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Deutschland und Israel: Hinter der Maske der »Staatsräson«

Deutschland und Israel: Hinter der Maske der »Staatsräson«


Die oft wiederholte Floskel, die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson, brachte dem jüdischen Staat bislang wenige Vorteile, aber viele Nachteile.

 Deutschland und Israel: Hinter der Maske der »Staatsräson«

Von Stefan Frank

Deutschland hat, wie Mena-Watch als einer der Ersten berichtete, seit März keine Kriegswaffen mehr an Israel geliefert. Deutlicher kann die deutsche Bundesregierung nicht zeigen, dass sie Israel ein Recht auf Selbstverteidigung nur innerhalb von Grenzen zubilligt, die in Berlin gesteckt werden. Einen Sieg über die genozidalen Terrorgruppen, der die Voraussetzung für Frieden wäre, soll Israel nicht erzielen dürfen. Ginge es nach den Regeln von Außenministerin Annalena Baerbock, dann wäre das Spiel seit März abgepfiffen. 

Die oft wiederholte Floskel, die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson, hat für den jüdischen Staat bislang keinerlei Vorteile gehabt. Dafür aber viele Nachteile. Israels Feinden ist sie ein nützliches Werkzeug, um zu behaupten, deutsche Außenpolitik sei proisraelisch und von sachfremden Gründen geleitet statt von Vernunft, ein »kritikloser Schulterschluss mit mutmaßlichen Kriegsverbrechern«, wie der Lobbyist Michael Lüders in Jakob Augsteins Wochenzeitung Freitag schreibt. Das Strohmannargument, wegen der angeblichen Staatsräson sei in Deutschland keine Kritik an Israel erlaubt, darf da nicht fehlen.

Wie alle Lippenbekenntnisse erfüllt die Behauptung der »Staatsräson« einen taktischen Zweck. Sie fungiert als eine Art Ausweis. Wer ihn vorzeigt, gilt als Freund Israels. Ob das auch stimmt, ob die Worte auch durch irgendwelche Taten beurkundet werden, prüft niemand nach. 

Das gibt jenen, die diesen Ausweis besitzen, mehr Beinfreiheit, der nicht selten genutzt wird, um nach Israel zu treten. Wer ein beglaubigter Freund Israels ist, der hat jedes Recht, den Israelis Vorträge über richtiges moralisches Handeln zu halten, oder etwa nicht? Ist er als Freund Israels nicht geradezu dazu verpflichtet? Ist das nicht das, was eine wahre Freundschaft ausmacht – dass man seine Freunde in Zeitungs- und Fernsehinterviews an den Pranger stellt und ihnen vorwirft, »neue Unsicherheit und Gewalt  zu fördern«, wie Außenministerin Baerbock über Israel sagte?

Schutzjudentum?

Die Solidaritätsbekundungen bedeuten in der Praxis nichts. Die deutsche Resolutionsmaschinerie gegen Israel bei den Vereinten Nationen ist immer gut geölt. Wie Vizekanzler Robert Habeck in einer Rede vom 1. November 2023 sagte: »Während es schnell große Solidaritätswellen gibt, etwa, wenn es zu rassistischen Angriffen kommt, ist die Solidarität bei Israel rasch brüchig. Dann heißt es, der Kontext sei schwierig.«

Das hat Habecks Redenschreiber gut beobachtet. Doch ist es Habecks Parteifreundin Annalena Baerbock, die in der UNO über Israel zu Gericht sitzen lässt, und er selbst ist es, der jenem Ministerium vorsteht, das seit März keine Kriegswaffen an Israel mehr liefert. Wohl wegen des schwierigen Kontextes. Israel könnte diese Waffen ja einsetzen.

Auch dass Deutschland weiterhin mit Israels Feinden paktiert, wird gern unter den Perserteppich gekehrt. Die PLO, deren Vorsitzender der Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas ist, hat Yahya Sinwar als »großen nationalen Führer« gelobt und der Hamas ihr Beileid ausgesprochen. Zuvor hatte Abbas selbst Sinwars Vorgänger Ismail Haniyeh als »Märtyrer« bezeichnet und zum Gebet für »seine Seele« aufgefordert. Das Geld aus Berlin fließt trotzdem weiter. 

