Salafistische Terrorzelle in Nordrhein-Westfalen ausgehoben

Salafistische Terrorzelle in Nordrhein-Westfalen ausgehoben


Vier Männer aus Tadschikistan wurden verhaftet, weil sie Anschläge auf Einrichtungen der US-Army sowie eine islamkritische Person geplant haben sollen.

Salafistische Terrorzelle in Nordrhein-Westfalen ausgehoben

Von Birgit Gärtner

Interessanter als die Nachricht über die Verhaftung der Männer am vergangenen Mittwoch ist deren Herkunft: Tadschikistan. Die ehemalige Sowjetrepublik spielt in der öffentlichen Wahrnehmung im Zusammenhang mit islamischem Terror keine Rolle, obwohl es mindestens seit 2015 Erkenntnisse gibt, dass Tadschiken scharenweise zum Islamischen Staat (IS) ausreisen.

Laut Paderborn.de wird Azizjon B., Muhammadali G., Farhodshoh K. und Sunatullokh K. vorgeworfen, zwei US-Militärbasen ausgekundschaftet sowie einen Mordanschlag auf eine Person geplant zu haben, die sich ihrer Ansicht nach „islamkritisch in der Öffentlichkeit geäußert“ habe. Laut NRW-Innenminister Reul (CDU) wurden 13 Objekte in Düsseldorf, Siegen, Werdohl im Märkischen Kreis sowie im Kreis Heinsberg durchsucht, dabei waren 350 Polizeibeamte im Einsatz, gefunden wurden Geld und Datenträger.

Mit einem weiteren mutmaßlichen Beteiligten, dem im März 2019 verhafteten Ravsan B., sollen sie in Deutschland eine Zelle der Terrororganisation Islamischer Staat gegründet und in Verbindung mit „zwei ranghohen IS-Führungsmitgliedern in Syrien und Afghanistan“ gestanden haben.

Ärmste Ex-Sowjetrepublik

Tadschikistan ist die ärmste der ehemaligen Sowjetrepubliken und eines der ärmsten Länder der Welt; 35% der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Nur 7% der Fläche des Landes können als Ackerfläche genutzt werden, sodass laut The World Factbook der CIA 70% der Lebensmittel importiert werden müssen.

Von den etwa 9,1 Mio. dort lebenden Menschen arbeiten rund 1 Mio. im Ausland, die meisten davon (90%) in Russland. Das Geld, das sie nach Hause schicken, sichert das Überleben ihrer Familien, letztlich stabilisiert es den gesamten Staathaushalt: 2017 betrug der Anteil der Auslandsüberweisungen 35% des Bruttoinlandsprodukts. Trotz der Armut hat Tadschikistan eine der am schnellsten wachsenden Bevölkerungen Asiens.

90% der dortigen Bevölkerung ist islamisch, die meisten sunnitisch, obwohl „Tadschik“ eine andere Bezeichnung für Perser ist. Die „Tadschiken“ machen etwa 84,3% der Bevölkerung aus. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion blieben von den etwa 400.000 Russinnen und Russen nur noch rund 140.000. Von den seinerzeit etwa 15.000 Jüdinnen und Juden sind noch ca. 1000 übriggeblieben.

Laut National Coalition Supporting European Jewry (NCSEJ) wurde ein Teil der jüdischen Bevölkerung 1992 per Luftbrücke nach Israel ausgeflogen. 2008 mussten die alte Synagoge, ein koscherer Fleischerladen und einige Klassenräume dem Bau des Präsidentenpalasts weichen. 2009 spendete ein tadschikischer Geschäftsmann der jüdischen Gemeinde eine neue Synagoge in einem bereits bestehenden Objekt.

Die in Tadschikistan lebende jüdische Bevölkerung bildet sich aus bucharischen und aschkenasischen Jüdinnen und Juden. Während Letztere sich hauptsächlich während des 2. Weltkriegs auf der Flucht vor den Nazis dort niederließen, wanderten Erstere bereits ca. 600 v. Chr. in Zentralasien ein.

