwischen überwunden und viele Freunde gefunden. Deutschland war meine neue Heimat geworden und ich hatte einen Bereich gefunden, wo ich beitragen konnte. Mit meinem muslimischen Hintergrund auf der einen und meiner Begeisterung für die westliche Kultur auf der anderen Seite würde ich Welten öffnen können. Genau sowas hatte ich mir immer erträumt. Deshalb meldete ich mich natürlich sofort, als ein lokales Flüchtlingsmagazin gegründet wurde. Unter der Überschrift „Atheismus als Fluchtgrund“ schilderte ich meine Erlebnisse in Irakisch-Kurdistan und meine Freude darüber, nun in einem Land mit Meinungs- und Religionsfreiheit zu leben.

Doch wie die Ironie des Schicksals es wollte, erlebte ich mit diesem Artikel die Grenzen eben dieser Meinungsfreiheit. Konservative Muslime empfanden meine Schilderungen als islamfeindlich. Dabei hatten sie den Artikel offensichtlich gar nicht wirklich gelesen. In den darauffolgenden Auseinandersetzungen erhielt ich Morddrohungen, wurde ausgegrenzt und verlor viele Freundschaften. Ich war zutiefst schockiert darüber, dass mir sowas mitten in Deutschland passieren konnte.

Das Erlebnis veränderte mich. Ich war nicht aus dem Irak geflüchtet, um mir wieder von konservativen Muslimen den Mund verbieten zu lassen. Auf Facebook hatte ich schon im Irak geschrieben und natürlich auch in meinen Anfangsjahren in Deutschland, erst auf Kurdisch und dann auf Englisch. Aber seit meinem Praktikum wusste ich, wie meine Texte auch auf Deutsch funktionieren konnten. Statt meines Anleiters stand mir nun meine Freundin zur Seite. Ich verfasste Skizzen auf einer Mischung aus Englisch, Deutsch, Autokorrektur und Voicenachrichten, sie machte den sprachlichen Feinschliff. Dass wir dabei oft unterschiedlicher Meinungen waren, machte den Prozess nur interessanter und meine eigene Argumentation besser.

Ich konnte mich endlich selber zu Wort melden und meine Erfahrungen einem breiteren Publikum zugänglich machen. Ich wehrte mich gegen die Anfeindungen aus der muslimischen Exilcommunity und erhielt dafür viel Zuspruch aus islamkritischen Kreisen. Mein flüchtlingssolidarischer Freundeskreis hatte hingegen große Sorge, ich könne mit meiner Kritik zum Islamhass anstacheln. Aber auch von ihnen wollte ich mir nicht untersagen lassen, die Sachen so darzustellen, wie ich sie nun mal erlebt hatte.

Ich wollte die Islamkritik nicht den Rechtspopulisten überlassen, die selber genau die Werte propagierten, die sie im Islam kritisierten. Ohne meine Islamkritik aufzugeben, distanzierte ich mich daher genau so deutlich von Muslimenhass und Rassismus. Die Idee, mit der Aktion „Allah is gay“ auf dem CSD in Berlin für mehr Toleranz im Islam zu werben und gleichzeitig die Vielfalt im muslimischen Kulturkreis zu zeigen, entstand ganz spontan aus diesen Gedanken heraus.

Aber kaum hatte ich meine Aktion angekündigt, trudelten die Morddrohungen fantastischer Muslime bei mir rein. Sie hatten sich nicht die Mühe gemacht, die Idee hinter der Aktion zu verstehen, sondern sich einfach von Schlüsselwörtern reizen lassen. Das Szenario war mehr als bedrohlich, aber glücklicherweise ging alles gut. Ich erhielt nicht nur großen Zuspruch aus unterschiedlichsten Kreisen, ich konnte die Aktionen mit Personenschutz durchführen. Im Irak wäre ich für diese Aktion vermutlich gestorben, hier wurde mein Recht auf freie Meinungsäußerung von der Polizei geschützt. Ja, das war Meinungsfreiheit!

Seither gebe ich viele Interviews, nehme an Veranstaltungen teil, mache Videos und schreibe weiter Beiträge über Religionskritik, Rassismus, Flucht und Alltagserfahrungen. Ich bin kein wissenschaftlicher Experte, aber ich kann als ganz normaler Geflüchteter mit Perspektiven beitragen, die manchmal im Diskurs fehlen. Und ich erlebe an der positiven Resonanz, dass mein Blick auf die Dinge einen Wert hat und Brücken bauen kann.

