Särge, Schweigen, Selbsttäuschung: Wie das iranische Regime seine Toten feiert – und die Lebenden unterdrückt

Särge, Schweigen, Selbsttäuschung: Wie das iranische Regime seine Toten feiert – und die Lebenden unterdrückt


In Teheran marschiert eine Prozession der Macht: Generäle, Wissenschaftler, Soldaten – gefallen im Krieg mit Israel. Doch unter der Inszenierung brodelt die Angst. Nicht vor dem Feind, sondern vor der eigenen Regierung.

Särge, Schweigen, Selbsttäuschung: Wie das iranische Regime seine Toten feiert – und die Lebenden unterdrückt

Es ist ein Schauspiel, das größer kaum sein kann – und entlarvender kaum sein könnte. Auf dem Revolutionsplatz in Teheran ziehen dutzende Särge vorbei, begleitet von Militärfahrzeugen, Flaggenmeeren, Trommeln und tausenden regimetreuen Stimmen, die „Tod Israel“ skandieren. Der Iran verabschiedet seine gefallenen Helden – Kommandeure, Strategen, Funktionäre. Die Welt soll sehen: Die Islamische Republik steht, trauert, trotzt.

Doch unter der Oberfläche dieses orchestrierten Leichenzugs bröckelt etwas. Hinter den martialischen Gesten, den Bildern nationaler Geschlossenheit, liegt eine Wirklichkeit, die sich nicht mehr vollständig kontrollieren lässt. Diese Beerdigung – sie ist mehr als eine Trauerfeier. Sie ist ein Spiegel des Zustands eines Regimes, das sich an der eigenen Inszenierung klammert, während es seine Bürger im Innern mit immer härterer Hand unterdrückt.

An diesem Samstagmorgen – kurz nach dem Beginn einer fragilen Waffenruhe mit Israel – hat das Regime zur zentralen Trauerzeremonie geladen. 60 Särge liegen aufgebahrt, darunter der Oberbefehlshaber der Luftwaffe der Revolutionsgarden, der Generalstabschef der Kriegsführung, iranische Atomwissenschaftler, Geheimdienstler und regimenahe Journalisten. Offiziell werden sie als „Märtyrer des Widerstands“ geehrt. Inoffiziell sind sie das Symbol einer verfehlten militärischen Eskalationsstrategie, die dem Land nichts als Zerstörung, Isolation – und Angst gebracht hat.

Ein Bild jedoch sorgt für besonderes Aufsehen: Esmail Qaani, Kommandeur der Quds-Einheit – und nach offiziellen Angaben schon zu Kriegsbeginn von Israel getötet – taucht plötzlich unter den Trauergästen auf, lebendig, lächelnd, mitten im Getümmel. Dass das Regime seine eigenen Todesmeldungen dementiert, ohne sie je wirklich zurückzunehmen, ist mehr als ein Spiel mit Fiktionen. Es ist ein kalkulierter Teil seiner Machterhaltung: Verwirrung stiften, Zweifel säen, Überlegenheit behaupten. Wahrheiten werden nicht korrigiert – sie werden ersetzt.

Auch Ali Shamkhani, hochrangiger Berater von Revolutionsführer Khamenei und bei einem israelischen Luftschlag schwer verletzt, wurde bei der Zeremonie gesichtet. Das Signal ist klar: Wir sind verwundet, aber nicht gefallen. Und doch: Die massive Präsenz der Regimetreuen und ihrer Symbolik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Druck im Innern verschärft.

Denn während auf dem Platz getrauert wird, herrscht in den Straßen Teherans ein Klima der Einschüchterung. Die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, selbst inhaftiert, spricht im Wall Street Journal von „schwereren Tagen als je zuvor“. Ihre Botschaft ist keine Anklage aus dem Exil – sie ist eine Warnung aus dem Gefängnis: Das Regime hat seine Repression gegen die eigene Bevölkerung seit Kriegsbeginn massiv ausgeweitet.

Straßensperren blockieren zentrale Knotenpunkte, zivile Fahrzeuge werden durchsucht, Handys beschlagnahmt, Wohnungen ohne Vorwarnung gestürmt. Der Verdacht auf Kontakthalten mit Israel reicht für Festnahmen, Verhöre, verschwundene Nachbarn. Das Regime kämpft nicht nur gegen äußere Feinde – es bekämpft das eigene Volk.

Die Prozession der Särge begann an der Universität Teheran, zog durch die Stadt bis zur Revolutionsplatz – vorbei an Menschen, die nicht nur trauern, sondern auch schweigen. Nicht aus Ehrfurcht. Sondern aus Angst.

Denn was heute noch ein nationaler Totenkult ist, könnte morgen zum Auslöser für Unruhe werden. Die Stimmung kippt langsam, aber spürbar. Die Generation der Protestierenden, die schon 2022 auf den Straßen „Frauen, Leben, Freiheit“ riefen, ist nicht verschwunden. Sie beobachtet, wie das Regime seine Generäle betrauert – und dabei sein Volk vergisst.

Während der Iran nach außen Härte zeigt, verliert er im Inneren seine Legitimität. Die Inszenierung der Särge mag noch wirken. Aber sie kann nicht verdecken, dass das Land vor einem tiefen Riss steht – und dass dieser Riss nicht von Israel kommt. Sondern von denen, die ihn mit Särgen füllen.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Tasnim News Agency


Samstag, 28 Juni 2025

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