Für Israel entspringt aus der angeblichen deutschen Staatsräson also kein Nutzen. Das vermeintliche Schutzverhältnis hat eine Kehrseite, die an die Schutzjuden des Mittelalters erinnert. Waren die Juden angesichts eines Pogroms auf den Schutz des jeweiligen Herrschers angewiesen, zeigte sich, wie wenig dieser wert war. Im Herbst 1338 gab es im bayerischen Deggendorf ein Pogrom, bei dem Juden getötet und verbrannt wurden. Heute erinnert noch der Huldbrief des Herzogs, unter dessen »Schutz« die ermordeten Juden standen, an das Pogrom. In ihm verzeiht er den Tätern; sie sollen »unbehelligt« bleiben und alles geraubte Gut behalten dürfen.

Ginge es nach Annalena Baerbock, würde den Terroristen, die Israel vernichten wollen, kein Haar gekrümmt. Die Tötung Nasrallahs sei »in keinster Weise im Interesse Israels«, dozierte sie. Denn was im Interesse Israels zu liegen hat, das bestimmt allein sie. Die Sicherheit im Westjordanland wird Baerbock zufolge nicht von den monatlich fünfhundert antijüdischen Terroranschlägen bedroht, sondern von Israel. Täter-Opfer-Umkehr. Israel solle »Recht und Ordnung aufrechterhalten, anstatt sie zu gefährden«, so die Ministerin.

Zwar betont sie manchmal, wenn der Anlass traurig genug ist, »das Recht Israels auf Selbstverteidigung. Gegen die Gewalt der Hamas genauso wie gegen den Raketenterror des Irans und der Hisbollah.« Aber niemand darf bei dieser Selbstverteidigung getötet werden. Nicht einmal Nasrallah. 

Wäre es nach Baerbock gegangen, hätte Israel längst kapituliert (»Waffenruhe« nennt sie das und sprach im Juni davon, Israel dürfe »keinen endlosen Krieg« führen), und Yahya Sinwar wäre noch am Leben. 

Wird einer der Drahtzieher des größten Massenmords an Juden seit dem Holocaust ausgeschaltet, ist das in Deutschland Grund zur Trauer, Einkehr und Mahnung. Sinwars Tod könne, schrieb Tagesschau.de, »die ohnehin gespannte Lage in der Region weiter anheizen«. Ja, klar. Das war sicherlich auch das, was die Alliierten nach dem Tod Hitlers am 30. April 1945 befürchteten. Die Landung in der Normandie? Eine gefährliche Eskalation, die einen Flächenbrand entzünden könnte. Die Hinrichtung von Julius Streicher nach den Nürnberger Prozessen? Die gezielte Tötung eines Journalisten. 

Die israelische Armee hätte sich, würde sie auf Deutschland hören, zurückgezogen und der Hamas-Chef würde eine Siegesparade abhalten. So war es bislang nach jedem Krieg seit Israels Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005.

Lehren aus der Vergangenheit

Was Israel jetzt tut, ist neu. Es setzt das Friedensabkommen von Oslo um, das eine Entwaffnung der Hamas vorsieht. Artikel XIV, Absatz 3 des Interimabkommens vom 23. September 1995 lautet: »Mit Ausnahme der palästinensischen Polizei und der israelischen Streitkräfte dürfen im Westjordanland und im Gazastreifen keine anderen Streitkräfte gegründet werden oder operieren.« Im Libanon realisiert Israel die Sicherheitsratsresolution 1701, die verbindlich eine Entwaffnung der Hisbollah und ihren Rückzug hinter den Fluss Litani fordert – und an der die UNO und Deutschland achtzehn Jahre lang gescheitert sind. 

Israel wird viel vorgeworfen. Jeden Tag kommen neue Anschuldigungen hinzu. Keiner der Ankläger hat je einen Vorschlag gemacht, wie die Hamas und die Hisbollah ohne den Einsatz kriegerischer Gewalt in urbanen Gebieten unschädlich werden könnten. Nicht Israel, sondern die Terrorgruppen haben die Städte als Schlachtfeld auserkoren, obwohl es im Gazastreifen und im Libanon genügend unbewohnte Felder gibt, wo man sich zum Gefecht verabreden könnte. Aber so funktioniert Krieg leider nicht. Israel muss dahin gehen, von wo aus es angegriffen wird, mögen es auch SchulenWohn– und Krankenhäuser oder Moscheen sein, die Terroristen zur Kriegsführung missbrauchen.