Eines der repressivsten Regimes der Welt

Das Land wird seit 1994 von Emomalij Rahmon regiert. Laut des 2019 von der Zeitschrift The Economist erstellten Demokratie-Index rangiert es auf Platz 160 von 167 bewerteten Staaten; direkt hinter Saudi-Arabien, vor Äquatorialguinea, Turkmenistan, Chad, Syrien, der Zentralafrikanischen Republik, dem Kongo und Nord-Korea. Im Mai 2016 wurde in einem Referendum die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten abgeschafft. Auf der „Rangliste der Pressefreiheit“ von Reporter ohne Grenzen (RoG) rangiert Tadschikistan auf Platz 161 von 180 untersuchten Staaten.

Nachdem sich die ehemalige Sowjetrepublik 1991 als „Tadschikische Sozialistische Sowjetrepublik“ für unabhängig erklärt hatte, versank das Land im Bürgerkrieg, der bis 1997 andauerte und mit einem Friedensvertrag in Moskau am 27. Juni 1997 beendet wurde.

Damals wurde die Vereinigte Tadschikische Opposition (VTO) zweitstärkste Kraft hinter der linken, pro-sowjetischen Volksdemokratischen Partei Tadschikistans. Teil der VTO war die Partei der Islamischen Wiedergeburt (PIW) oder auch Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IRPT).

Obwohl auch Präsident Emomalij Rahmon praktizierender Muslim ist, der seine Pilgerreise nach Mekka absolvierte, wurde die Partei aufgrund der Einstufung des Obersten Gerichtshofs des Landes wegen eines versuchten Staatsstreiches als terroristisch verboten. Die Gruppe soll Schätzungen zufolge bis zu 40.000 Anhänger gehabt haben.

2018 wurden vier Radfahrer aus der Schweiz, den USA und den Niederlanden bei einem islamistischen Anschlag in Tadschikistan getötet. Die Täter seien mit einem Auto in die Gruppe gefahren und hätten anschließend mit dem Messer auf die Ausländer eingestochen.

Obwohl sich der IS zu der Tat bekannte, wurden laut Amnesty International anschließend

„Mitglieder der verbotenen Oppositionspartei Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IRPT) nach Anklagen wegen Terrorismus in extrem unfairen Geheimverfahren zu langen bzw. lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

Vorwürfe, sie seien gefoltert worden, um ‚Geständnisse‘ zu erzwingen, wurden nicht wirksam und unparteiisch untersucht. Rechtsanwälte, die IRPT-Mitglieder vertraten, mussten mit Schikanen, willkürlicher Inhaftierung, strafrechtlicher Verfolgung und langen Haftstrafen aufgrund politisch motivierter Vorwürfe rechnen.“

Mit dem Referendum im Mai 2016 wurde auch die Religionsfreiheit weitestgehend eingeschränkt, auf Religion und Atheismus basierende Parteien wurden verboten, ebenso das Missionieren.

Bekenntnis zur Demokratie – vorbehaltlich der Scharia

Die Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IRPT) galt im Westen als „gemäßigt“. Angesichts dessen stellt sich die Frage, was in diesem Zusammenhang „gemäßigt“ heißt. In der Publikation „Islam in Tadschikistan“ , herausgegeben im März 2015 von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schreibt die Autorin Andrea

„Mit Muhiddin Kabiri wurde (2006, Anm. d. Verf.) ein junger Seiteneinsteiger zum Vorsitzenden gewählt, der die von Nuri vorgegebene Modernisierung konsequent weiterführte. Im Gegensatz zum Gros des Nahzat (IRPT, Anm. d. Verf.)-Führungspersonals war Kabiri nicht in den Bürgerkrieg involviert; er besitzt eine säkulare Ausbildung und tritt für eine Entkoppelung von Religion und Politik ein. Unter seiner Führung hat sich die Nahzat zu einer parlamentarischen Partei entwickelt, deren Programm geradezu ‚postislamistisch‘ anmutet. (…)

Die Statuten vermitteln das Bild einer bürgerlichen Volkspartei, die sich zu freiheitlichen und demokratischen Prinzipien (Gewissens- und Meinungsfreiheit, Mehrparteiensystem, freie Wahlen) auf der Grundlage islamischer Wertvorstellungen bekennt, diese jedoch nicht gegenüber anderen Überzeugungen verabsolutiert, sondern dem nationalen Interesse unterordnet.

