Bundesdeutsche Justiz und ihr Umgang mit der NS-Zeit

Bundesdeutsche Justiz und ihr Umgang mit der NS-Zeit


Es war ein schöner, warmer Sommertag, als am späten Nachmittag sechs Männer im offenen Wagen vor dem Schloss Baruth, etwa 50 km von Berlin entfernt anhielten. Doch es waren nicht die üblichen Besucher, es waren Gestapo-Leute, und es war kein gewöhnlicher Tag: es war der 21.Juli 1944, ein Tag nach dem misslungenen Attentat auf Hitler.

Bundesdeutsche Justiz und ihr Umgang mit der NS-Zeit

Von Shaul Lazarus

24 Stunden zuvor hatte die Welt den Atem angehalten, aber bereits nach Mitternacht waren Claus Schenk von Stauffenberg, sein Adjutant Werner von Haefthen, General Friedrich Olbricht und Albrecht Ritter von Quirnheim auf Befehl von General Fromm erschossen worden. Nur dem General Ludwig Beck hatte Fromm die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt. Nicht etwa, weil Fromm ein Menschenfreund war, er war ein Opportunist durch und durch, sondern er fürchtete, dass seine Mitwisserschaft ans Tageslicht käme. In den frühen Morgenstunden hatte sich Generalmajor Henning von Tresckow in einem Waldstück an der Ostfront mit einer Gewehrgranate das Leben genommen. Eine riesige Verhaftungswelle brach über die Beteiligten und Mitwisser an dem gescheiterten Putsch und deren Familien herein.

 

Der Fürst Friedrich zu Solms-Baruth hatte bereits mit dem Erscheinen von Hitlers Schergen gerechnet. Er war von Anfang an in die Attentatspläne verstrickt gewesen. Nur wenige Tage zuvor hatte sich Friedrich zu Solms-Baruth mit General Ludwig Beck, dem Kopf der Verschwörung getroffen. Seit Monaten gab es konspirative Treffen mit bekannten Mitverschwörern in Baruth. Feldmarschall von Witzleben, General von Hase, Graf von der Schulenburg, Graf Lynar und Graf von Lehndorff waren nur einige, die sich mit dem Fürsten zu Solms-Baruth in seinem zu Hause oder zu einem Ausritt trafen. Seinen Freund, Admiral Canaris, Hitlers Abwehrchef suchte der Fürst im Berliner Unions Club auf, da es zu offensichtlich gewesen wäre, wenn Canaris nach Baruth gekommen wäre. Seit Stunden vernichtete er in seinem Arbeitszimmer Notizen, um nicht weitere Eingeweihte oder gar seine Familie zu belasten. Plötzlich betrat sein Sohn Friedrich Wilhelm außer Atem den Raum und warnte den Vater, der ihm sagte, er solle die Gestapo-Männer zu ihm bringen und das ganze so lang, wie möglich hinauszögern. Letztendlich bemerkten die NS-Schergen, allen voran Sturmbannführer Bruhn die Verzögerungstaktik, schubsten den Sohn beiseite und stürmten in das Zimmer. Nach einem kurzen Handgemenge überwältigten sie den Fürsten und nahmen ihn mit.  Sie setzten ihn im Fahrzeug zwischen zwei Uniformierte und fuhren die Ortschaft Baruth auf und ab, bis auch der letzte Gaffer mitbekommen hatte, dass der Fürst nun in ihren Händen war. Danach verbrachte man ihn in das berüchtigte Hauptquartier der Gestapo nach Berlin in der Prinz-Albrecht-Straße.

 

Am folgenden Morgen, dem 22. Juli 1944 wurden auch die Fürstin und ihre Kinder aus dem Schloss, das seit dem 15. Jahrhundert im Besitz ihrer Familie war vertrieben und in Sippenhaft genommen. Hitler hatte höchstpersönlich angeordnet, auch die Familien der Beteiligten am Attentat des 20. Juli zu inhaftieren, weil sie, so meinte Hitler: „schlechtes Blut haben… Verräterblut“.

