Ein Kanzler sucht Klarheit: Merz setzt in Jerusalem auf Nähe, Verantwortung und deutliche SignaleEin Kanzler sucht Klarheit: Merz setzt in Jerusalem auf Nähe, Verantwortung und deutliche Signale
Der erste Staatsbesuch des deutschen Regierungschefs in Jerusalem wird zu einem Moment der Offenheit. Merz zeigt, dass Deutschland mehr sein will als ein Beobachter.
Der Besuch von Friedrich Merz in Jerusalem markiert einen Wendepunkt im Verhältnis zwischen Deutschland und Israel. Nicht, weil die Symbolik neu wäre, sondern weil der Kanzler spürbar mehr mitbringt als diplomatische Höflichkeit. Israel steht in einer Phase tiefgreifender Unsicherheit. Die Region sortiert sich nach dem Ende des Iran-Krieges neu, Gaza ist im Übergang, und die israelische Öffentlichkeit misst jedem internationalen Partner genau zu, ob er nur redet oder tatsächlich handeln will. Merz tritt in dieser Atmosphäre auf wie jemand, der begriffen hat, dass Nähe zu Israel kein politischer Luxus ist, sondern eine Verpflichtung.
Bereits beim Treffen im Präsidentenhaus wird deutlich, wie ernst beide Seiten diesen Moment nehmen. Präsident Isaac Herzog spricht mit spürbarer Wärme über die sicherheitspolitische Zusammenarbeit, besonders über die Arrow-3-Systeme, die in Deutschland stationiert werden. Für Israel ist dies mehr als ein Rüstungsprojekt: Es ist Ausdruck eines Vertrauens, das Sicherheit über Kontinente hinweg verbindet. Wenn Herzog betont, wie bewegend es sei, israelische Verteidigungstechnologie zum Schutz Europas zu sehen, dann schwingt darin eine historische Erfahrung mit, die ebenso schmerzhaft wie prägend ist.
Merz wiederum bringt die Botschaft mit, dass Deutschland sich stärker einbringen will – ganz konkret. Er spricht über die Rückführung der sterblichen Überreste des letzten israelischen Geiselsoldaten Ran Gvili, ein sensibles Thema, das zeigt: Deutschland möchte nicht nur Vermittler sein, sondern aktiv Verantwortung übernehmen. In einer Zeit, in der Israel das Verhalten vieler europäischer Staaten kritisch beobachtet, ist diese Haltung alles andere als selbstverständlich.
Der Kanzler bekräftigt zudem, was für Deutschland immer wieder neu ausgesprochen werden muss: die bedingungslose Anerkennung des Existenzrechts Israels und das Recht des Landes, sich zu verteidigen. Nach den Massakern des siebten Oktober haben diese Sätze ein anderes Gewicht. Sie wirken nicht formelhaft, sondern notwendig. Merz spricht ausdrücklich von einer „Freundschaft, die ein Wunder ist“, weil sie nur eine Generation nach der Shoah möglich wurde. Israel hört genau hin, ob diese Worte tragfähig sind. In diesem Fall wirken sie nicht antrainiert, sondern überzeugend.
Die bevorstehenden Gespräche mit Premierminister Benjamin Netanyahu sind erwartungsgemäß von Substanz geprägt. Die Wiederaufnahme militärischer Zusammenarbeit nach der teilweisen Aufhebung des deutschen Exportstopps steht im Zentrum. Ebenso der fragil gewordene Waffenstillstand im Gazastreifen, die amerikanischen Pläne für die Ordnung nach dem Krieg und die Frage, wie die internationale Gemeinschaft dazu beitragen kann, dass Terrororganisationen wie die Hamas nie wieder eine Infrastruktur der Gewalt aufbauen können. Deutschland signalisiert Bereitschaft, nicht nur zu kommentieren, sondern mitzuwirken.
Auch innenpolitische Themen Deutschlands finden ihren Platz: der besorgniserregende Anstieg antisemitischer Übergriffe und der Schutz jüdischen Lebens. Für Israel ist das kein europäisches Randthema. Es ist eine Frage, ob jene Länder, die historische Verantwortung betonen, sie auch im eigenen Land ernst nehmen. Merz will hier sichtbare Schritte gehen, und Israel registriert das genau.
Der Besuch in Yad Vashem, die Kranzniederlegung und die Begegnungen mit Angehörigen der Opfer des siebten Oktober gehören zum Protokoll eines deutschen Kanzlers. Doch jeder Schritt dort ist ein Statement. In Israel wird wahrgenommen, wer diesen Ort betritt, wie er spricht, wie er zuhört. Es ist ein Prüfstein, ob Worte über Verantwortung Substanz haben.
Auffällig ist auch der diplomatische Vorlauf: das Telefonat mit Mahmoud Abbas unmittelbar vor der Abreise. Merz fordert Reformen der Palästinensischen Autonomiebehörde, und Abbas verspricht Modernisierung der Schulbücher, Abschaffung des Prämiensystems für Terroristen und Wahlen nach dem Krieg. Israel hört solche Ankündigungen seit Jahren, doch bislang ohne Ergebnisse. Für Merz ist es ein Versuch, die politische Architektur des Tages nach dem Krieg mitzudefinieren. Für Israel zählt aber, ob Abbas’ Worte irgendwann in der Realität ankommen.
Als Merz eine „positive Entwicklung“ in Judäa und Samaria anspricht und gleichzeitig betont, die Zweistaatenposition Deutschlands sei nicht als Provokation gemeint, zeigt sich eine der sensibelsten Linien im Verhältnis beider Staaten. Israel erwartet von Partnern, dass sie die sicherheitspolitische Realität verstehen. Merz versucht, diese Erwartung ernst zu nehmen, ohne die deutsche Position zu verwässern. Herzog wiederum stellt klar, dass die Beziehung beider Länder weit enger sei, als viele Medien behaupten.
Dieser Besuch ist mehr als ein diplomatisches Treffen. Er ist ein Test für Glaubwürdigkeit in einer Zeit, in der Israel seine Partner neu bewertet. Merz hat mit klaren, ruhigen Worten deutlich gemacht, dass Deutschland nicht nur Zuschauer sein will. Jetzt wartet Israel darauf, ob dieser Kurs Bestand hat – denn Vertrauen wächst nicht durch Ankündigungen, sondern durch Taten.
Autor: Redaktion
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Sonntag, 07 Dezember 2025