Die islamistische Prägung der Nahzat, die in der Außendarstellung beinahe unsichtbar wird, kommt im Parteialltag dennoch zum Tragen. Sie besteht darin, dass die Trennlinie ‚zwischen dem, was islamisch ist, und dem, was es nicht ist‘, sowohl bei der internen Selbstbeschreibung als auch bei der Beschreibung der Gegner eine zentrale Rolle spielt.“

Genau das ist die Crux, die vom Westen nicht verstanden wird: Das Bekenntnis zu Demokratie und Verfassung – vorbehaltlich der Scharia. Da kaum jemand begreift, wie weit die Scharia, das islamische Normen-, Werte- und Rechtssystem, in den Alltag und das Leben eines jeden Muslims und einer jeden Muslimin eingreift, wird der Zusatz geflissentlich überhört.

Die katastrophale Menschenrechtslage in Tadschikistan führt dazu, dass Betroffene im Westen Asyl bekommen, oder aber zumindest nicht abgeschoben werden, solange ihnen in ihrem Herkunftsland drakonische Strafen drohen.

2015 bezeichnete Marcus Latton in der Jungle World die Parlamentswahlen als „Zäsur“ weil „mit den Kommunisten und der Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans die einzigen wirklichen Oppositionskräfte nun nicht mehr im Parlament vertreten sind“. Die „Angst, dass junge Menschen sich radikalisieren und islamistische Kämpfer über die nur schlecht gesicherte Grenze aus Afghanistan nach Tadschikistan gelangen könnten, wird aus innen- und außenpolitischen Gründen instrumentalisiert“, um repressive Maßnahmen durchzusetzen, schrieb Latton weiter.

Nach Jahrzehnten sowjetischer Säkularisierung spielt der Islam wieder eine größere Rolle im Leben der Menschen“, zitierte er Edward Lemon, der an der University of Exeter zu Tadschikistan forscht. „Nur wenige tadschikische Muslime haben sich so radikalisiert, dass sie im Namen der Religion zu den Waffen greifen. Die meisten Tadschiken lehnen Gewalt nach den Erfahrungen des blutigen Bürgerkriegs ab.“

Diese Prognose ist so blauäugig wie falsch. Denn schon 2015 war bekannt, dass sich Kämpfer aus Tadschikistan dem Islamischen Staat angeschlossen haben. Bis zu 4.000 Anhänger aus Zentralasien soll die Terrororganisation schon damals gehabt haben – mit steigender Tendenz. Laut Fergana.news ließ sich bereits 2016 „ein verstärkter Zustrom von Tadschiken zum IS beobachten“. Demzufolge sind

„die bekanntesten Tadschiken in den Reihen des IS vor allem zwei Personen: der (…) ‚Kriegsminister‘ Chalimow sowie Todschiddin Nasarow, der auch unter seinem arabischen Kampfnamen Abu-Osama Noraki bekannt ist. (…) Noraki [schreibt sich] die Organisation zweier Terrorakte in Schweden und Tadschikistan zu.

Im April 2017 kontaktierte er den in Schweden lebenden usbekischen Staatsangehörigen Rachmat Akilow und überzeugte ihn, mit einem Lieferwagen in eine Menschenmenge im Zentrum von Stockholm zu fahren. Während der Attacke, bei der er fünf Menschen tötete und 15 weitere schwer verletzte, hielt Akilow Kontakt zu seinem Anstifter und schickte ihm online Videos der Tat. Im Sommer 2018 verurteilte ein schwedisches Gericht den Terroristen zu lebenslanger Haft.“

Noraki soll auch für den erwähnten Anschlag auf die Radfahrer in Tadschiksitan verantwortlich sein. Laut Fergana.news teilte im November 2018

„das Komitee für Nationale Sicherheit Tadschikistans mit, dass in den letzten Jahren ungefähr 1900 tadschikische Staatsangehörige nach Syrien und in den Irak ausgereist seien, um an Kampfhandlungen auf Seiten des IS teilzunehmen. Mehr als 1700 von ihnen sind zur Fahndung ausgeschrieben. Unter ihnen seien auch Frauen, Kinder, Eltern und andere Verwandte der Kämpfer.“

Es wäre also kein Wunder, wenn sich herausstellen würde, dass auch Azizjon B., Muhammadali G., Farhodshoh K., Sunatullokh K. und Ravsan B. auf der tadschikischen Fahndungsliste stünden.

 

MENA Watch -


Autor: MENA Watch
Bild Quelle:


Freitag, 17 April 2020