Totalitarismus - der Silberstreif am Horizont

Totalitarismus - der Silberstreif am Horizont


„Ein Blick in die Geschichte des Totalitarismus in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts berechtigt zur Warnung vor Neuauflagen totalitärer Tendenzen in der Gegenwart. Eine neue Kolumne von Leonid Luks, Prof. em. für Mittel- und Osteuropäische Zeitgeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, legt diese Schlussfolgerung nahe.“

Totalitarismus - der Silberstreif am Horizont

Von Gastautor Josef Hueber

„Was geschehen ist, wird wieder geschehen / was man getan hat, wird man wieder tun“ verkündete einst Kohelet, alttestamentarischer Prophet in der für ihn typischen Schwere seiner Erfahrungen. Seine Weisheit will keine Vorlage für die Geschichtswissenschaft sein, um die Frage nach einer möglichen Wiederholung historischer Vorgänge zu bejahen. Aber die gegenwärtig nicht selten geführte Diskussion der Frage, ob wir uns in einer Neuauflage der 30er Jahre befinden, zeigt gleichwohl, dass Ähnlichkeiten zwischen Vergangenheit und Gegenwart mancherorts wahrgenommen werden und nicht a priori als unsinnig abgetan sein wollen. Das bei Gedenktagen an antisemitische Verbrechen stets heraufbeschworene „ Nie wieder!“ und die dabei stets betonte Verantwortung für die Zukunft ergeben nur einen Sinn, wenn die Gefahr vom Wiederaufleben historischer Gegebenheiten nicht per se von der Hand zu weisen ist.

Leonid Luks hat das Phänomen Totalitarismus analysiert. „Das Zeitalter der Unterwürfigkeit?“, so der Titel seiner jüngsten Kolumne, analysiert die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewachsenen totalitären Systeme des Nationalsozialismus und des Kommunismus, ihre unterschiedlichen Entstehungsbedingungen, aber auch ihre gemeinsame ideologische Verfasstheit und Ausrichtung. Sich dabei abzeichnende Parallelen im gegenwärtigen Deutschland sind auf beunruhigende Weise erkennbar, wenngleich dies nicht die expressis verbis geäußerte Absicht des Autors war.

Merkmale des Totalitarismus

(Die Wiedergabe der zentralen Aussagen erfolgt in thesenhafter Form. Wörtliche Formulierungen sind als Zitate kenntlich gemacht.)

These 1: „Zum Wesen des totalitären Denkens gehört die Diskursverweigerung mit Andersdenkenden.“

2016 erscheint in der ZEIT unter der Rubrik „Katholische Kirche“ der Titel „Keine Nächstenliebe mit der AfD“ . Und im Untertitel: „Die katholische Kirche verweigert der AfD den Dialog.“ Im weiteren Textverlauf heißt es: „Deshalb hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken Parteivertreter kürzlich vom Katholikentag ausgeladen.“

Der Schwarzwälder Bote v. 5.5.2017 berichtet von einem Treffen der IG Metall zum Thema Arbeitszeitgestaltung. Der Erste Bevollmächtigte des IGM-Bezirks habe wissen lassen, „ für die IG Metall sei die AfD kein demokratischer Gesprächspartner.“

Eine gelegentliche Mitverfolgung von Debatten im Bundestag bei der Auseinandersetzung mit der einzigen (realen) Opposition ist anschaulichstes Beispiel für Diskursverweigerung.

These 2 : „Totalitäre Ideologien linker und rechter Provenienz (…) basierten im Wesentlichen auf Verschwörungstheorien.“

War Hitlers Judenhass getrieben von der Theorie des verderblichen „Weltjudentums“, so sahen die Kommunisten ihren Feind im „allmächtigen Finanzkapital“.

ZEIT Online v. 12. Sept. 2017 zitiert den damaligen Außenminister Sigmar Gabriel mit der Aussage, er sei „wehmütig und traurig“gewesen bei dem Gedanken, „dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass, wenn ich wieder in den Bundestag komme, zum ersten Mal nach 1945 im Reichstag am Rednerpult echte Nazis stehen.” Und noch eins obendrauf: „Nazis zu wählen, dafür gibt es keine Entschuldigung.”

