Das erfundene Volk: Wie Teheran in den USA erstellte X-Konten als Sympathiemaschine missbrauchtDas erfundene Volk: Wie Teheran in den USA erstellte X-Konten als Sympathiemaschine missbraucht
Neue Analysen zeigen eine organisierte Struktur scheinbar privater X Konten, die Lob für Khamenei verbreiten. Viele davon wurden einst in den USA angelegt. Sie erzeugen eine künstliche Öffentlichkeit, die dem Regime als Instrument gegen innere Unruhe und gegen Israel dient.
Als Ali Khamenei seine jüngste Ansprache veröffentlichte, wirkte sein Auftritt konzentriert und angespannt. Er appellierte an die Bevölkerung, sparsam mit Wasser, Treibstoff und Lebensmitteln umzugehen. Viele Iranerinnen und Iraner erleben diese Knappheit bereits täglich. Kurz nach der Veröffentlichung füllten sich die Reaktionen auf X mit einheitlichen Botschaften. Sie lobten den Führer, wiederholten die gleichen Formulierungen und erschienen fast gleichzeitig. Diese Gleichförmigkeit machte deutlich, dass hier keine spontane öffentliche Reaktion entstanden war.
Eine Auswertung zahlreicher Profile zeigt, dass die vermeintlich privaten Stimmen nur wenig mit der Realität im Iran zu tun haben. Viele Profile wurden bereits vor zehn bis fünfzehn Jahren erstellt, überwiegend über amerikanische App Stores. Viele von ihnen hatten jahrelang keine Aktivität, keine Follower und keine erkennbare Präsenz. Nun treten sie erneut in Erscheinung, oft mit neuen Namen und Fotos, angeblich aus Städten wie Qom oder Mashhad. Die Plattformdaten weisen jedoch auf eine andere Herkunft hin. Durch die neue Sichtbarkeit der Registrierungsorte ist erkennbar, dass die Mehrheit dieser Konten ursprünglich in den USA entstanden ist.
Solche Profile gelten als Überreste früherer Registrierungsphasen, in denen soziale Netzwerke weniger strikte Prüfmechanismen nutzten. Dadurch erscheinen sie heute seriöser als neu erstellte Accounts, die sofort Auffälligkeiten auslösen würden. Diese Altprofile sind für Manipulationen besonders nützlich. Sie können problemlos in eine neue Identität überführt und anschließend mit regimefreundlichen Inhalten gefüllt werden. Die technische Struktur lässt sie vertrauenswürdiger wirken, als sie tatsächlich sind.
Die Methode ist nicht neu. Bereits 2018 entfernte Twitter Hunderte iranischer Konten, die sich als amerikanische Journalistinnen oder Bürger ausgaben. Auch Facebook und YouTube löschten damals vernetzte Profile mit eindeutig politischer Absicht. Während des vergangenen Konflikts zwischen Israel und Iran beschrieb ein Bericht des israelischen Diaspora Ministeriums eine große Anzahl digitaler Aktivitäten, die von iranischen Strukturen ausgingen. Viele dieser Konten sollten den Eindruck erwecken, Israel attackiere das iranische Volk und nicht die militärische Führung. Damit wollte das Regime die Bevölkerung hinter sich versammeln und Kritik an der eigenen Politik eindämmen.
Die aktuellen Konten folgen derselben Logik. Sie nutzen eine einheitliche Sprache und erzeugen innerhalb weniger Minuten den Eindruck geschlossener Zustimmung zu Khameneis Aussagen. Betrachtet man Herkunft und Muster dieser Konten, zeigt sich ein orchestriertes Vorgehen. Sie dienen als öffentliche Kulisse in einer Zeit, in der das Vertrauen in die Führung schwindet. Wirtschaftliche Engpässe, Protestbewegungen und politische Unsicherheit verstärken den Druck auf die Regierung. Das regimeeigene Narrativ einer geeinten Nation entsteht deshalb zunehmend digital und nicht mehr durch reale Zustimmung.
Dieses Netzwerk ist auch Teil eines breiteren digitalen Umfelds. Zahlreiche anonyme Profile, die Israel und den Westen kritisieren, stammen aus Drittstaaten wie der Türkei oder Pakistan. Die neuen Geolokalisierungsdaten machen diese Muster sichtbar. Viele dieser Accounts tragen persische Namen und geben vor, aus dem Iran zu schreiben, obwohl sie in anderen Staaten registriert wurden. Diese Profile dienen in regionalen Debatten als Verstärker antiisraelischer Botschaften. Die künstliche Struktur erzeugt einen scheinbaren Konsens, der mit der Realität im Iran nichts zu tun hat.
Das System ist deshalb problematisch, weil es politische Wirkung entfalten soll. In repressiven Systemen beeinflusst die Illusion öffentlicher Mehrheiten die Wahrnehmung des Erlaubten. Wenn Zustimmung im digitalen Raum künstlich erzeugt wird, entsteht ein Druck auf jene, die Kritik äußern wollen. Künstliche Einigkeit ersetzt echte gesellschaftliche Bindung. Sie schafft eine Atmosphäre, in der Zweifel als Ausnahme erscheinen sollen.
Gleichzeitig zeigt dieser Mechanismus, wie sehr das Regime um seine Stabilität fürchtet. Ein politisches System, das Zustimmung erfinden muss, besitzt sie nicht mehr selbstverständlich. Die künstlichen Stimmen ersetzen keine reale Loyalität. Sie verdecken lediglich die wachsende Distanz zwischen Bevölkerung und Führung. Der Versuch, durch digitale Mittel eine geschlossene Gesellschaft zu simulieren, zeigt die wachsenden Spannungen innerhalb des Landes.
Die Nutzung amerikanischer Plattformen als Werkzeug der eigenen Propaganda verdeutlicht zusätzlich den Widerspruch iranischer Staatspolitik. Nach außen kritisiert die Führung den Westen, während sie gleichzeitig dessen digitale Infrastruktur nutzt, um eigene Narrative zu verbreiten und Kritik zu unterdrücken. Das künstliche Netzwerk schafft kein Vertrauen. Es erzeugt nur eine Kulisse, die bei genauer Betrachtung auf instabilen Grundlagen ruht.
Wer solche Profile untersucht, erkennt schnell, dass sie nicht Ausdruck gesellschaftlicher Stärke sind. Sie zeigen vielmehr das Bemühen eines Regimes, das seine eigene Zerbrechlichkeit nicht offen zugeben kann. Die digitale Zustimmung ersetzt keine echte Öffentlichkeit. Sie sagt weniger über das Volk aus als über diejenigen, die sie erfinden müssen.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Khamenei.ir, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=141074394
Freitag, 05 Dezember 2025