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London blockiert jüdisches Gedenken – wie der Bürgermeister Vertrauen verspielt

London blockiert jüdisches Gedenken – wie der Bürgermeister Vertrauen verspielt


Nach dem antisemitischen Terroranschlag von Bondi Beach wollten Juden in London trauern und Chanukka begehen. Doch ausgerechnet die Stadtspitze stellte sich quer. Der Vorgang wirft schwerwiegende Fragen über politische Verantwortung, Doppelmoral und den Zustand jüdischer Sicherheit in Großbritannien auf.

London blockiert jüdisches Gedenken – wie der Bürgermeister Vertrauen verspielt

Am zweiten Abend von Chanukka sollte auf dem Parliament Square in London ein stilles Zeichen gesetzt werden. Eine Mahnwache zum Gedenken an die jüdischen Opfer des Terroranschlags von Bondi Beach in Australien, bei dem 15 Menschen während einer Chanukka-Feier ermordet wurden. Kein Protest, keine politische Demonstration, keine Provokation. Nur Kerzen, Gebete und Erinnerung.

Doch dieses Gedenken stieß auf Widerstand. Nach Angaben von Gideon Falter, Geschäftsführer der Campaign Against Antisemitism, versuchte das Büro des Londoner Bürgermeisters Sadiq Khan, die Veranstaltung zu verhindern. Mitarbeiter der Greater London Authority erschienen vor Ort und erklärten, eine Durchführung auf dem Parliament Square sei nicht erlaubt. Die Begründung, die Falter später öffentlich machte, sorgte für Fassungslosigkeit: Das Gedenken sei „zu dunkel“.

Der Vorgang ist deshalb so brisant, weil er im direkten Widerspruch zu Khans eigenen Aussagen steht. Noch am selben Tag hatte der Bürgermeister erklärt, er werde alles in seiner Macht Stehende tun, um die jüdische Gemeinschaft Londons zu schützen. Die Polizei solle jüdische Einrichtungen und Chanukka-Veranstaltungen verstärkt absichern. Diese Worte klangen nach Solidarität. Die Realität vor Ort erzählte eine andere Geschichte.

Statt das Gedenken sichtbar zu schützen, wurde es faktisch an den Rand gedrängt. Die Metropolitan Police sperrte eine angrenzende Straße, wodurch die Veranstaltung ausweichen musste. Aus Sicht der Organisatoren war das sicherheitspolitisch widersinnig. Ein offener Platz mit klarer Übersicht hätte weniger Risiken bedeutet als eine Verlagerung in den Verkehrsraum. Doch offenbar ging es nicht primär um Sicherheit, sondern um Kontrolle.

Der Satz vom „zu dunklen“ Gedenken wirkt dabei wie ein politischer Offenbarungseid. Trauer ist dunkel. Erinnerung an ermordete Juden ist unbequem. Gerade deshalb gehört sie in den öffentlichen Raum. Wer sie dort nicht haben will, trifft eine bewusste Entscheidung darüber, welche Formen von Öffentlichkeit erwünscht sind und welche nicht.

Diese Entscheidung wiegt umso schwerer, wenn man sie in den Kontext der vergangenen Monate stellt. London erlebt regelmäßig massive Demonstrationen pro-palästinensischer Gruppen. Straßen werden blockiert, der Verkehr kommt zum Erliegen, aggressive Parolen werden skandiert. Begriffe wie „Globalize the Intifada“ sind längst Teil des Stadtbildes. Diese Aufmärsche werden genehmigt, geschützt und als legitimer Ausdruck politischer Meinung behandelt.

Ein stilles jüdisches Gedenken hingegen wird als Problem wahrgenommen. Diese Asymmetrie ist der Kern der Kritik. Sie ist nicht zufällig. Sie ist Ausdruck einer politischen Schieflage, die viele Juden in Großbritannien seit Langem beklagen.

Es geht dabei nicht um die Frage, ob Sadiq Khan persönlich antisemitisch ist. Diese Debatte greift zu kurz. Entscheidend ist die Wirkung seines Handelns. Und diese Wirkung ist eindeutig: Jüdisches Gedenken wird als störend empfunden, jüdische Trauer als Belastung, jüdische Sichtbarkeit als etwas, das besser reguliert oder eingeschränkt wird.

Genau so funktioniert moderner Antisemitismus. Nicht als offener Hass, sondern als strukturelle Verdrängung. Nicht durch Verbote jüdischen Lebens, sondern durch dessen Einschränkung im öffentlichen Raum. Nicht durch Gewalt, sondern durch Bürokratie, Verwaltung und vermeintliche Neutralität.

Politische Unterstützung erhielt die Mahnwache dennoch. Mehrere Abgeordnete erschienen, darunter Richard Tice von Reform UK und Lord Wolfson, der als Schatten-Justizminister gilt. Doch auch hier zeigte sich politische Halbherzigkeit. Die Labour-Regierung hatte angekündigt, Communities Secretary Steve Reed als Redner zu entsenden. Er erschien nicht. Erst nach Beginn der Veranstaltung ließ sein Büro ausrichten, Reed habe sich kurzfristig entschieden, eine interne jüdische Parteiveranstaltung zu besuchen.

Dieser Umgang verstärkte bei vielen Teilnehmern den Eindruck, dass öffentliches jüdisches Gedenken weniger Priorität genießt als parteiinterne Symbolik. Ein Eindruck, der Vertrauen kostet.

Die Debatte erreichte schließlich das Parlament. Die Abgeordnete Sarah Pochin schrieb einen offenen Brief an den Bürgermeister und forderte eine klare Stellungnahme. In einer Stadt, die regelmäßig durch aggressive Demonstrationen lahmgelegt werde, schulde man der jüdischen Gemeinschaft zumindest Transparenz und Respekt. Pochin verlangte eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob Khan versucht habe, die Mahnwache zu verhindern.

Parallel dazu kündigte die britische Regierung an, innerhalb weniger Tage einen nationalen Aktionsplan gegen Antisemitismus vorzulegen. Steve Reed erklärte bei einem Chanukka-Empfang der Jewish Labour Movement, antisemitische Hetze werde künftig nicht mehr toleriert. Nicht an Universitäten, nicht in Schulen, nicht auf Demonstrationen, nicht in Medienhäusern.

Doch Ankündigungen verlieren an Glaubwürdigkeit, wenn ihnen widersprüchliche Praxis gegenübersteht. Sicherheit bedeutet mehr als Polizeischutz. Sicherheit bedeutet Anerkennung. Sichtbarkeit. Das Recht, öffentlich zu trauern, ohne sich rechtfertigen zu müssen.

Der Vorfall auf dem Parliament Square ist deshalb mehr als eine Randnotiz. Er ist ein Symbol. Er zeigt, wie schnell jüdische Anliegen relativiert werden, selbst nach einem Massaker. Er zeigt, wie leicht Solidarität zur Floskel wird, wenn sie unbequem wird.

Chanukka steht für Licht in dunkler Zeit. Wenn dieses Licht im Herzen Londons als störend gilt, dann ist das kein Verwaltungsfehler. Dann ist es ein politisches Signal. Und dieses Signal wird von jüdischen Gemeinden sehr genau gehört.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: By U.S. Embassy London - https://www.flickr.com/photos/usembassylondon/30885068755/, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=110307212


Mittwoch, 17 Dezember 2025

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