These 3 : Der moderne Mensch zeigt einen „ erstaunlichen Hang zum Konformismus, ja zur Unterwürfigkeit.“

Diese These entnimmt Luks dem Roman „Leben und Schicksal“ des russischen Schriftstellers Wassili Grossman. Dieser porträtiert den „ Siegeszug der totalitären Regime“ und das willige Einverständnis der Menschen, bis hin zu einer „ grenzenlosen Unterwürfigkeit.“

Zur Bestätigung: Goebbels sprach in einer Rede von dem sicheren „Instinkt“ des deutschen Journalisten für die „Aufgaben, die ihm in den kritischen Situationen erwuchsen und entstanden“ – also davon so zu schreiben, dass es für das Regime nützlich und genehm war.

Norbert Bolz, u.a. Professor für Medienwissenschaften an der TU Berlin, berichtet über Erfahrungen von Autritten in den öffentlich-rechtlichen Medien: „ Wenn Sie zu Frau Merkel oder zu Anne Will wollen, werden Sie vorher gecastet, also getestet, was Sie denn sagen zu bestimmten Themen und was man von Ihnen erwarten darf. Und wenn Sie nicht genau das sagen, was in die Sendung passt oder was ins Regierungsprogramm passt, dann wird man sie nicht einladen.

These 4: Der Triumph des Totalitarismus beruhte auf dessen „ moralisierender Attitüde“ (Grossmann), wonach alles Tun, auch das Unmoralischste, als „Erlösungswerk“ (Luks) umgedeutet wurde.

Der Begriff der „Erlösung“, religiös konnotiert, setzt Schuld voraus. Ist es nicht zu beobachten, wie Fragen sowohl der individuellen, wie auch der gesamtgesellschaftlichen Lebensgestaltung im Rahmen einer kategorischen Gesinnungsethik längst zu moralischen Fragen mutiert sind? Wo Zustimmung oder Ablehnung des Einzelnen über Gut und Böse entscheiden, wo die geforderte Verantwortung für das große Ganze nur mit der Zustimmung zum Gesamtwillen möglich ist? Dies betrifft Fragen der Ernährung, der Urlaubsgestaltung und des damit verbundenen Reiseverhaltens, des individuellen Genussverhaltens ( z.B. Rauchen/ Fleischverzehr) und vieles mehr, was in einer freiheitlichen Gesellschaft der Eigenverantwortung zugesprochen werden muss, aber zunehmend unter Rechtfertigungszwang steht.

Licht am Ende des Tunnels?

Luks stellt die Frage: „Kann man totalitäre Fanatiker mit rationalen Argumenten überzeugen?“ Seine Antwort ist pessimistisch (oder nur sehr vorsichtig optimistisch) hinsichtlich einer denkbaren Gesinnungsänderung, da totalitär Denkende den „ bürgerlichen Rationalismus“ sowie die „ bürgerliche Objektivität“ ablehnen und als „ Dekadenz“ und „Heuchelei“ zurückweisen. Sie alleine, so glauben sie nämlich, kennten das „einzig gültige Welterklärungsmodell“.

Der „ Ausbruch“ aus diesem intellektuellen Echoraum ist nach Luks nur für den möglich, der ein „sensibles Gehör“ hat für das Gewissen, geformt von der „jüdisch-christlichen Ethik“, die „der größte Widersacher des Totalitarismus“ ist. Allerdings: „ Diese Idee zu akzeptieren, bedeutet für die totalitäre Ideologie, sich selbst aufzugeben.“

Alternativlos – der skeptische Blick

Die Lehre aus der Geschichte kann nur sein, Totalitarismen zu erkennen, ihren Vertretern zu widerstehen und sich von ihren neuen Gesichtern und Phrasen nicht täuschen zu lassen. Denn im Kern sind die Anhänger des Totalitarismus sich und ihren Prinzipien stets treu geblieben.

 

Vera Lengsfeld, Publizistin, war eine der prominentesten Vertreterinnen der demokratischen Bürgerrechtsbewegung gegen die "DDR"-Diktatur, sie gehörte 15 Jahre dem Deutschen Bundestag als Abgeordnete der CDU an. Sie publiziert u.a. in der Achse des Guten und in der Jüdischen Rundschau.


Autor: Vera Lengsfeld
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Sonntag, 14 Juni 2020