Gegen 22.00 Uhr kehrte die älteste Tochter von einem Zahnarztbesuch in Dresden zurück. Sie war bislang der Verhaftung entgangen und traute kaum ihren Augen, was sich dort abspielte: SS-Männer trugen Kunstgegenstände, Möbel und Gemälde aus dem Gebäude und verluden es auf Lastfahrzeuge, während anderes Mobiliar und Einrichtungsgegenstände sinnlos zertrümmert wurden. Auf die Frage, was hier vor sich ging, schrie ihr ein SS-Mann ins Gesicht: „Das gehört euch alles nicht mehr! Das ist nicht mehr dein Zuhause!“

 

Wenige Tage später begannen die Prozesse gegen die Beteiligten des Attentats von 20.Juli 1944 unter dem Vorsitz des fanatischen Richters Roland Freisler. Bereits im Jahr zuvor hatte er Mitglieder der „Weißen Rose“, einer meist aus Studenten bestehenden Widerstandsgruppe gegen die Diktatur des Nationalsozialmus gnadenlos auf die Guillotine geschickt. Freisler war bekannt für sein Geschrei, seine Beleidigungen und seine Todesurteile. Gezeichnet von Folter und Hunger wurden die Angeklagten vorgeführt und man verhängte über sie die Urteile, die schon vorher feststanden. „Sie sollen hängen wie Schlachtvieh!“ hatte Hitler vor Wut schäumend befohlen und man erhängte sie an Fleischerhaken.

Die Prozesse und die Hinrichtungen wurden gefilmt und als „Geheime Reichssache“ deklariert. Voller Genugtuung ergötzte sich Hitler an den Demütigungen und am qualvollen Todeskampf der Verurteilten. Sogar ihre Leichen wurden exhumiert, verbrannt und die Asche auf den Rieselfeldern, die Teil einer Anlage zur Reinigung von Abwässern sind, verstreut.

Fürst Friedrich zu Solms-Baruth III war nun der persönliche Gefangene von Reichsführer SS Heinrich Himmler. Durch die SS, den Sicherheitsdienst und der Gestapo hatte Himmler, seines Zeichens ein Spießer, wie er im Buche stand, Organisator der Vernichtungsfabriken  und kaltblütiger Massenmörder von Millionen von Menschen, ein System der Überwachung, der Willkür und des Terrors etabliert. Gigantische Vertreibungs-, Versklavungs- und Ausrottungspläne hatte Himmler für seinen Führer umgesetzt.

Mit dem Fürsten hatte er eigene Pläne. Himmler ließ ihn gerade mal so am Leben: er führte ihn nicht in einen demütigenden Schauprozess vor, ließ ihn jedoch ganz nach Nazi-Manier hungern, verhören und foltern – immer und immer wieder und so oft es ihn beliebte.  In den Monaten seiner Inhaftierung, irgendwo zwischen Hunger, Durst und sadistischen Quälereien betete Friedrich zu Solms-Baruth zu seinem G-tt. Sein ganzes Leben lang war er ein gläubiger Protestant gewesen, während Himmler und die Naziführung weitaus düsteren Kulten anhingen: dem Kult der schwarzen Sonne, dem Glauben an eine weiße, blonde, blauäugige Herrenrasse und eine neue, irrsinnige Religion, frei von Menschlichkeit und Mitgefühl, in dessen Zentrum Germanen-Esoterik, Rassismus, Okkultismus und der völlig irrationale, zermetzelnde Hass auf Juden stand.

 

Trotzdem war Himmler realistisch genug zu erkennen, dass sich nicht der „Endsieg“, sondern die totale Niederlage des 1000-jährigen Reiches abzeichnete. Die Rote Armee rückte immer weiter gen Westen vor und nur sieben Wochen zuvor waren die Alliierten erfolgreich in der Normandie gelandet. Er wollte seine Schäfchen ins Trockene bringen und einen Waffenstillstand, notfalls sogar eine Kapitulation mit den Briten und Amerikanern, nicht aber mit den Russen, aushandeln. Für dieses Vorhaben benötigte er die Bernadottes, die Königsfamilie des neutralen Schwedens, um Verhandlungen in die Wege zu leiten und der Fürst zu Solms-Baruth war der Onkel des schwedischen Thronfolgers. Seinen Ansprechpartner fand er schließlich in Graf Folke Bernadotte, dem Vizepräsidenten des schwedischen Roten Kreuzes.

