2019: Errungenschaften im Kampf gegen den Antisemitismus

2019: Errungenschaften im Kampf gegen den Antisemitismus


Die Bekundungen von Antisemitismus nahmen 2019 in der gesamten westlichen Welt weiter zu.

2019: Errungenschaften im Kampf gegen den Antisemitismus

Von Dr. Manfred Gerstenfeld

Im Kampf gegen diesen Hass ist aber auch wichtiges Erreichtes zu beobachten. Vieles davon kann als Beispiel dienen, dem man in ähnlichen Kämpfen an anderen Stellen folgen kann.

Antisemitismus systematisch zu entlarven und zu bekämpfen ist die Grundlage für diesen Kampf. Der Erfolg dabei sollte nach Kategorien analysiert werden. Ein paar der wichtigsten werden unten aufgezählt. Eine Voraussetzung für die systematische Entlarvung und die Bekämpfung von Antisemitismus besteht darin, dass man ihn definiert. 2016 akzeptierte die Internationale Holocaust-Gedenkallianz (IHRA), zu der mehr als 30 westliche Länder gehören, eine Antisemitismus-Definition. Der Text beinhaltet auch Beispiele für Hetze gegen und Diskriminierung von Israel. Obwohl die IHRA-Definition kein juristisches Dokument ist, hat sie ein regelmäßig genutztes Rahmenwerk zur Identifizierung antisemitischen Verhaltens geschaffen.[1]

Derzeit haben 21 Länder die IHRA-Definition für die interne Verwendung angenommen. 2019 akzeptierten Kanada[2], Griechenland,[3] die Tschechische Republik,[4] Moldawien[5], Portugal[6] und Zypern[7] diese Definition. Zudem haben auch viele Institutionen in zahlreichen Ländern die IHRA-Definition für den eigenen Gebrauch angenommen, zum Beispiel mehr als 150 Institutionen im Vereinten Königreich.[8]

Daten zu antisemitischen Vorfällen und Information zu Einstellungen zu Judenhass sowie die Wahrnehmung dessen durch Juden zu erhalten, ist eine zweite Kategorie von Bedeutung im Kampf gegen Antisemitismus. Dieses Jahr wurden eine Reihe neuer Studien veröffentlicht. Ein wichtiger Bericht war eine Studie der Anti-Defamation League (ADL), die in 18 Ländern durchgeführt wurde.[9] Sie stellte zum Beispiel fest, dass muslimische Zustimmung zu antisemitischen Stereotypen in sechs EU-Ländern fast dreimal höher lag als die der nationalen Bevölkerungen.

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Die EU-Agentur für Fundamentale Rechte (FRA) beauftragte das Institute for Jewish Policy Research in Großbritannien mit einer Studie zur Wahrnehmung und den Erfahrungen junger europäischer Juden bezüglich Antisemitismus. Sie stellte fest, dass „fast die Hälfte dieser Stichprobe junger jüdischer Europäer sagte, sie hätten in den letzten zwölf Monaten mindestens einen antisemitischen Vorfall erlebt“.[10]

Eine weitere wichtige Studie wurde vom American Jewish Committee (AJC) in den USA durchgeführt. Sie offenbart große Sorge wegen Antisemitismus bei Juden in den Vereinigten Staaten und weit verbreitete Angst, dass dieser zunimmt.[11]

Zusätzlich zu den Umfragen wurden auch weitere wichtige Dokumente veröffentlicht. Ein unerwarteter Bericht zu Antisemitismus wurde von den Vereinten Nationen herausgegeben. Auch wenn er nur Teile der ernsten weltweiten Probleme mit Judenhass erwähnte, war das eine wichtige Entwicklung.[12]

Ein wichtiger Durchbruch war der Bericht der anglikanischen Kirche zu Antisemitismus im Christentum und ihrer eigenen Denomination.[13] Darin hieß es: „Das Dokument God’s Unfailing Word [Gottes unfehlbares Wort] ist die erste verbindliche Äußerung der Church of England zu dem Teil, den Christen in der Stereotypisierung und Verfolgung von Juden spielte. Einstellungen gegenüber dem Judentum im Verlauf der Jahrhunderte hat ein ‚fruchtbares Saatbeet für mörderischen Antisemitismus‘ geliefert.“[14]

Der britische Forscher Alan Johnson veröffentlichte eine Studie, in der er zeigt, dass die britische Labour Party institutionell antisemitisch ist.[15] Diese Studie kann als Modell zur Untersuchung anderer Parteien in westlichen Ländern dienen, die von Antisemitismus durchdrungen sind.

Eine dritte wichtige Kategorie betrifft juristische Maßnahmen und parlamentarische Entscheidungen gegen Ausdrucksformen von Antisemitismus. Am 11. Dezember wurde von US-Präsident Donald Trump eine Verfügung gegen prohibitive Formen der Diskriminierung unterschrieben, die in Antisemitismus wurzeln. Der Präsident ordnete alle Ministerien und Regierungsstellen an, die IHRA-Definition in Betracht zu ziehen.[16]

Bis Ende 2019 hatte mehr als die Hälfte der 52 US-Bundesstaaten verschiedene Typen von Anti-Boykott-Gesetzen angenommen, zuletzt Kentucky. Das Repräsentantenhaus verabschiedete einen Beschluss, mit dem am 24. Juli 2019 die Boykott-Bewegung gegen Israel mit 398 zu 17 Stimmen abgelehnt wurde.[17]

Das deutsche Parlament übernahm einen Antrag gegen BDS. Dieser wurde jedoch von der deutschen Regierung nicht akzeptiert. Während des Jahres 2019 ernannten weitere Bundesländer Antisemitismus-Beauftragte.[18]

