Kommentar von Dr. Nathan Warszawski: Deutsche Christen und die Diasporajudenfreunde

Kommentar von Dr. Nathan Warszawski:

Deutsche Christen und die Diasporajudenfreunde


Deutsche Christen und die Diasporajudenfreunde

Zu Anfang des zweiten Drittels des letzten Jahrhunderts entstanden in der Evangelischen Kirche Deutschlands neben der „Bekennenden Kirche“ die „Deutschen Christen“, deren Ziel es war, alles Jüdische aus dem evangelischen Christentum zu verbannen. Mit dem Ende des Nationalsozialismus verloren beide Organisationen an Bedeutung, die Deutschen Christen tauchten unter. Zwei Generationen nach der militärischen Niederlage Nazi-Deutschlands, rechtzeitig zur 500. Jahrfeier der Luther-Reformation, dringt das dunkle Gedankengut der Deutschen Christen von der Tiefe der Kirchenkeller ans Licht der Öffentlichkeit. Ging es den Deutschen Christen in der Nazi-Zeit darum, die Juden zu eliminieren, so hat heute das Ziel eine Erhöhung erfahren: Es geht um die Liquidierung des Staates Israel!

Der evangelische Pfarrer†nnenverband hat hierzu einen wertvollen Artikel veröffentlicht, dessen Inhalt ich zusammenfasse.

Das lange Original ist hier abrufbar:

http://pfarrerverband.medio.de/pfarrerblatt/index.php?a=show&id=3030

Der Titel lautet:

Der Israel-Palästina-Konflikt und die Befreiung der Theologie. Vom Nationalgott zum Herrn der Welt und aller Völker.

Kurzfassung:

Israel steht einem Frieden im Nahen Osten im Wege. Der Autor plädiert deshalb für eine Befreiung der evangelischen Theologie von ihren jüdischen Wurzeln.

Christen sind philosemitisch eingestellt und übersehen das Recht der einheimischen Palästinenser. Die Gründung des Staates Israel war Unrecht, welches nicht durch den Holocaust relativiert wird. Die Erinnerung muss ungeteilt sein und allen gelten: Opfern und Tätern des Holocaust, Opfern und Tätern der Gründung Israels, Opfern und Tätern der israelischen Politik.

Israel stilisiert seine Abwehr gegen den Widerstand der Palästinenser als Kampf gegen den Terrorismus mit dem Recht auf Selbstverteidigung. Hat der Eindringling und Räuber, der der eingesessenen Bevölkerung das Land nimmt und auf deren gewaltsamen Widerstand stößt, ein Recht auf Selbstverteidigung? Die Palästinenser sind Opfer von Opfern. Der Zionismus ist eine Ideologie von Opfern. Solange der Holocaust die Mehrheit der Juden bestimmt, dominiert die Opfermentalität im jüdischen Selbstverständnis.

David Ben Gurion wollte von vornherein ein jüdisches Groß-Israel. Sein Ziel war nicht die Teilung des Landes mit den Palästinensern. Ben Gurion: „Das Land wurde uns von Gott versprochen. Aber warum sollte es die Araber interessieren? Unser Gott ist nicht der ihre.“

Es sind zwei Hindernisse, die dem Frieden zwischen Israel und den Palästinensern im Wege stehen: die Verdrängung der historischen Wahrheit und der religiöse Anspruch auf Israel.

In Israel sind etwa 20% der Bevölkerung Palästinenser. Sie sind Bürger minderen Rechts. Sie werden in Sozialleistungen und im Bildungsbereich benachteiligt, ihre Olivenbäume werden ausgerissen. Palästinenser sind Kollektivstrafen und Folter ausgesetzt.

Seit dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 sind religiöse Parteien in wechselnden Koalitionen in allen Regierungen vertreten. Für sie ist die Verwirklichung der biblischen Überlieferungen mit der Schaffung von Groß-Israel unabdingbar Gottes Gebot.

Israelis verbrauchen Wasser, das ihnen nicht gehört. Die fortgesetzte völkerrechtswidrige Siedlungspolitik zielt auf die Vertreibung der Palästinenser. Die nationalreligiösen Siedler wollen keinen Frieden, sie verstehen sich als Werkzeug des göttlichen Heilsplans. Menschenrechtsverletzungen an den Palästinensern werden im Gehorsam gegen Gott bewusst verübt.

