Graz nach dem Blutbad: Ein Ort der Stille, ein Land im SchmerzGraz nach dem Blutbad: Ein Ort der Stille, ein Land im Schmerz
Zehn junge Leben ausgelöscht – was bleibt, sind Blumen, Tränen und eine Frage, auf die es keine Antwort gibt.
Es ist still in Graz. Eine Stille, die schreit. Wo sonst Stimmen und Lachen durch die Flure hallten, liegt jetzt nur noch Leere. Zehn Menschen, neun von ihnen kaum älter als Kinder, wurden an einem Ort ermordet, der Schutz versprechen sollte – in ihrer Schule. Artur A., 21 Jahre alt, kehrte als Täter dorthin zurück, wo er sich einst gedemütigt fühlte. Er kam mit einer Schrotflinte, mit einer Faustfeuerwaffe – und mit einem Plan, den niemand kommen sah. Zehn Tote, elf Verletzte, ein Land in Schockstarre. Und die Erkenntnis: So etwas kann also auch hier passieren. In Österreich. In Graz.
Vor dem BORG in der Dreierschützengasse wachsen die Blumenmeere mit jeder Stunde. Kerzen flackern im Wind, Fotos, letzte Briefe, Zettel voller Liebe und Verzweiflung kleben an Zäunen. Eltern stehen schweigend da, Arm in Arm, unfähig zu begreifen. Jugendliche hocken auf dem Boden, die Köpfe in den Händen vergraben. Der Ort ist kein Schulgebäude mehr – er ist Mahnmal geworden. Ein Ort, an dem Unschuld ausgelöscht wurde.
Was genau Artur A. zu dieser unfassbaren Tat trieb, werden wir nie ganz verstehen. In seinem Abschiedsbrief schreibt er von Mobbing, von Schmerz. Aber was auch immer geschehen sein mag – es rechtfertigt kein Massaker. Nichts auf dieser Welt rechtfertigt das, was an diesem Dienstag geschah. Die Polizei bestätigte, dass der Täter eine Rohrbombe in seiner Wohnung deponiert hatte – funktionsunfähig, ein Symbol für den zerstörerischen Wahn, der ihn beherrschte. Vor dem Angriff schickte er ein Abschiedsvideo an seine Mutter. Dann betrat er seine alte Schule – und eröffnete das Feuer.
Er sprengte die Türen auf, schoss gezielt, tötete mit eiskaltem Kalkül. Die Einsatzkräfte waren schnell vor Ort, die Cobra rückte an, doch die Tat war da längst vollendet. Nach nur neun Minuten betraten die ersten Sanitäter das Gebäude. Was sie sahen, lässt sich kaum in Worte fassen. Jugendliche, getroffen im Klassenzimmer, auf dem Boden liegend, blutend, sterbend. Eine Lehrerin, die nie wieder heimkehren wird.
Die Stadt steht still. Schwarz beflaggte Busse, leere Haltestellen. In Wien blieben die U-Bahnen für eine Minute stehen. Die Trauerglocke des Stephansdoms läutete für Graz, für die Opfer, für die, die überlebt haben – aber nie wieder dieselben sein werden. Ganz Österreich trauerte um 10 Uhr gemeinsam. Wer an diesem Morgen durch die Straßen ging, spürte es: Das war kein stilles Gedenken. Es war ein kollektiver Schrei.
In der Helmut-List-Halle versammelten sich Lehrer, Schüler, Angehörige. Viele schwarz gekleidet, viele stumm, viele weinend. Kriseninterventionsteams leisten Unvorstellbares. Sie halten, was kaum zu halten ist. „Wir sind da für euch“, sagt einer der Helfer. Es ist ein Satz, so schlicht, so dringend nötig. Denn was soll man sagen, wenn Worte versagen?
Auch das öffentliche Leben passt sich der Fassungslosigkeit an. Veranstaltungen wurden abgesagt, Preisverleihungen verschoben, Festivals unterbrochen. Selbst das Nova Rock hielt inne. Und die Fußballnationalmannschaft widmete ihren Sieg Graz. Der Schmerz dieser Stadt hat das ganze Land erfasst.
Doch mit der Trauer kam auch die Angst. Nur Stunden nach der Tat erreichten Drohungen ein weiteres Gymnasium und den Grazer Hauptbahnhof. Die Polizei reagierte mit erhöhter Präsenz. Die Landespolizeidirektion warnt ausdrücklich vor Spekulationen – und vor der Verbreitung von Videos oder Bildern. Denn was jetzt zählt, ist Würde. Die Würde der Toten. Die der Verletzten. Die der Hinterbliebenen.
Die Namen der Opfer sind noch nicht bekannt, aber ihre Geschichten werden erzählt werden. In ihren Familien, von ihren Freunden. Von den Lehrkräften, die mit ihnen lachten und weinten. Zehn Leben, brutal ausgelöscht. Elf weitere, fürs Leben gezeichnet. Und ein Täter, der sich in einem Schulklo das Leben nahm, bevor er sich stellen musste.
Graz weint. Und mit ihm ein ganzes Land. Doch zwischen all den Tränen, dem Schmerz, der Sprachlosigkeit, bleibt ein Licht. Es flackert in jeder Kerze, die für ein Kind entzündet wurde. Es brennt in jeder Umarmung, die jetzt Halt gibt. Und es sagt: Wir vergessen euch nicht.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Symbolbild
Mittwoch, 11 Juni 2025