Proteste greifen auf den Staatsapparat über: Irans Regime schließt Behörden aus Angst vor EskalationProteste greifen auf den Staatsapparat über: Irans Regime schließt Behörden aus Angst vor Eskalation
Was als wirtschaftlicher Protest begann, entwickelt sich zu einer landesweiten Herausforderung für das iranische Regime. Studierende, Händler und Lastwagenfahrer vereinen sich gegen ein System, das unter Inflation, Machtkämpfen und wachsender Angst vor Kontrollverlust leidet.
Die Proteste in Iran haben eine neue Stufe erreicht. Nach vier Tagen anhaltender Demonstrationen schloss die Regierung am Mittwoch überraschend die Ministerien und Behörden in 25 der 31 Provinzen. Offiziell wurde der Schritt mit einer außergewöhnlichen Kältewelle begründet. In Iran selbst stößt diese Erklärung auf Spott. Viele Beobachter sehen darin einen Versuch, staatliche Einrichtungen vor Protesten zu schützen und die Mobilisierung der Bevölkerung zu bremsen.
Ausgangspunkt der aktuellen Protestwelle war die dramatische wirtschaftliche Lage. Der iranische Rial verliert weiter massiv an Wert, während Inflation, Wasserknappheit und Energieprobleme den Alltag prägen. Händler und Ladenbesitzer, darunter auch der symbolträchtige Große Basar von Teheran, legten als Erste ihre Arbeit nieder. Inzwischen haben sich Studierende mehrerer Universitäten angeschlossen. In sozialen Netzwerken verbreiten sich Videos, die Tausende junge Menschen zeigen, die offen „Tod dem Diktator“ rufen.
Besonders brisant ist der Eintritt der Lastwagenfahrer in den Protest. Dieser Berufsstand gilt als systemrelevant für Versorgung und Wirtschaft. Bereits frühere Streiks hatten gezeigt, welches Druckpotenzial diese Gruppe entfalten kann. Ihr Anschluss signalisiert, dass sich der Unmut nicht mehr auf einzelne gesellschaftliche Milieus beschränkt, sondern breiter verankert ist.
Parallel dazu sorgt eine Personalentscheidung der Regierung für zusätzlichen Zorn. Präsident Masoud Pezeshkian ernannte mit Abdolnaser Hemmati einen neuen Zentralbankchef, der zuvor als Wirtschaftsminister entlassen worden war. Ihm wird eine zentrale Verantwortung für den Absturz des Rials zugeschrieben. In sozialen Medien wird die Entscheidung als Zeichen von Realitätsverweigerung und innerer Machtarithmetik verspottet. Parlamentspräsident Mohammad Bagher Ghalibaf stellte zuletzt sogar offen die Möglichkeit einer Amtsenthebung des Präsidenten in den Raum.
Die offizielle Schließung der Behörden wirkt vor diesem Hintergrund weniger wie eine Verwaltungsmaßnahme als wie ein politisches Schutzschild. Meteorologische Daten zeigen keine außergewöhnliche Wetterlage. Der Schritt wird daher weithin als Eingeständnis gewertet, dass das Regime die Kontrolle über zentrale urbane Räume fürchtet.
In der Vergangenheit reagierte Teheran auf Proteste häufig mit harter Repression. Diesmal agieren die Sicherheitskräfte bislang auffallend zurückhaltend. Zwar gibt es Berichte über Schüsse, Festnahmen und das Verschwinden eines reformorientierten Journalisten, doch eine massive Niederschlagung blieb bislang aus. Beobachter vermuten, dass die Führung eine Eskalation vermeiden will, um keine neue landesweite Protestdynamik wie 2019 oder 2022 auszulösen.
Besondere Aufmerksamkeit gilt den kommenden Tagen. Iran begeht in Kürze den Jahrestag der Tötung von Qassem Soleimani. Dieses Datum nutzte das Regime bislang, um nationale Geschlossenheit zu inszenieren. Sollte es den Protesten gelingen, diese symbolische Phase zu überdauern, werten Analysten dies als klares Zeichen einer neuen Qualität des Widerstands.
Auch in Israel werden die Entwicklungen genau verfolgt. Sicherheitskreise gehen derzeit nicht davon aus, dass die Proteste kurzfristig das Regime stürzen. Gleichzeitig wird diskutiert, ob Teheran versuchen könnte, die innenpolitische Spannung durch eine äußere Konfrontation abzuleiten. Aktuell gilt ein solcher Schritt als unwahrscheinlich, da Iran militärisch und wirtschaftlich geschwächt ist.
Die Schließung staatlicher Institutionen markiert dennoch einen Wendepunkt. Nicht die Demonstranten ziehen sich zurück, sondern der Staat selbst. Für viele Iraner ist das ein sichtbares Zeichen von Nervosität an der Spitze eines Systems, das zunehmend Mühe hat, Normalität vorzutäuschen.
Autor: Redaktion
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Mittwoch, 31 Dezember 2025