Die Rheinische Synode glaubt, in der Errichtung des Staates Israel ein Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk zu sehen. Wir deutsche Christen können unsere unsägliche Schuld gegenüber der Judenheit nicht dadurch theologisch kompensieren, dass wir in einem jüdischen Staat Israel ein Zeichen der Treue Gottes sehen, das seinerseits Hunderttausende unschuldige Menschen zu Opfern macht. Indem Israel wie die anderen Völker sein will, gibt es seine besondere Berufung an Gott zurück. Wie könnte Israel, das seine Existenz der Befreiung aus staatlicher Gewaltherrschaft in Ägypten durch Gott verdankt, seine Identität als ein Staat verwirklichen und sichern wollen? Die Erklärung der Rheinischen Synode, im Staat Israel ein Zeichen der Treue Gottes zu sehen, ist ein theologisch fragwürdiger Versuch, Schuld zu kompensieren. Der Glaube an Gott kann nicht durch staatliche Gewalt gesichert werden. Die Besonderheit des jüdischen Volkes mit seinen großen universalen Traditionen und ihrer Hoffnung auf Gottes Schalom für Israel und die Völker verträgt sich nicht mit einem eigenen Staat, wie sie den anderen Völkern eigen ist. Als Staat soll Israel wie die anderen Staaten sein, demokratisch und säkular. Als Volk Gottes darf es nicht wie die anderen Völker sein.

Mit dem Monotheismus ist die Stammesgesellschaft überwunden. Gott ist der Gott aller Menschen und Völker. Gott ist auch nicht mehr auf ein Land bezogen, kein Landbesitzer. Gott gehört die ganze Erde. Was in der Frühzeit Israels keineswegs Realität war, die Vertreibung und Ermordung der Ureinwohner Kanaans, ist für Palästinenser blutige Realität. Wer die Bibel im vermeintlichen Gehorsam gegen Gott fundamentalistisch liest, missbraucht sie. Die Landverheißungen wollen auf die universalen Traditionen hin gelesen werden als Auftakt zu Gottes universalem Heilshandeln an allen Völkern. Mit dem Verlust seiner Staatlichkeit wurde Israel herausgefordert: Gott hat sein Volk herausgeführt aus der nationalreligiösen Gefangenschaft. Das Exil und die Diaspora sind keine gottlosen Orte. Heimat und Mittelpunkt der jüdischen Religion sind nun die Bibel und der Talmud. Das Judentum ist eine internationale transportable Religion geworden. Das Volk Israel hat seine Identität außerhalb des Landes Israel erfahren, im Bundesschluss am Sinai und im Exil. Im Exodus aus Ägypten hat das Volk Israel die Befreiung aus staatlicher Gewaltherrschaft erfahren, im Exil ging ihm die Befreiung aus dem nationalstaatlichen Missverständnis seines Gottesglaubens auf. Die Existenz Israels ist exterritorial begründet und von keinem Territorium abhängig.

Das jüdische Volk besteht aus israelischen Juden und Diasporajuden. Die Diasporajuden in Deutschland verstehen sich als deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens. Die Gründungsgeschichte verdankt das Volk Israel seinem Nationalgott. Mit dem Exil wird dem Volk Israel sein nationalistischer Horizont zerschlagen. Das jüdische Volk als eine ethnische Größe in ununterbrochener Kontinuität von der biblischen Zeit an ist ein Mythos. Seit dem Exil gehören der Religion des Judentums Menschen aus vielen Völkern an. Das jüdische Volk ist nicht mehr ethnisch konstituiert und auch nicht an das Land im geographischen Sinn gebunden. Es hat seine Identität in dem Bundesverhältnis mit Gott und in der Gabe und Verpflichtung der Tora auf der ganzen Erde, die des Herrn ist. Dem jüdischen Volk als Glaubensgemeinschaft entspricht dann, dass Erez Israel für die überwiegende Mehrheit der Juden nicht mehr unabdingbare Voraussetzung ist, ihren Glauben zu leben. Wer eine Synagoge in der Diaspora baut, sagt damit, dass er als Jude in der Diaspora leben will.