Doch Erfolg ist gefährlich. Seitdem meine Beiträge auch von größeren Onlinemagazinen geteilt werden, werde ich von Hassnachrichten regelrecht überschwemmt und auf in allen Social-Media-Portalen beschimpft. Einige Rechtsextreme mit vielen tausenden Followern machen aktiv Stimmung gegen mich. Neue Hassnachrichten erscheinen gerade im Minutentakt im Netz und fordern Gleichgesinnte dazu auf, meine Beiträge zu kommentieren. Die Hasskommentare beziehen sich kaum auf die Inhalte meiner Beiträge, die viele der Kommentatoren offensichtlich gar nicht gelesen haben, sondern ziehen mich als Person und mein Privatleben durch den Schmutz. Unterstützung kriegen die Rechten interessanterweise von einigen (Ex-)Muslimen, die mich als „Schande für dein Volk“ bezeichnen.

Doch damit nicht genug, die Rechtsextremen drohen mir, der Welt schon noch zeigen zu werden, dass ich genauso ein krimineller Schmarotzer bin wie alle anderen Flüchtlinge. Sie haben meine Profile durchgesucht und sind dabei auf alte Fotos gestoßen, auf denen ich auf kurdischen Großdemonstrationen für Solidarität mit den Kurden in Syrien zu sehen bin und zwar auch mit Fahnen, die inzwischen verboten sind. Es handelt sich dabei um eine Fahne mit dem Portrait von Öcalan und eine Fahne der kurdischen Verteidigungseinheit YPG.

Ich besitze selber keine Fahne dieser Art, aber mich störte die Doppelmoral daran, dass Kurden in Deutschland dafür kriminalisiert wurden, friedlich Bilder hochzuhalten, während die Türkei zeitgleich die kurdischen Gebiete mit deutschen Panzern einnahm. Ich habe mich mit meinen Freundinnen und Freunden aus Syrien solidarisiert und mich gegen das Fahnenverbot positioniert. Meine Kritik an dem Verbot, sagt aber nichts über meine eigene Position. Ich betreibe selber keinen Personenkult um Öcalan und stehe der YPG weder nahe noch komplett kritiklos gegenüber.

Den Rechten ist mit diesem Thema aber auch nicht gelungen, mein Profil sperren zu lassen. Sie haben stattdessen einen ganz absurden Weg gewählt: Um auf den wachsenden Antisemitismus hinzuweisen, habe ich vor einiger Zeit ein Bild von einer Situation gepostet, wo ein jüdischer Bäcker in den USA eine empfangene Hassnachricht mit einem Hakenkreuz zeigt. Mit Verweis auf dieses Symbol, ist es ihnen offensichtlich gelungen, meinen Facebook-Account für 30 Tage zu sperren. Damit ist mir nicht nur mein wichtigster privater Kommunikationskanal genommen worden, sondern auch mein zentralstes öffentliches Sprachrohr.

Während ich im Irak im Gefängnis saß, gelang es mir über Freunde, weiter auf Facebook zu posten und ein Unterstützungsnetzwerk aufzubauen. Als mich Islamisten in Deutschland bedrohten, konnte ich mich über Facebook dagegen wehren und mir Hilfe organisieren. Aber jetzt, wo mich Rechtsextreme angreifen, ist meine Facebook-Account der Onlineattacke hilflos ausgeliefert. Das macht mir große Sorgen.

Immer wieder berufen sich gerade Rechtsextreme auf das Recht auf Meinungsfreiheit. Aber wenn ihnen die Inhalte nicht passen, ist ihnen offensichtlich kein Mittel zu krass, um anderen die Freiheit zu nehmen. Sie bringen die Meinungsfreiheit in Deutschland damit aus meiner Sicht ernsthaft in Gefahr. Aber mich haben weder Gefängnis, Folter, Ächtung, Flucht oder Morddrohungen davon abgehalten, meine Meinung öffentlich zu sagen. Und natürlich werden mich auch Rechtsextreme davon nicht abhalten.

Tapfer im Nirgendwo


Autor: Gerd Buurmann
Bild Quelle:


Freitag, 23 November 2018

Waren diese Infos wertvoll für Sie?

Sie können uns Danke sagen. Geben Sie einen beliebigen Betrag zurück und zeigen Sie damit, wie viel Ihnen der Inhalt wert ist.




empfohlene Artikel

Folgen Sie und auf:


meistgelesene Artikel der letzten 7 Tage