Irlands politischer Blindflug verschärft den Antisemitismus und isoliert das Land kulturellIrlands politischer Blindflug verschärft den Antisemitismus und isoliert das Land kulturell
Ein früherer Justizminister warnt vor einer antiisraelischen Entwicklung in Irland. In einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen beschreibt Alan Shatter ein Klima, das jüdisches Leben zunehmend unter Druck setzt.
Die Analyse, die der ehemalige irische Justiz- und Verteidigungsminister Alan Shatter im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen zeichnet, ist eindringlich und zugleich verstörend. Er beschreibt ein Land, das sich in den vergangenen Jahren von sachlicher Kritik entfernt und einer antiisraelischen Fixierung hingegeben hat. Für Shatter ist der Ausstieg Irlands aus dem Eurovision Song Contest nur ein Symptom. Der kulturelle Boykott sei nicht Ausdruck politischer Haltung, sondern Ergebnis eines aktivistischen Drucks, der Medien, Gewerkschaften und Politik gleichermaßen prägt.
Im Zentrum seiner Kritik steht der öffentlich-rechtliche Sender RTÉ, der nach Shatters Darstellung zunehmend Zielscheibe antiisraelischer Kampagnen ist. Diese Gruppen seien nicht an einer realistischen politischen Lösung interessiert, sondern an der Delegitimierung Israels selbst. Besonders gravierend sei der Umgang mit israelischen Künstlerinnen – darunter Überlebende des Hamas-Massakers vom siebten Oktober 2023, die in Irland unter politischen Vorzeichen behandelt wurden, die mit kultureller Offenheit nichts mehr zu tun hätten. Für Shatter zeigt das eine moralische Erosion im öffentlichen Dienst und in der medialen Verantwortung.
Gleichzeitig verweist er darauf, dass die irische Bevölkerung selbst anders denkt. Die deutliche Zustimmung zu israelischen Teilnehmerinnen im Public Voting der vergangenen Wettbewerbe verdeutlicht, dass der Boykott nicht im Namen der Mehrheit stattfindet. Vielmehr hätten sich Politiker und Institutionen von einem kleinen, aber lautstarken Kreis beeinflussen lassen. Für irische Künstlerinnen und Künstler sei der Ausstieg ohnehin ein Schlag, da ihnen internationale Sichtbarkeit verwehrt werde.
Shatter nimmt auch das politische Klima ins Visier. Die Debatte um die geplante Umbenennung des nach Chaim Herzog benannten Parks in Dublin zeigt für ihn exemplarisch, wie offen antisemitische Erzählungen inzwischen ausgesprochen werden, ohne öffentliche Empörung auszulösen. Dass ausgerechnet in der Hauptstadt, wenige Gehminuten von jüdischen Einrichtungen entfernt, ein solcher Vorstoß ernsthaft diskutiert wurde, ist für ihn ein Beleg dafür, dass antisemitische Normalisierung längst eingesetzt hat.
Besonders kritisch bewertet Shatter die Haltung einzelner Regierungsmitglieder, die einerseits vor Antisemitismus warnen, andererseits durch ihre eigene Sprache zur Eskalation beitragen. Er sieht darin weniger Überzeugung als politische Taktik. Dass die Regierung die IHRA Definition zwar übernommen, aber nicht umgesetzt hat, bestätigt diesen Eindruck. In Hochschulen, Medien und Behörden fehlt jede konsequente Anwendung.
Für die jüdische Gemeinschaft Irlands bedeutet diese Entwicklung wachsenden Druck. Shatter beschreibt sie als klein, aber entschlossen. Doch ihre Arbeit gegen Hass und Desinformation werde durch ein politisches Umfeld erschwert, das problematische Diskurse duldet oder teilweise selbst befeuert. Die Warnung des ehemaligen Ministers ist eindeutig. Irland befindet sich auf einem Weg, der jüdisches Leben zunehmend verunsichert und das internationale Ansehen des Landes untergräbt.
Zum vollständigen Interview mit Alan Shatter:
https://www.juedische-allgemeine.de/juedische-welt/dieses-vorgehen-ist-nun-wirklich-idiotisch/
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Irish Defence Forces - Citizenship Ceremony 7, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=36788978
Mittwoch, 10 Dezember 2025