Die deutsche Theologie muss befreit werden aus ihrer jüdischen Gefangenschaft, aus einem partikularen und exklusiven Missverständnis Gottes zugunsten von Israel auf Kosten der Völker, aus der missbräuchlichen Vereinnahmung der Bibel für jüdische Interessen. Wir, die Christenheit, verdanken Israel unaufgebbar den Glauben an den einen Gott, der das Heil aller Menschen will. Durch den Juden Jesus sind wir aus der Völkerwelt zu Seiteneinsteigern in das Gottesvolk geworden, das seither geteilt ist und zwei verschiedene Wege geht: die Juden in der Berufung auf die Tora und die Christen in der Berufung auf das Reich Gottes. Die jüdische nationalreligiöse Rechte und mit ihr viele vermeintliche christliche Freunde Israels sind der Auffassung, dass um der Heiligkeit des Landes willen Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts geboten sind. Sie verleugnen die Universalität Gottes und die Heiligkeit eines jeden Menschen. Gott ist kein Nationalgott und kein Staatsgott. Gott ist der universale Gott. Keine Gabe Gottes, nicht die Tora und nicht Israel, steht über der Heiligkeit des Menschen. Keine Gabe Gottes und kein Gebot Gottes kann die Vertreibung, Verletzung oder gar Tötung auch nur eines einzigen Palästinensers rechtfertigen. Wo in der vermeintlichen Berufung auf die Bibel auch nur ein einziger Palästinenser verletzt oder gar getötet wird, wird die Bibel missbraucht, das Land zum Götzen und Gott gelästert. Wo Christen einseitig für Juden und Israel Partei ergreifen, machen sie Gott zum Parteigänger und Komplizen. Der Staat Israel in den sicheren Grenzen vor 1967 und ein lebensfähiger Palästinenserstaat sind ein Gebot der Vernunft und des Friedens.

 

-- -- Ende der kurzgefassten Blasphemie -- -- --

 

Der Vorstand des evangelischen Pfarrer†nnenverbandes, der den Artikel veröffentlicht hat, hat sich zu folgender Stellungsnahme hinreißen lassen.

http://pfarrerverband.medio.de/meldungen/meldungen.html

Ich zitiere daraus:

„Der Verbandsvorstand betont nachdrücklich, dass alle im Deutschen Pfarrerblatt veröffentlichten Artikel ausschließlich die Meinung des jeweiligen Verfassers wiedergeben und weist alle Versuche zurück, den Verband auf die inhaltliche Position des in der Öffentlichkeit und in den Medien heftig diskutierten Artikels von Jochen Vollmer festzulegen.“

 

-- -- -- Ende der Stellungsnahme des evangelischen Pfarrer†nnenverbandes -- -- --

 

Lassen Sie den Artikel und die Stellungsnahme wirken. Ich werde nicht auf ihn eingehen, um ihn zu widerlegen. Es ist sinnlos, gegen eine Hetzschrift rational zu argumentieren. Zudem ist es nicht die Aufgabe eines Juden, evangelische Christen, die den Glauben an ihren Gott verloren haben, zur christlichen Religion zurückzuführen, auch wenn die Apostaten der Meinung sind, dass ihnen dieses Recht zusteht.

Das evangelische Pamphlet ist ein Versuchsballon, der die Stimmung unter den Evangelischen Christen sondiert, um Ressentiments gegen Israel und Juden zu schüren. Das Papier reiht sich stufenlos in Schriften ein, die zu den Ereignissen in Manhattan, Oslo und Eilat führten. Die Theologie wird missbraucht, um von eigenen Vergehen abzulenken. Die Theologie wird gebraucht, um den Schein des Guten zu verbreiten und um von der Justiz verschont zu bleiben.

Offensichtlich ist die Unterstützung des evangelischen Pfarrer†nnenverbandes, von dem sich die meisten evangelischen Pfarrer†nnen gegen Entgelt vertreten lassen.

(http://pfarrerverband.medio.de/download/pfarrerverband_satzung.pdf).

Vielen Lesern wird die Satzung bekannt vorkommen …

Das Pamphlet kommt zu einer Zeit, in der der Einfluss der Evangelischen Kirche in Deutschland schwindet, im Nahen Osten verschwindet. Während es in Deutschland schon heute mehr bekennende Muslime als bekennende Protestanten gibt, wird mit der Unabhängigkeitserklärung eines Palästinenserstaates, den die Evangelische Kirche zu ihrer Erlösung herbeisehnt, der allerletzte arabische Christ das „befreite“ Gebiet fluchtartig verlassen. Um Israel zu schaden, ist dem deutschen evangelischen Christen kein Opfer zu hoch.