 

Gierig, wie die gesamte Nazi-Führungsriege, wollte sich Himmler die Schlösser und Ländereien des Fürsten unter den Nagel reißen. Bereits in der Vergangenheit war die Nazi-Führung bestrebt, sich die Güter der zu Solms-Baruth anzueignen. In der Zwischenzeit ging es Himmler um die Verfügungsmacht über den Forstbetrieb Solms-Baruths, denn der SS-Wirtschaftskonzern benötigte

dringend Holz als Rohstoff, den er sich so bevorzugt vor allen anderen NS-Strukturen beschaffen

konnte, ohne Kontingentierungsverfahren durchlaufen zu müssen. So wurde auch der Bruder von Friedrich zu Solms-Baruth verhaftet, der bis dahin den Besitz verwaltet hatte. Himmler machte unmissverständlich klar, dass dem Fürsten zu Solms-Baruth keine Möglichkeit gelassen werden darf, irgendeinen Einfluss auf sein Eigentum zu behalten. Himmlers Befehle waren zunächst darauf ausgerichtet, dass eine notarielle Erklärung aufgesetzt wurde, um die Güter des Fürsten zunächst auf dessen Bruder zu übertragen unter der Bedingung, dass dieser sich als folgsamer Nazi erklärte, und zukünftig allen Wünschen und Anweisungen der Nazi-Oberen ausführt und in keiner Form stört.

Himmlers Anweisung an Sturmbannführer Bruhn bestand darin, den Fürsten erst dann zur Unterzeichnung einer Erklärung zu zwingen, wenn sein Bruder das Unterwerfungs-Dokument unterzeichnet hatte. Im nächsten Schritt wurde der Fürst zu Solms-Baruth unter Druck gesetzt, eine notarielle Urkunde zu unterschreiben, die unwiderruflich alle seine Verfügungsmacht über seine Liegenschaften Baruth und Klitschdorf seinem Bruder überträgt und die seine endgültige Verbannung aus den Ländereien akzeptiert. Kopien davon wurden allen regionalen Behörden und SS-Stationen ausgehändigt. Einige Zeit später wurde der Bruder des Fürsten durch einen überzeugten Nazi ersetzt, einen hochdekorierten SA-Major. Mit diesem faulen Trick verschaffte sich Himmler die volle Kontrolle über die Besitztümer, ohne sie formell zu enteignen.

Nach der Unterzeichnung wurde Friedrich zu Solms-Baruth aus der Haft entlassen – als gebrochener Mann, seines Hab und Guts beraubt und in schlechter körperlicher Verfassung; was ihm Halt gab war seine, über alles geliebte Familie. Natürlich hätte ihn Himmler jederzeit ermorden lassen können, allerdings brauchte er den Fürsten lebendig für weitere Verhandlungen mit Bernadotte. Bis kurz vor dem Zusammenbruch führte Himmler Gespräche mit Bernadotte, da er dachte, er könne seinen Kopf retten. Das letzte gemeinsame Treffen fand in der Nacht vom 23. zum 24. April statt. Als Hitler davon Wind erfuhr, dass Himmler hinter seinem Rücken versuchte, Kontakt mit Dwight D. Eisenhower aufzunehmen, bekam er einen Wutanfall und schloss Himmler aus der NSDAP, sowie von allen Partei- und Staatsämtern aus. Ohnehin waren weder Truman, Churchill oder Eisenhower an irgendwelchen Verhandlungen, geschweige denn einem Friedensschluss interessiert: sie wollten einfach die nationalsozialistische Terrorherrschaft über Europa beenden.

Nach Kriegsende wanderte der Fürst zu Solms-Baruth nach Südwestafrika aus. Er lebte nur noch wenige Jahre, da seine Gesundheit, bedingt durch die Haft Schaden genommen hatte und verstarb im Jahre 1951 im heutigen Namibia.

 

In Deutschland, 75 Jahre nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler gibt es immer noch genügend Zeitgenossen, die, die Männer und Frauen des 20. Juli 1944 für Verräter halten. Seit 1990 versuchen die Nachkommen des Fürsten zu Solms-Baruth das Schloss Baruth und seine Ländereien zurück zu bekommen. Seit über zwanzig Jahren tobt ein juristischer Kampf und die Gerichte in der Bundesrepublik lehnen es ab, das Anwesen an den Erben zurückzugeben.