Das französische Parlament nahm einen Beschluss an, der Antizionismus als Teil des Antisemitismus einschließt. Der französische Innenminister Christoph Castaner hieß die symbolische Geste willkommen, die dieser Beschluss verkörpert.[19] Während das niederländische Parlament dafür stimmte, eine besondere Etikettierung von Produkten aus israelischen Siedlungsgebieten auf andere umstrittene Gebiete der Welt auszuweiten, akzeptierte die niederländische Regierung das nicht.[20]

Eine vierte Kategorie von Erreichtem ist erfolgreiches Vorgehen gegen individuelle Antisemiten und den in und von Organisationen verbreiteten Hass. Ein wichtiger Erfolg wurde erzielt, als die britische Equality and Human Rights Commission (EHRC) beschloss ihre Macht gemäß des Equality Act zu nutzen, um eine Ermittlung bezüglich einer Vielzahl an Antisemitismus-Vorwürfen in der Labour Party zu beginnen.[21] Es ist erst das zweite Mal in der britischen Geschichte, dass eine solche Untersuchung stattfand. Das vorige Mal betraf die winzige rechtsextreme British National Party.[22]

Viele beherzte Organisationen und Einzelpersonen, jüdisch wie nichtjüdisch, setzen den Kampf gegen den andauernden Ausbruch von Antisemitismus fort. Es wurden auch neue Initiativen angestoßen. Zum Beispiel hat eine Gruppe Geldgeber um Robert Kraft die Gründung einer neuen Stiftung angekündigt, die 50 Millionen Dollar aufbringen will – zum Teil von ihm eingebracht – um Antisemitismus zu bekämpfen.[23] Ronald Lauder, Präsident des World Jewish Congress, wird $25 Millionen eigenes Geld in das neue Anti-Semitism Accountability Project (ASAP – Projekt Verantwortlichkeit für Antisemitismus). Er plant die Organisation dafür zu nutzen, Demokraten wie Republikaner zu verfolgen, die antisemitischen Sprachgebrauch und Sprachbilder einsetzen.[24]

Besondere Aufmerksamkeit sollte der Art gewidmet werden, wie das britische Judentum sich infolge des weit verbreiteten Antisemitismus innerhalb der Labour Party verändert hat. In der Vergangenheit pflegten die jüdischen Leiter Zurückhaltung. Sie traten an die Behörden heran, um Angelegenheiten von besonderem Interesse für ihre Gemeinden zu bewirken. Angesichts der Entwicklungen in der Labour Party, hat das britische Judentum jetzt die Herausforderung angenommen sich mit dem Antisemitismus in der Öffentlichkeit auseinanderzusetzen. Nicht nur die Führung, sondern viele Einzelne, darunter Oberrabbiner Ephraim Mirvis, griffen den Judenhass in der Labour Party öffentlich genauso an, wie die erfolglose Art, wie ihre Führung mit den vielen Anzeigen zu Antisemitismus umgegangen ist.

[1] www.holocaustremembrance.com/working-definition-antisemitism

[2] www.cjnews.com/news/canada/canadian-government-adopts-ihra-definition-of-anti-semitism

[3] https://ejpress.org/czech-parliament-and-moldova-adopt-ihra-definition-of-anti-semitism/

[4] ebenda

[5] ebenda

[6] https://mfa.gov.il/MFA/PressRoom/2019/Pages/Israel-welcomes-the-acceptance-of-Portugal-as-a-full-member-of-IHRA-4-December-2019.aspx

[7] cyprus-mail.com/2019/12/18/cabinet-approves-anti-semitism-definition/

[8] Persönliche Kommunikation mit Mark Weitzman

[9] www.adl.org/news/press-releases/adl-global-survey-of-18-countries-finds-hardcore-anti-semitic-attitudes-remain

[10] https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2019-young-jewish-europeans_en.pdf

[11] www.ajc.org/AntisemitismSurvey2019

[12] jpost.com/Opinion/The-UN-antisemitism-reports-achievements-and-shortcomings-604288

[13] www.churchofengland.org/sites/default/files/2019-11/godsunfailingwordweb.pdf

[14] www.theguardian.com/world/2019/nov/21/church-of-england-says-christians-must-repent-for-past-antisemitism

[15] http://fathomjournal.org/wp-content/uploads/2019/03/Institutionally-Antisemitic-Report-embargoed.pdf

[16] http://www.whitehouse.gov/presidential-actions/executive-order-combating-anti-semitism/

[17] http://www.jewishvirtuallibrary.org/anti-bds-legislation

[18] http://www.dw.com/en/german-parliament-condemns-anti-semitic-bds-movement/a-48779516

[19] www.lepoint.fr/politique/antisemitisme-antisionisme-l-assemblee-valide-le-texte-lrem-dans-la-douleur-03-12-2019-2351304_20.php

[20] www.tweedekamer.nl/kamerstukken/detail?id=2019Z22215&did=2019D46104

[21] www.equalityhumanrights.com/en/inquiries-and-investigations/investigation-labour-party

[22] http://www.equallyours.org.uk/ehrc-legal-action-against-bnp/

[23] http://www.jpost.com/Diaspora/Antisemitism/Robert-Kraft-names-new-executive-director-of-Foundation-To-Combat-Anti-Semitism-603864

[24] www.timesofisrael.com/ronald-lauder-pumps-25-million-into-fight-against-anti-semitism-in-politics/

 

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Autor: Dr. Manfred Gerstenf
Bild Quelle:


Dienstag, 24 Dezember 2019