Es gibt auch Stellungsnahmen evangelischer Christen gegen das Pamphlet. Ich greife die Entgegnung von Prof. Grözinger auf, der als Religionswissenschaftler an der Universität Potsdam forscht und lehrt.

http://www.spme.net/cgi-bin/articles.cgi?ID=8348

Sein bewegter Ausruf endet mit den Sätzen:

 

… spätestens dies ist der Punkt, an dem man die Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland auffordern muss, sich von diesem Text und den darin vorgetragenen ewiggestrigen Auffassungen mit allem Nachdruck zu distanzieren und diese als entgegen der Meinung der EKD zu erklären - es sei denn, man identifiziert sich damit, was allerdings das Ende jeglichen jüdisch-christlichen Dialogs bedeuten würde und einen Rückfall in unsägliche Zeiten. Dies gilt uneingeschränkt auch dann, wenn das eine oder andere politische oder historische Faktum, manches Bedenken des Autors erwägenswert ist. Aber in einem falschen Kontext wird auch die Wahrheit zur Lüge.

 

-- -- -- Ende der Entgegnung von Prof. Grözinger -- -- --

 

Wohl der ehrenwerte und frustrane Versuch, den jüdisch-christlichen Dialog am Leben zu erhalten.

 

Es bedarf keiner tiefen Einsicht und Kenntnis der christlichen Theologie, um das den gotteslästerlichen Artikel als theologischen Unsinn zu entlarven. Ich möchte hierzu beispielhaft auf die Begriffe „Diaspora“ und „Diasporajude“ eingehen.

Was versteht der Schreiber des Pamphlets unter der jüdischen Diaspora?

Die allgemein anerkannte Definition des Diasporajuden ist derjenige Jude, der seinen Lebensmittelpunkt außerhalb des an die Juden von Gott zugewiesenen Landes hat.

Der Schreiber der Blasphemie bestreitet, dass die Juden ein Recht auf das Land Israel haben. Es bestreitet nicht, dass Gott den Juden dieses Land zugesprochen hat, sondern dass die heutigen Juden damit gemeint seien. Er spricht nicht Gott das Recht ab, sein Land seinem Volk zu geben, sondern dem jüdischen Gott das Existenzrecht. Er leugnet nicht den Holocaust, sondern das Recht der Juden auf körperliche Unversehrtheit.

Der Leugner des Gottes der Juden behauptet, dass der aufgeklärte Jude keinen Bezug zum Staat Israel habe (Man beachte die ideologische Nähe zur fundamentalistischen jüdischen Organisation „Naturei Karta“). Somit wird der Begriff „Diaspora“ bedeutungsleer. Da alle Länder Gottes Eigentum und alle gleich heilig sind.

Wenn nun der Diasporajude außerhalb „Israels“ lebt und wirkt, dann kann mit „Israel“ nicht der Staat Israel gemeint sein. Bleibt: Mit Israel wird das Volk Israel bezeichnet.

Ein Diasporajude wäre dann ein Jude, der sich von der jüdischen Gemeinschaft oder vom jüdischen Glauben entfernt, wenn er eine Synagoge in der Diaspora baut, als Jude in der Diaspora leben will.

Der Diasporajude wird nur dann die göttliche Erlösung von der Diaspora erfahren, wenn der Staat Israel oder der Jude aufhört zu sein.

q.e.d.

Bleibt die rhetorische Frage, ob sich Aachener Diasporajudenfreunde mit Nähe zur Evangelischen Kirche von der Blasphemie distanzieren können? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden sie sich ähnlich verhalten wie seinerzeit während der Nakba-Ausstellung, die ebenfalls unter dem Schutz der Evangelischen Kirche gedieh.

Selbst jüdische Atheisten sehen in der Gründung Israels ein Wunder. Von solch einer göttlichen Erleuchtung sind der Schreiber der Blasphemie, seine Adepten und seine Apologeten ausgeschlossen. Ob Diasporajuden und Diasporajudenfreunde an der Erleuchtung Anteil haben, bleibt einem weiteren Artikel vorbehalten zu klären.

 

Dr. Nathan Warszawski ist der jüdische Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Aachen, er veröffentlicht u.a. bei haOlam.de und der Achse des Guten.

 

Dr. Nathan Warszawski bei haOlam.de:

 

 

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Autor: haolam.de
Bild Quelle:


Sonntag, 18 September 2011

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