Die Hamas kämpft selten mit Gewehren. Ihre bevorzugten Waffen sind Bazookas, Sprengstoff, mit dem sie Gebäude sprengt, wenn israelische Soldaten sie betreten, und Raketenwerfer, die ebenfalls ganze Gebäude zerstören können. Einem Kampf gegen eine solche Terrortruppe entsprechend sieht der Gazastreifen heute aus. Wer wird dafür verantwortlich gemacht? Israel. Es hätte ja kapitulieren können. In Rafah hat die Hamas die monatelange Verzögerung der israelischen Invasion wegen des amerikanischen Widerstands offenbar genutzt, um die ganze Stadt mit Sprengfallen zu versehen.

Die europäischen Ratgeber sagen nicht, wie man die Hamas besiegen kann, ohne dass die Bevölkerung leidet und Zivilisten sterben. Ihr Vorschlag lautet: Die Israelis sollen sich einfach damit abfinden, dass ihre Nachbarn immer wieder kommen, um sie zu töten. Aus der Shoah haben die Juden die Lehre gezogen, das nicht mehr zu tun. 

Die Bundesregierung und viele deutsche Journalisten haben freilich aus Auschwitz etwas anderes gelernt. Wie Wolfgang Pohrt schon Mitte der 1980er schrieb:

»Mit den Verbrechen, die Deutschland an den Juden und an der Menschheit beging, hat es sich eigenem Selbstverständnis gemäß das Vorrecht, die Auszeichnung und die Ehre erworben, fortan besondere Verantwortung zu tragen. Der Massenmord an den Juden verpflichte, so meint man, Deutschland dazu, Israel mit Lob und Tadel moralisch beizustehen, damit das Opfer nicht rückfällig werde.

Zwei angezettelte Weltkriege böten, so meint man weiter, die besten Startbedingungen, wenn es um den ersten Platz unter den Weltfriedensrichtern und Weltfriedensstiftern geht – frei nach der jesuitischen Devise, dass nur ein großer Sünder das Zeug zum großen Moralisten habe. Je schrecklicher die Sünde, desto tiefer die Buße und Reue, je tiefer die Buße und Reue, desto strahlender am Ende die moralische Überlegenheit.«

Israel Moralpredigten zu halten, ist deutsche Staatsräson. Die Hamas, die Hisbollah, die Huthi-Terroristen, die Palästinensische Autonomiebehörde (PLO), die libanesische Regierung und die Schlächter in Teheran ­– sie alle haben es leichter als die israelische Regierung: An sie richtet Berlin niemals Forderungen.

Fast jeden Tag sterben israelische Soldaten in Gefechten und in Hinterhalten. Zusätzlich zu den rund vierhundert Soldaten und Polizisten, die am 7. Oktober 2023 getötet wurden, sind seither über 360 israelische Soldaten im Krieg gefallen. Fast jeden Tag werden es mehr. Das wäre nicht nötig, hätte die jetzt so entrüsteten europäischen Regierungen es nicht seit den 1990er Jahren hingenommen, dass die Hamas und die Hisbollah immer weiter aufgerüstet haben. Im Libanon geschah dies buchstäblich vor den Augen der UNIFIL-Truppen, in den Palästinensischen Autonomiegebieten mit tatkräftiger Unterstützung der von Europa alimentierten UNRWA. 

Die politisch Verantwortlichen in Berlin und Brüssel haben jahrzehntelang mitgeholfen, die heutige Situation zu schaffen. Immer, wenn Israel gegen die Hamas vorging, haben sie auf die Bremse getreten. Dass die Juden und jene, die die Juden töten wollen, nicht in Koexistenz leben können, hätte von Anfang an jedem klar sein sollen. 

Die von der Hamas und Zivilisten des Gazastreifens verübten Massaker haben es auf schreckliche Weise vor Augen geführt. Die Entscheidung, die in Europa nach dem 7. Oktober zu fällen war, lautete: Stehen wir auf der Seite Israels oder auf der von den iranischen Mullahs gesteuerten und bewaffneten Achse des Terrors. Wer wie Baerbock nicht auf der Seite Israels steht, der unterstützt, ob willentlich oder nicht, jene, die den jüdischen Staat vernichten wollen. Das ist es, was das Reden von der »Staatsräson« maskieren soll.


Dieser Artikel wurde zuerst hier veröffentlicht.

Autor: MENA Watch
Bild Quelle: Stefan Kaminski, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons


Montag, 28 Oktober 2024

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