Die Gerichte argumentieren, dass es einfach ein Zufall gewesen sein könnte, dass der Fürst zu Solms-Baruth am Tag nach dem Putschversuch von der Gestapo festgenommen wurde.
Der Vorsitzende der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in Potsdam, sagte zu Friedrich zu Solms-Baruth V, dem Enkel des ehemaligen Besitzers: "Sie haben keine Ahnung, wie krank und müde ich bin, wenn ich höre, wie schlecht die Nazis waren, wenn jemand hier etwas von mir will."
Bislang waren alle Gerichte der Ansicht, dass der Wortlaut des notariell beglaubigten Dokuments,

zu dessen Unterzeichnung der Großvater gezwungen worden war, weder den Verlust des Eigentums

noch den Verlust seiner Verfügungsmacht zur Folge hatte - weshalb die Bundesrepublik der legitime Rechtsnachfolger des Dritten Reiches, der DDR und damit auch des Vermögens von Solms-Baruth ist .

Insofern stelle es einen Rechtsvertrag dar, der von zwei Parteien bereitwillig auf gleicher Ebene geschlossen worden sei – auch wenn er in Gestapo-Haft geschlossen wurde - mit einem Vertrag gleichzusetzen, der heute im Büro eines Notars unterzeichnet worden sei.

Die Gerichte argumentieren also im Ergebnis, dass der Kläger nicht nachweisen kann, dass die Gestapo während Haft Druck auf seinen Großvater ausgeübt hat, und dass er ebenso nicht nachweisen kann, dass der Großvater gezwungen war, das notariell beglaubigte und unwiderrufliche Dokument zu unterschreiben.


Bislang lehnten die Richter alle historischen Sachverständigen ab, die von Solms-Baruth ernannt wurden, indem sie behaupteten, dass das Gericht über das höchste historische Sachverständigenwissen zum geschichtlichen Thema verfügt und Sachverständige dazu nicht anzuhören sind. Dem Kläger wird außerdem nicht gestattet, neue Beweise in den laufenden Fall einzubringen, sondern er ist gezwungen auf der Ebene des Verwaltungsgerichts völlig neue Fälle zu eröffnen, während der laufende Fall nun vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt werden soll.

Aber es kommt noch besser: das Argument für die Rückerstattung stützt sich auf ein im Grundgesetz verankertes Sondergesetz, wonach ein tatsächlicher Verlust "auf andere Weise", als eine formelle Enteignung durch Änderung, bzw. Übertragung des Eigentums im Grundbuch mit einem Verlust gleichzusetzen ist, der mit einer formellen Enteignung einhergeht.

Der Rechtsgedanke beruht auf einer Forderung der Alliierten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, der auch Inhalt des neuen Gesetzes wurde und 1990 in der Bundesrepublik wirksam geworden ist.

Die Alliierten bestanden damals darauf, dass dieses Gesetz aufgenommen wird, um den Staat daran zu hindern, Reparationen und Rückführungen für NS-Verbrechen zu vereiteln. Genauer gesagt: wenn der NS-Staat willkürlich Eigentum einzog, ohne das Eigentum förmlich zu übertragen,weil solche verschleierten faktischen Enteignungen zur gängigen hinterhältigen Methode gehörten, alle

Verfolgten und Gegner auszuschalten.

Die Gerichte ignorieren jedoch immer wieder genau dieses Gesetz, an dem sie verfassungsmäßig festhalten müssten, indem sie behaupten, dass der Kläger, in diesem Fall der Enkelsohn von Friedrich zu Solms-Baruth keinen Anspruch auf Rückerstattung hat, da keine formelle Enteignung stattgefunden hat.

Man stelle sich das auf heutige Verhältnisse übertragen vor: Da kommt eine Geheimdiensteinheit,

wirft einen aus der eigenen Wohnung, verbannt ihn auf Lebenszeit aus der eigenen Wohnung,

überträgt die gesamte Verfügungsmacht notariell und unwiderruflich auf irgendjemanden, der zum

Geheimdienst gehört und dann sagt ein Gericht dazu, damit hätte man nichts verloren, weder das Eigentum, noch die Verfügungsmacht darüber.

Das ist schon ohne NS-Bezug absurd, aber bezogen auf einen Nazi-Gegner, der am 21.07.1944 von

der Gestapo verhaftet wurde und dann von Heinrich Himmler persönlich ausgeschaltet wurde, aber jetzt, 75 Jahre später  macht es einen nur noch sprachlos.

 

Foto: Der Großvater von Solms Baruch nach der Entlassung aus der Gestapo-Hadft (Foto: privat)


Autor: Redaktion
Bild Quelle: privat


Samstag, 22 Juni 2019

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